AUFTOUREN: 2009 - Das Jahr in Tönen

Der Dezember hat begonnen, die Temperaturen sinken, die erste Kerze brennt stolz vor sich hin. Klare Zeichen, das Jahresende naht. Freudestrahlend werfen wir einen Blick auf die letzten elf Monate, notieren akribisch jede Platte, die wir in die Finger bekommen haben und nehmen sie abermals genauestens unter die Lupe. Haben wir vielleicht was übersehen? Wie steht es um die gefürchtete Halbwertszeit?

Nach einem zwei Wochen andauernden, harten „Kampf“ hat sich die komplette AUFTOUREN-Redaktion nun einigen können und präsentiert ihre 50 Favoriten. Wir starten morgen mit den Plätzen 50-41, Freitag geht es weiter mit Rang 40-31. An den ersten drei Werktagen der kommenden Woche folgen die Top 30, danach zur endgültigen Abrundung noch ein paar ausgewählte „Geheimtipps“ und die Einzellisten jedes Redakteurs. Es sei an dieser Stelle kurz angemerkt, dass wir auf das Einbeziehen von Singles und EPs verzichtet haben und ausschließlich Longplayer mit in die Auswahl aufgenommen wurden. Wir würden uns selbstverständlich sehr freuen, das ein oder andere Thema mit euch ausdiskutieren zu können, davon lebt so ein Jahresrückblick ja bekanntlich in erster Linie!


50

Moderat

„Moderat“

[2009; Bpitch Control]

Rezension , MySpace

Die Rechnung ging auf: Modeselektor + Apparat = Moderat. Mit dieser Formel erwischten die Berliner sogar international einen Blitzstart und zeigten, dass muskulöse Clubmusik noch nicht gänzlich ihr Pulver verschossen hat. Lässig, dreckig und durchaus intelligent schlagen sie mit der digitalen Machete neue Wege ins Gestrüpp: IDM für B-Boys und Ghettotronic für Brainiacs zugleich. Die Beats pumpen die Tracks voran und auch mit Effekthascherei wird nicht gespart. Zugleich legen Moderat alle Karten auf den Tisch und zeigen, dass sie sowohl die Wirkmechanismen des Londoner Untergrunds als auch die Berliner Strenge beherrschen. Herausgekommen ist dabei ein ebenso abwechslungsreiches wie unterhaltsames Konsensalbum. (Markus Wiludda)

49

Moritz von Oswald Trio

„Vertical Ascent“

[2009; Honest Jons Records | Indigo]

Rezension , Honest Jons

Kunst kommt von Können – und Moritz von Oswald beweist das seit Jahrzehnten mit eigenständigen Entwürfen zwischen Improvisation und Neukontextualisierung. Musik, das ist bei ihm ein Erfahrungsraum, oftmals eine Reise mit unkonkretem Ziel. In Zusammenarbeit mit Vladislav Delay und Max Loderbauer steppt er sich auf diesem Album durch Ambienten mit perkussiven Hindernissen, die den Reiz dieses speziellen Werkes ausmachen. Hier werden neue Neigungswinkel der elektronischen Musik ausgelotet. Zwischen tropischer Rhythmik und schleppendem Maschinenklang gibt es jedoch immer genug Freiraum für die Assoziationen des Hörers, so dass diese vier zehnminütigen Tracks nie zum meditativen Selbstzweck geraten.
(Markus Wiludda)

48

Phoenix

„Wolfgang Amadeus Phoenix“

[2009; V2 | Cooperative]

Rezension , MySpace

Kaum ein Club, in dem wir sie nicht gehört haben. Kaum eine Party, auf der sich die Tanzfläche nicht mit einem Schlag gefüllt hätte. Zu „Lisztomania“ und „1901“ bog sich das Parkett quer durch die Szenen nach unten durch – durchgetanzt von abgewetzten Retrosneakern, Öko-Stoffschuhen und mondänen Lederstiefeletten. Der Konsenspreis dieses Jahres geht an Phoenix: Zwei Hits, an denen kein Vorbeikommen war. Ein Album, so bunt, dass ein jeder seine Lieblingsfarbe darin begrüßen konnte. Stürmische Überhits und fluffige Popwölkchen finden sich, und wir ein eigenwilliges Gefühl spontaner Verbundenheit. (Sven Riehle)

47

Mount Eerie

„Wind’s Poem“

[2009; Tomlab | Indigo]

P.W. Elverum & Sun , MySpace

So ungefähr klingt die Apokalypse. Zerschossene Gitarren sägen an Nerven, der Gesang schleppt sich bis zur Katharsis zerschunden dahin. Alles ist gehüllt in nebulöse Schwaden, die einem permanente Schauer über den Rücken jagen und das Leben schwer machen. So richtig hoffnungsvoll ist diese Platte nicht, das Gegenteil ist der Fall: Pechschwarz die Seele, dissonant die Gitarren. Dieses Album ist weit davon entfernt, gefallen zu wollen, vielmehr gerät die Existenz selbst in den Fokus und um die ist es in einem Katastrophenjahr wie 2009 ganz sicher nicht gut bestellt. Zwischen freakigem Folk, krachigem Noise und rauschenden Ambienten ist „Wind’s Poem“ so etwas wie die musikalische Endstation. (Markus Wiludda)

46

2562

„Unbalance“

[2009; Tectonic |Groove Attack]

MySpace

Die Niederlande – nicht unbedingt ein Ort, an dem man sich musikalisch zuhause fühlt. Zwischen biederem Rock („Krezip“) und stinkendem Käse-Gabber („Rotterdam Terror Corps“) sind die wirklichen Highlights so rar gesät wie Berge in den Poldern. Aber die Elektrifizierung der werten Nachbarn mit Trance, Techno und Elektro scheint auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Ganz vorne an der internationalen Dubstep-Front mischen inzwischen der sehr viel bekanntere Martyn, aber auch 2562 mit. Nach dem ebenso hörenswerten „Aerial“ im letzten Jahr legt Nummernkobold 2562 in diesem Jahr nach: Skelettierte und sehr übersichtlich arrangierte Beats, die wie Statements im Raum stehen. Wenig sphärische Flächen fangen dabei den Hörer auf, und doch verheißen die Verschachtelungen von Rhythmik und stahlkalten Digitalpiekser eine spacige Fahrt in die schillernde Nachtwelt. (Markus Wiludda)

45

Ja, Panik

„The Angst And The Money“

[2009; Staatsakt | Schoenwetter | Rough Trade]

Rezension , MySpace

Kaum ein Album hat in unserer Redaktion so polarisiert, wie das neue Machwerk der österreichischen Jungs von Ja, Panik. Deren lyrischer Mashup hinterlässt eben keine eindeutigen Spuren, keine Fährten, die man einfach nachvollziehen kann. Es sind Texte wie „Ein schiefer Blick bringt mich nach Haus / ein fremdes Herz nimmt überhand / Ein langer Tag, jahrein, jahraus / Oh, diese Erde ist verbrannt / Words are far out of sight /and I’m out of dynamite“, die zweifeln lassen. Kongenial intertextualisierende Wortarbeit oder doch ungelenke und bemüht richtungswechselndes Schlaumeiertum, das hinter der bloßen Hülle nur heiße Luft verbirgt? Zumindest ist dieses Album nicht egal, offenbart Diskussionspotenzial und ist alleine aus diesem Grund wichtiger als so viele seiner Artgenossen. Hier kommt zusammen, was zusammen kommen muss. (Markus Wiludda)

44

Sunn O)))

„Monoliths & Dimensions“

[2009; Southern Lord | Cargo]

Southern Lord, MySpace

„Monoliths & Dimensions“ beendet eine Entwicklung, die in ihrer Radikalität nicht abzusehen war. Selbst der schon ambitionierte Vorgänger „Black One“ ließ damals nicht im Ansatz vermuten, wo Sunn O))) vier Jahre später stehen würden. Aus einer Spaßkapelle sind Visionäre geworden, die sich geschickt zwischen Black Metal, Avantgarde und Ambient bewegen und überall stattfinden. Kein Wunder, dass das bei manchem Fan der ersten oder zweiten Stunde Skepsis hervorruft. Doch wer so aufs Ganze geht, so einen gewaltigen Sprung nach vorne macht und mit „Alice“ auch noch den perfekten Song für Tag und Nacht raushaut, findet zu Recht auch im Feuilleton statt. (Felix Lammert-Siepmann)

43

I Got You On Tape

„Spinning For The Cause“

[2009; Tigerspring]

Rezension , MySpace

Kopenhagen ist auf der Landkarte der Popmusik nicht unbedingt mit einem großen Kreuz versehen – und doch ist die lokale Szene dort hervorragend verknüpft und wartet mit einem musikalischen Output auf, den sich viele Großstädte nur wünschen könnten. So schrieben I Got You On Tape nun schon zum dritten Mal ein vor der internationalen Musikpresse verborgenes Werk, das diese Missachtung so gar nicht verdient hat. Es ist ein anachronistisches und stolzes Album geworden, mit exklusiven Melodien, wie sie nur Nordlichter ersinnen können. Die Stimme Jacob Bellens macht dabei den ganz großen Unterschied: Sein männliches Timbre heilt Wunden im Alleingang und lässt die Einsamkeit vergessen. Denn jetzt gibt es eine Neo-Wave-Band, die auffängt und eine CD, die immer da ist, wenn sie gebraucht wird. In herrlicher Ergriffenheit und brennender Melancholie. (Markus Wiludda)

42

Brother Ali

„Us“

[2009; Rhymesayers | Rough Trade]

Empfehlung , MySpace

Die einen sprechen davon, dass HipHop tot sei, die anderen hören einfach Brother Ali. Dieser Mann hat viel zu erzählen und das nicht nur aus seinem eigenen Leben, obwohl dies auch schon genug Stoff hergeben würde. Dabei geht er souverän durch die chilligen Beats und umschifft jedes Fettnäpfchen, das ihn in Authentizitätsnöte bringen könnte. Innovation wird nicht übers Knie gelegt, sondern kann aus sich heraus entstehen oder eben nicht. Eile ist sowieso nicht gegeben, denn es braucht Zeit, um die Geschichten zu verstehen und sich darauf einzulassen. Wäre HipHop tot, Brother Ali hätte es uns mitgeteilt. Aber eigentlich waren wir von Rhymesayers dieses Jahr nichts anderes gewöhnt als tolle Releases. (Björn Bischoff)

41

Lightning Bolt

„Earthly Delights“

[2009; Load]

MySpace , Official

Selbst in einem Jahr, in dem „Noise“ so populär wie selten zuvor zu sein scheint, steht ein neues Album dieses gewohnt irrsinnigen Duos erst einmal nur für sich. Ganz allein aus Schlagzeug, das unter den unbarmherzigen prügelnden schätzungsweise acht Armen Brian Chippendales eigentlich jeden Moment zusammenbrechen müsste, Bass, der hier in jedem Song mehr Baumstämme zerschreddert als ein ganzes Lumberjack Special auf DSF, und durch den Verzerrer gebellten Gesangsfetzen bestehend macht diese Versuchsanordnung auch in ihrem mittlerweile fünften Anlauf keinerlei Kompromisse. Momente der Besinnung wird man hier ebenso wenig finden wie stumpfes Gedresche. Andere mögen derartige Musik zurzeit vielleicht hipper und besser verkäuflich über die Bühne bringen, in Sachen Kompromisslosigkeit und Experimentierfreude bleiben Lightning Bolt aber bis auf Weiteres unübertroffen.
(Bastian Heider)

40

Jochen Distelmeyer

„Heavy“

[2009; Columbia | Sony BMG]

Rezension , MySpace

Das erste Album nach Blumfeld, das alles andere als ein Neuanfang ist. Jochen Distelmeyer ist schon seit Längerem jenseits von jedem und braucht sich und der Welt nichts mehr zu beweisen. „Heavy“ handelt von den alltäglichen Situationen und Gefühlen zwischen Wut, Sehnsucht und natürlich Liebe und beschwört damit und mit den gefälliger denn je zwischen Akustikgitarre und amtlichem Rock eingespielten Songs natürlich auch wieder die altbekannten Schlagervorwürfe. Doch sollte man sich davon nicht beirren lassen, wenn man so gänzlich unpeinlichen wie wunderschönen Liedern wie „Bleiben oder Gehen“ und „Murmel“ lauscht. Im Spannungsfeld von Privatem und Politischem, den kleinen und großen Gefühlen hat hier nämlich der vielleicht größte lebende Songwriter dieser Sprache mal eben sein bestes Album seit „Testament der Angst“ aufgenommen.
(Bastian Heider)

39

Clubroot

„Clubroot“

[2009; Lo Dubs | Cargo]

MySpace, Stolpernde Pioniere

Wie kaum jemals zuvor kann man im Londoner Untergrund die Evolution eines Genres so medienwirksam mit verfolgen wie bei Dubstep und seinen Verästelungen in Richtung Techno, House und HipHop. Adaptionen und Verschmelzungen sind an der Tagesordnung, den Überblick zwischen den Subgruppierungen Wonky und Aquacrunk zu behalten fällt auch ausgewiesenen Experten schwer. Schön also, dass uns der Londoner Produzent Clubroot mit einem fast klassischen Werk noch einmal überraschen kann. Und auch Freunde des Übervaters Burial dürften hiermit die Wartezeit zu seinem nächsten Werk (wird wohl 2010 endlich erscheinen) mit Leichtigkeit überbrücken können. Schließlich geriet „Clubroot“ zu einer gefühlvoll austarierten Mischung Bassmusik: Jederzeit extrem lässig, ergreifend und abwechslungsreich zugleich. (Markus Wiludda)

38

Mountain Goats

„The Life Of The World To Come“

[2009; 4AD | Beggars | Indigo]

Album Ankündigung , MySpace

Keine Sorge, dem Größenwahn ist John Darnielle nicht verfallen, auch wenn er sich längst von dem 4-Spur-Minimalismus früherer Tage verabschiedet hat und sich obendrein auf „The Life Of The World To Come“ an keinem geringeren Werk als der Bibel anlehnt. Geschickt umkurvt er dabei die Falle, sich in der Vielzahl von Versen zu verzetteln und kredenzt bewährte Mountain Goats Kost, mit prominenter Unterstützung von Owen Pallett (Final Fantasy) an den Streichern – zwölf charmante Songs, von warmer, wohltuender Melancholie durchzogen, gewohnt Trost spendend: „I know you’re thinking of me because it’s just about to rain.“ Abgeschmeckt wird das begeisternde Gesamtwerk mit dem hyperventilierenden Übersong „Psalms 40:2“ und dem ergreifendsten Schlussstück 2009, “Ezekiel 7 And The Permanent Efficacy Of Grace”. (Pascal Weiß)

37

Cymbals Eat Guitars

„Why There Are Mountains“

[2009; PIAS]

Rezension , MySpace

„Why There Are Mountains“ gehört zu den Veröffentlichungen, die in der Lage sind, zu wachsen, ohne einen großen, neuartigen Reiz zu präsentieren. Dadurch ist es im Vorteil gegenüber Alben, die mehr Anspruch darauf erheben können oder wollen, zeitgemäß zu sein. Zeitlosigkeit nämlich ist nicht nur eine im Rückblick verliehene Auszeichnung für wenige Platten, die sich mit den Jahren immer wieder bewährt haben, sondern auch ein Merkmal derjenigen, die sich gar nicht erst zu bewähren brauchen, deren Qualitäten nichts mit Innovationen zu tun haben, sondern auf einem Gebiet liegen, dem kein Hype etwas anhaben kann: dem Songwriting. (Lennart Thiem)

36

Mulatu Astatke & the Heliocentrics

„Inspiration Information 3“

[2009; Strut | ALIVE]

Strut , MySpace

Es ist ein Triumpf kosmopolitischen Denkens wider jeglichen Grenzen! Da trifft ein 66-jähriger Äthiopier namens Mulatu Astatke auf ein wildes britisches Progjazz-Kollektiv und in einer intensiven Session nehmen sie ein Album auf, das nicht nur im Geiste Welten überspannt und Grenzen einreißt. Den Hörer erwartet ein wildes Gemisch aus Jazz, Fusion, Funk und natürlich den afrikanischen und arabischen Gesten, die beide Truppen ganz besonders faszinieren, weil sie deren Wurzeln bilden. Der Heimatbegriff wird jedoch ausgeweitet, gewinnt eine neue Dimension. Hier darf sich ein jeder zuhause fühlen und wird es gewiss auch, denn diese organische und überaus erdige Weltmusik zeugt von hinreißender Vitalität abseits des durchkonfektionierten Kulturimperalistenpops. (Markus Wiludda)

35

Ben Frost

„By The Throat“

[2009; Bedroom Community]

Rezension , Homepage

„By The Throat“ ist ein prachtvolles Biest das dem gebannten Hörer eng im Nacken sitzt. Mit Wolfsheulen, Kinderchor und digitalen Noise-Fetzen erzeugt Ben Frost eine intensive, beunruhigende Atmosphäre inmitten derer sich eine bewundernswerte orchestrale Schönheit entfaltet, geführt von minimalistisch anmutenden Piano- und Bläsermelodien und getragen vom urigen Kontrabassspiel Borgar Magnasons. Dazwischen durchziehen die Musik immer wieder gesampelte Atemgeräusche verschiedener Herkunft, mal natürlich, mal unmenschlich oder gar untierisch verzerrt. Frost hat seiner Bestie Leben eingehaucht. (Uli Eulenbruch)

, Interview


34

Bibio

„Ambivalence Avenue“

[2009; Warp]

Rezension , MySpace

Von der Straße, aus dem Wald. Im klaren Wasser, im Staub, durch die Wolken und unter Normalnull – elf ledige Songs, und alle sind eins. „Ambivalence Avenue“ ist so vielförmig wie das Leben selbst und dabei auf faszinierende Weise konkret und klar. Genregrenzen werden bei Bibio nicht überwunden. Sie lösen sich in Luft auf. Was dieses Album atmet, ist in der Folge nur schwer zu entschlüsseln. Da sind die funkigen Tendenzen in „Jealous Of Roses“, alte, schwere Hip-Hop-Beats und zerriebene Samples in „Fire Ant“. Zweimal findet sich gar rührender Purismus in „Haikuesque“ und „The Palm Of Your Wave“. Man fühlt sich an die abgegriffene Pralinenschachtel erinnert. Hier ist es elfmal ein Glücksgriff. (Sven Riehle)

33

Ben Klock

„One“

[2009; Ostgut Ton]

Rezension , MySpace

Berghain, Berlins bekanntester Club. Hart geht es dort zu, nicht nur an der Tür und im Darkroom. Nicht selten ist Resident DJ Ben Klock dafür verantwortlich, dass stahlgefilterte Beats den stoischen 4/4-Takt angeben. „One“ ist nach zehn Jahren sein erstes Album und setzt sogleich Maßstäbe im Techno-Bereich, gelingt ihm doch das Kunststück, sowohl Vielfalt als auch Kohärenz schlüssig zu vereinen. Dabei geht ihm zwar etwas Humor abhanden, was aber doppelt mit Strenge und Durchschlagskraft kompensiert wird. „One“ sprüht vor maschinellem Testosteron, kennt keinerlei Schmerz und hinterlässt nicht nur bei Nachtagenten einen bleibenden Eindruck, denn so zeitgemäß geil klang dieses Jahr keine andere Techno-Platte. (Markus Wiludda)

32

Mos Def

„The Ecstatic“

[2009; Downtown | Universal]

Rezension , MySpace

Da kam dieser Batzen an vorbei schnellenden Tracks und die Redaktion stand erstmal vor der Frage: „Was damit anfangen?“ Ja, es dauert bis der Zugang in die unterschiedlichen Gangarten des Mos Def gefunden wird, aber Ausdauer wird hier mit Hits belohnt. Sei es das entspannte „History“ mit Talib Kweli oder der Schnellschuß „Supermagic“, der sich von einer Gitarre tragen lässt, oder „Pistola“, das sich dope die Treppe hinunter stürzt, dieses Album zeigte mit jeder Faser, dass Mos Def wieder da ist und an alte Großtaten anknüpfen kann. Dazu trägt auch sicher der unglaubliche Flow bei, der sich durch „The Ecstatic“ zieht. „You can’t confuse me bitches!“ (Björn Bischoff)

31

White Denim

„Fits“

[2009; Full Time Hobby | Rough Trade]

Official , MySpace

Spätestens wenn nach knapp fünfzig Sekunden die Bass-Kreissäge los hetzt und für ein beispielloses Massaker sorgt, wird klar, dass hier keine Kompromisse zu erwarten sind. White Denim hauen auf „Fits“ alles raus, prügeln sich anfangs den Blues in hastender Progressive- oder gar Hardrock-Manier von der Seele (alleine „El Hard Attack dcwyw“ sorgt für anhaltendes Herzrasen), setzen zahlreiche spitze Widerhaken, winken Jimi Hendrix, verwischen psychedelisch ihre Spuren und verabschieden sich zur Halbzeit mit dem Instrumental „Sex Prayer“. Übrig bleibt ein Ort der Verwahrlosung, nicht mal die Band selbst hat überlebt , sollte man meinen, denn diese ist in der zweiten Hälfte nicht wieder zu erkennen. Melodiös und aufmunternd – ja, gar sonnige Töne sind nun an der Reihe („Paint Yourself“). Jazzig wird der Soul in Szene gesetzt bevor „Regina Holding Hands“ lässig-funkig massenweise Pop-Appeal preisgibt. Und zum Schluss hat die Band sturztrunken sogar noch die Eier für ein augenzwinkerndes, outcastiges „Lalalalala“. Wahnsinnig abgefuckt! (Pascal Weiß)

Sonic Youth

„The Eternal“

[2009; Matador | Beggars | Indigo]

Rezension, MySpace

Die Rückkehr in die Unabhängigkeit. Sonic Youth brachten mit „The Eternal“ wieder ein Album bei einem Indie-Label heraus und es machte sich Verwunderung breit. Der viel gescholtene Vorgänger „Rather Ripped“ war sofort in Vergessenheit geraten, nachdem „Sacred Trickster“ als Opener und Vorabsingle schon mal den Äther durch blies. Wieder mehr in die verwinkelteren Sphären tauchten Sonic Youth ab und kümmerten sich nicht um Eingängigkeiten. Die Gitarren entzünden sich von neuem und Shelleys Schlagzeug hält den ganzen Laden perfekt zusammen. Man darf gespannt sein, was da noch folgen wird, besonders da die Band auch live immer noch eine wahre Wucht ist und sich die Songs von „The Eternal“ dort gleich dreimal so druckvoll anhören. (Björn Bischoff)

DM Stith

„Heavy Ghost“

[2009; Asthmatic Kitty]

Rezension, MySpace

DM Stith ist ein Kaputtnik und seine Hauptbeschäftigung ist es, musikalische Dellen in seine Songs zu hauen. Das geht nicht immer gut aus für das arme Liedgut – nachzuhören auf seinem fantastischen Debüt, für das er folkloristisches Songwriting mit Gerümpel überlädt und es ordentlich ächzen lässt. Das mag für den geneigten Hörer zunächst etwas befremdlich erscheinen, gar überfordernd, aber spätestens beim dritten Hördurchgang sucht man mit diebischem Vergnügen das Harmonische im Chaos, die Melodien im Wahnsinn, das spirituell Ausgeglichene im eingeschlagenen Zickzack-Kurs. Und natürlich wird man fündig, wobei die Wendungen und Ideen einfach viel zu clever sind, um nur kurzfristig Vergnügen zu bereiten. (Markus Wiludda)

Dananananaykroyd

„Hey Everyone“

[2009; Best Before]

Best Before, MySpace

Selten gelingt es einem Album die Konzertenergie einer Band wiederzugeben, die davon besonders viel hat. Daher ist es umso eindrucksvoller, dass dies im Falle der Glasgower Dananananaykroyd gelungen ist, sind diese doch dank jeweils zwei Schlagzeugern, Sängern und Gitarristen momentan die dynamischste Liveband Großbritanniens. Mühelos gleiten sie von flotten, superchunkigen 90s-Indierockern zu screamigem Blood-Brothers-Wechselgesang und gutgelaunten Singalongs mit Ausrufezeichen und Händeklatschen. Wer zu explosionsartigen Songs wie „Some Dresses“ gerne die Arme in die Luft wirft sollte dabei aber die Faust offen lassen, Dananananaykroyd sind mehr auf eine herzliche Umarmung aus als auf Aggro-Pogen. (Uli Eulenbruch)

Handsome Furs

„Face Control“

[2009; Sub Pop]

Rezension, MySpace

Dan Boeckner und Alexei Perry sind wahrscheinlich das glücklichste Paar der Musikwelt. Für sie gibt es keine Trennung zwischen Reisen und Touren, bei ihren Auftritten in Nordamerika, ganz Europa, Südostasien und Australien. Unterwegs sammeln sie nicht nur Impressionen, die sie, wie auf „Face Control“ ihre Russland-Erlebnisse, in ihren Texten verarbeiten, auch ihre Musik wird durch fremde Kulturen beeinflusst. So heizen sie hier scheinbar trashige, aber bei genauerem Hinhören wohlgeformte Ost-Europop-Beats unter Boeckners grandiose, hymnische Gitarrenmelodien und seine markante Stimme, deren Heiserkeit stets erahnen lässt, dass ihr Träger sein Dasein voll auslebt. (Uli Eulenbruch)

Titus Andronicus

„The Airing Of Grievances“

[2009; XL | Beggars | Indigo]

Rezension, MySpace

Wenn The Hold Steady mal Pause machen, springen eben Titus Andronicus als zweitbeste Kneipenrockband der Welt ein. Doch wo Erstere eher von den gut abgehangenen Thekenweisheiten Craig Finns und einem gewissen Stadionappeal leben, gehen Letzere wesentlich ungestümer zur Sache. In einem Akt biergetränkter Katharsis wälzt der kleinstädtische Fünfer aus Glen Rock (New Jersey) hier seine ganz persönliche schlammgetränkte Lawine aus verzweifelt jugendlichem „No Future“ über die gutbetankte Hörerschaft hernieder, sodass das ganze eigentlich nur in einer zünftigen Schlägerei enden kann, die der für den Bandnamen verantwortlichen, umstrittensten, weil blutigsten Shakespeare-Tragödie wahrlich alle Ehre gemacht hätte. (Bastian Heider)

Hypnotic Brass Ensemble

„Hypnotic Brass Ensemble“

[2009; Honest Jons| Indigo]

Homepage, MySpace

Instrumental Musik hat es ein bisschen schwer. Viel zu oft driften die Hörer ab, wenn die Konzentration nicht komplett auf die Musik gelenkt werden kann. Doch das ist beim Hypnotic Brass Ensemble egal, denn sieben Blasinstrumente und Schlagzeug können sich darauf verlassen, dass es schwer ist, sein Ohr von ihnen loszueisen. Besonders dann, wenn das Gesamtwerk am Ende so sommerlich, frisch und direkt klingt wie hier. Mit dem sich langsam zu einem kleinen Monster aufbauenden „War“, das sich dann bis in die kleinsten Winkel des Raums aufpustet, Moondogs „Rabbit Hop“ oder dem antreibenden „Alyo“ kann einfach nichts schief gehen – den acht Brüdern aus Chicago macht man so schnell nichts vor. (Björn Bischoff)

Savoy Grand

„Accident Book“

[2009; Honest Jons| Indigo]

Rezension, MySpace

Savoy Grand reduzieren das Leben, das bei ihnen stets ein unglückliches ist, in ihrer Musik auf das Notwendigste, frieren die Momente ein in minimalistische, präzise gesetzte Szenarien aus Gitarre, Bass und Schlagzeug, gelegentlich Klavier oder Oboe, dass dabei am Ende Bilder entstehen wie die verblassenden, unscharfen Fotografien ihrer Coverartworks. Zeit kann in diesem Prozess der Verdichtung keine Rolle spielen. Es zählt lediglich das Ziel: Die zelebrierte Essenz aus reiner Verzweiflung, in der jede Note, jede Pause, jedes Wort um ein Vielfaches seiner eigentlichen Bedeutung hinzugewinnt. (Bastian Heider)

Yo La Tengo

„Popular Songs“

[2009; Matador | Beggars| Indigo]

Rezension, MySpace

Höchst selten ist das Doppel-LP-Format seit dem Triumphzug der CD so konsequent ausgenutzt worden wie hier. Das Trio aus New Jersey tänzelt in den ersten gut 35 Minuten grazil zwischen jazzig-psychedelischen Stücken wie „Here To Fall“, Laid-Back Nummern („I’m On My Way“), Indierockern („Nothing To Hide“), verspielten Groovern („Periodically Triple Or Double“) und Twee-Poppern („When It´s Dark“) in hochsommerlicher Abendsonne, driftet auf Seite C in sphärische, behutsam entschlüpfende 10-Minüter ab, die den Hörer in einen schwebenden Traumzustand versetzen, der wiederum nach dem letzten Wenden der Scheibe im krachigen Closer „And The Glitter Is Gone“ in nochmals satten 16 Minuten von dröhnenden Gitarren nieder gerungen wird. Yo La Tengo brillieren routiniert an allen Fronten, strotzen vor Spielfreude und haben auf „Popular Songs“ nicht nur aufgrund des Albumtitels wie immer alle Sympathien auf ihrer Seite. (Pascal Weiß)

jj

„jj n° 2“

[2009; Sincerely Yours]

Empfehlung, Sincerely Yours

Das Göteborger Label Sincerely Yours versucht nun schon im dritten Jahr in Folge, die Leichtigkeit selbst musikalisch einzufangen. Im gleichen samplefreudigen Popkultur-Referenzrahmen wie ihre Vorgänger The Tough Alliance und Air France singen darauf jjs luftige Vocals melancholisch-sehnsüchtig zu sanftem Gitarrenspiel, sommerlich-tropischen Percussions und himmelfarben getünchten Synthschwaden von Zwängen und Freiheit. Auch wird sich Lil Waynes „Lollipop“ für eine ekstatisch-benebelte Miami-Widmung bedient oder auf der dünnen Grenze zwischen Emotionalität und Schmalz getänzelt, ohne dabei den Blick für die Feinheiten zu Verlieren, die diese simplen Melodien so unvergesslich machen. (Uli Eulenbruch)

Converge

„Axe To Fall“

[2009; Epitaph| Indigo]

Homepage, MySpace

Eigentlich war der Fall vorher klar. Nach den halsbrecherisch guten Vorgängern konnten Converge nur enttäuschen. Es kommt ganz anders, der Tanz auf den Rasierklingen aus Rohheit, Experimentierfreude und Zugänglichkeit wird in Perfektion vorgetragen. Vor der Veröffentlichung wurde viel über berühmte Gäste geredet, die sich auf „Axe to Fall“ die Ehre geben. Im Nachhinein, und das ist vielleicht die größte Leistung des Albums, wird dies vollkommen nebensächlich. Denn es ist die Band, die keine Ausreißer zulässt und jederzeit die Kontrolle über alles und jeden behält. Ganz so wie eine Hülle um einen Vulkan, der immer noch weiter Lava ausschleudert. Das beste brutale Album des Jahres. (Felix Lammert-Siepmann)

Future Of The Left

„Travels With Myself And Another“

[2009; 4AD | Beggars | Indigo]

Rezension, MySpace, Konzertbericht

Mit ihrem zweiten Post-McLusky-Werk knüpfen Andrew Falkous und Jack Egglestone wieder an die glorreiche „Do Dallas“-Zeit an. Zusammen mit dem teuflischen Mitstreiter Kelson Mathias wird schon beim Opener „Arming Eritrea“ klar, dass dieses Trio sich nicht damit zufrieden gibt, Möbel zu verrücken – hier fließt Blut. Mit brachialer Gewalt walzen Songs wie „Chin Music“ oder „Land Of My Formers“ über den staubigen Schlachtplatz, während „Falco“ mit verachtendem Blick auf einen seiner gerade höchstpersönlich niedergeprügelten Feinde rotzt, freilich nie um einen passenden Spruch verlegen („it doesn´t smell like a man / it doesn´t taste like a man / but does it fuck like a man?“). Alles ungefährlich, kann man sich doch sicher sein, dass die eigene Stunde noch längst nicht geschlagen hat, „only the good die young / except for when they don´t / it´s not exactly fair”, oder etwa nicht? (Pascal Weiß)

Two Fingers feat. Sway

„Two Fingers“

[2009; Big Dada]

Rezension, MySpace

Two Fingers, das sind Amon Tobin und Joe „Doubleclick“ Chapman, so berechnend wie unberechenbar. Immer am Puls der Zeit operierend, experimentieren sie hier an einem durchschlagenden Beatgerüst, das die verschiedensten Einflüsse von orientalisch angehauchten Worldbeats und Dubstep bis zu den Überresten von Grime miteinander verbindet, ohne es dabei jemals an konzeptueller Strenge vermissen zu lassen. Auf diesem ebenso futuristisch anmutenden wie präzise konstruierten Rohbau darf dann der Londoner MC Sway eindrucksvoll beweisen, warum er als eines der größten Raptalente der Insel gilt. Obwohl das Ergebnis so metallisch kalt und unnahbar wirkt, wie ein lasergeschliffenes Messer, ist die hier anzuwendende Formel letztendlich eine denkbar einfache: Amon Tobin + Doubleclick + Sway = Hip Hop-Elektro-Hybrid des Jahres. (Bastian Heider)

The Paper Chase

„Someday This Could All Be Yours (Part 1)“

[2009; Southern | Soulfood]

Rezension, MySpace

Ein Themenalbum über lebensbedrohliche Katastrophen? Klar, das wird eine düster-deprimierende Angelegenheit – könnte man annehmen. Doch der spannungsgeladene, leicht noisige Post-Hardcore von The Paper Chase war schon immer täuschend, ähnlich wie sich ihre schrägen Akkorde zu eigenwilligen Harmonieren summieren, verströmen Songs wie das munter hüpfende „The Common Cold (The Epidemic)“ oder das sich in grenzhysterische Intensität hineinsteigernde „The Laying Of Hands The Speaking Of Tongues (The Mass Hysteria)“ widerspenstigen Optimismus, dank hymnischer Refrains gar Mitsingappeal, produktionstechnisch brillant in Szene gesetzt von Bandchef John Congleton, der auch für St. Vincents „Actor“ Wunder wirkte. (Uli Eulenbruch)

Japandroids

„Post-Nothing“

[2009; Unfamiliar | Polyvinyl | Cargo]

Rezension, MySpace

Ein ganzer Zug von Statements überrollt alles, was nicht sofort den Wein köpft und aufspringt. Wunderbar überdreht feuert das kongeniale Duo von Japandroids jugendliche Thesen und Titel in alle Himmelsrichtungen. „We used to dream, now we worry about dying. I don’t wanna worry about dying, I just wanna worry about sunshine girls“, heißt es etwa in der selbsterfüllenden Prophezeiung „Young Hearts Spark Fire“. „Post Nothing“ ist eine erhellende Ode an die Jugend, Tangas und Wein. Warme Distortion und beckenlastige Drums, Megaphon-Stimme – Ecken und Kanten, wohin man hört. In dreckigen Garagen geschmiedet, Funken sprühend, frisch, sportlich und so ehrlich – diesen kanadischen Lausbuben würde man alles und nichts abkaufen. (Sven Riehle)

The Pains Of Being Pure At Heart

„The Pains Of Being Pure At Heart“

[2009; Fortuna Pop | Cargo]

Empfehlung, MySpace

Innovation kann man The Pains Of Being Pure At Heart eher nicht andichten. Gerade dieses Jahr erinnerten u.a. Wiederveröffentlichungen von The Vaselines oder Another Sunny Day an die lange, janglige Tradition von Indiepop, auch kann ihr Label Slumberland schon auf 20 Jahre Veröffentlichungen von Anora(c)kern wie eben dem Brooklyner Quartett zurückblicken. Dass die Pains deutlich aus der Masse herausstehen liegt in ihrer Konsistenz begründet, in einem Genre, in dem die meisten Schätze auf 7″s zu finden sind, haben sie nun eine makellose Serie von Ohrwürmern über ein Album und zwei EPs hingelegt, und das ohne Abnutzungserscheinungen. Tweenomenal! (Uli Eulenbruch)

Mono

„Hymn To The Immortal Wind“

[2009; Conspiracy| Cargo]

Rezension, MySpace

Was wurde nicht alles über Post-Rock geschrieben, wie oft wurde er nicht schon zu Grabe getragen. Alles mindestens falscher Alarm damals, doch nun könnte es wirklich so weit sein. Nicht nur, dass „Hymn to the Immortal Wind“ in dieser schönen Liste das einzige Album des Genres ist; nein, es klingt selbst wie ein Abgesang. Alles ist gesagt, endgültig, manifestiert, in Stein gemeißelt für die Ewigkeit. Ein Weg, an dessen Ende der Eintritt in die ewigen Jagdgründe steht. Ein Weg aber auch, den Mono als Kreislauf sehen, für die menschliche Existenz wohlgemerkt, nicht für Musik. Und so könnte der letzte Tusch in „Everlasting Light“ auch für den Abschluss einer Ära stehen. (Felix Lammert-Siepmann)

Blank Dogs

„Under And Under“

[2009; In The Red]

Rezension, MySpace

Kostengünstige Soloproduktion, Vinyl-Releases auf Kleinlabels, Lo-Fi-Sound und lange Zeit auch Anonymität – ein Porträt von Blank Dogs liest sich wie eine Checkliste von Entwicklungen im US-Untergrund der letzten Jahre. Aber die Musik von Mike Sniper bleibt unnachahmlich, aus unscheinbaren Billig-Beats, verzerrten Gitarren, verfremdend gepitchtem Unterwassergesang (diesmal mit Backing Vocals von Vivian Girls) und geisterhaft umherschwirrenden Synths bastelt er postpunkige Popsongs, die mit ihrer leicht angepsychten American-Gothic-Atmosphäre wie gemacht sind für die nächste Party in leeren Fabrikruinen oder lange Nachtfahrten auf dem Lost Highway. (Uli Eulenbruch)

The Antlers

„Hospice“

[2009; Frenchkiss | IK7| Al!ve]

Rezension, MySpace

Eine Krankenhausstory ohne die gängigen Klischees von Grey und E.R.. Ohne den deplatzierten Humor von House. Ohne falsche Tränen. Und vor allen anderen Dingen: Mit echten Gefühlen. Alleine der sich langsam in immer tiefere Erinnerungen steigernde Erlebnisbericht „Two“ lässt die Hände zittern. Zu unvermeidlich ist hier das Ende, zu rührend der Umgang damit und das Bekenntnis zum Leben. Arcade Fire haben einen Bruder im Geiste gewonnen. Von einem Plagiat entfernt man sich aber mit jedem reduzierten Klavierschimmern, melodiösen Störgeräusch und unbedarften Saitenanschlag ein Stückchen mehr. Ein Konzeptalbum in annähernder Perfektion. Indie-Rock klang dieses Jahr wohl kein zweites Mal so schön. (Sven Riehle)

Fuck Buttons

„Tarot Sport“

[2009; ATP]

Rezension, MySpace

Wärme. Keine andere Beschreibung wird „Tarot Sport“ so sehr gerecht wie diese eine Sache, nach der sich im Grunde jeder sehnt. Was die Vorabsingle „Surf Solar“, die die Erwartungen ins Unermessliche steigen ließ, schon andeutete, wird hier tatsächlich auf Albumlänge durchexerziert. Der stetig vor sich hin wabernde, dicht gestrickte Klangteppich wirkt von Beginn an unglaublich vertraut und unbekannt zugleich. Er zieht seine Kraft aus einer unaufgeregten Aufgeregtheit, teilweise mit dem Prädikat „weird“ im Rücken, doch niemals übertrieben lässig. Fuck Buttons haben sich von Noise-Rowdies zu sanften Riesen verwandelt. Eine bemerkenswerte Entwicklung. (Felix Lammert-Siepmann)

Bill Callahan

„Sometimes I Wish We Were An Eagle“

[2009; Drag City| Rough Trade]

Rezension

Vom König des Lo-Fi zum croonenden Elder Statesman des Songwritertums. So lässt sich die musikalische Biographie Bill Callahans, ehemals Smog, wohl aufs Kürzeste zusammenfassen. „Sometimes I Wish We Were An Eagle“ nimmt dabei die Position des reifen und weise zurückblickenden Alterswerks ein. Callahan bettet seine so verschrobenen wie genialen und im warmen Bariton vorgetragenen Texte hier in wolkenweiche Arrangements und reiht dabei Höhepunkt an Höhepunkt. Ob das sanft auf einem simplen Rhythmusmotiv und Eleanor Rigby-Streichern dahin balancierende „Eid Ma Clack Shaw“ oder das sich langsam und Wort für Wort aufbauende „Too Many Birds“, hier sagt einfach alles – aber doch nie zu offensichtlich: Meisterwerk, ein nahezu perfektes Album eines langsam und in unglaublicher Würde alternden Mannes. (Bastian Heider)

Grizzly Bear

„Veckatimest“

[2009; Warp] Rezension, MySpace, Konzertbericht

Wer hätte gedacht, dass sich mit „Two Weeks“ ein solcher Hit auf dem dritten Album des Quartetts finden lassen würde? Niemand, aber nicht darin liegt das Besondere, richtige Hits sind immer Songs, die überraschen. Das Bemerkenswerte ist, dass aus den vier vermeintlichen Waldschraten mit „Veckatimest“ eine Konsensband wurde, die trotz beibehaltenen Eigensinnigkeiten im Sound einen Weg fand, Stücke zu schreiben, deren Arrangements wenig mit dem zu tun haben, was sie letztendlich sind: Popmusik der besten Art, etwas, das in der Lage ist, Hörgewohnheiten von Menschen zu verändern, die nicht einmal wussten, dass sie welche haben. (Lennart Thiem)

The XX

„XX“

[2009; XL | Beggars | Indigo] Rezension, MySpace

Während die Tagespresse irgendwelche Nichtigkeiten zu Sensatiönchen aufblies, erging es der Musikwelt im Sommerloch dieses Jahres nicht anders. Auf einmal waren vier Jungspunde aus London das nächste heiße Ding – trotz ihrer gänzlich zurückhaltenden Musik. Gleich zehn Tonnen Referenzlast zwischen The Smiths, Joy Division und den Young Marble Giants liegen auf ihren Schultern und dennoch schaffen sie es, ungemein unaufgeregt und locker zu agieren. Dass sie dabei ein ums andere Mal etwas unbeteiligt klingen, ist Kalkül. Nichts soll auffallen, alles wird minimiert und reduziert, bis nur noch ein hoffnungsvolles Schweben durch die Nacht gleitet und die intime Melancholie auffängt, die hier alles mit feinem Garn umspinnt. Ein ganz fabelhaftes Debüt! (Markus Wiludda)

Speech Debelle

„Speech Therapy“

[2009; Big Dada] Rezension, MySpace

Es gibt wenige Musikpreise, denen man wirkliche Relevanz zugestehen kann. Der deutsche Echo mit seinen Lobhudeleien auf die kommerziell erfolgreichsten Künstler ist das krasse Negativbeispiel, der Mercury Music Prize eine eher positive Ausnahme. Schließlich wird ohne Umstände das jeweils beste britische Album gekürt. Oft nah am Hype, aber durchaus mit überraschenden Ausnahmen wie Dizzee Rascal, Elbow oder in diesem Jahr Speech Debelle. AUFTOUREN hat es natürlich schon vorher kommen sehen, denn dieses Album ist eine herrlich unkomplizierte Melange aus Soul und HipHop, hat Herz und Sprachfehler, will erst gar nicht perfekt sein und folgt mit analogem Instrumentarium stilecht und mit Güte eingespielt der herausragenden Single „The Key“. (Markus Wiludda)

St. Vincent

„Actor“

[2009; 4AD | Beggars | Indigo] Rezension, MySpace

Ein beeindruckendes, herrlich verschrobenes Album. Immer wieder findet sich melodische Schönheit in leicht krude Sounds verpackt, steht Kammerpop neben Fuzz-Eskapaden, werden Soundwände von einem streckenweise regelrecht groovendem Schlagzeug durch streng-lichte Räume geschoben. Hier findet sich keine verruchte, verspielte Varieté-Doppeldeutigkeit, sondern ein wirkliches Nebeneinander, eine verquere Perfektion, die alles durchdringt und deswegen niemals erzwungen wirkt. Ein Meisterwerk. (Lennart Thiem)

Antony & The Johnsons

„The Crying Light“

[2009; Rough Trade | Indigo] Rezension, MySpace

The Crying Light klingt, als hätte es niemals nicht existiert, es lässt nicht sofort aufhorchen. Dass man dennoch vollkommen in Beschlag genommen wird, liegt nicht an catchy Hooklines oder Slogans, singt Anthony in „Another World“, dem zentralen Stück des Albums, „I need another world / This one’s nearly gone“, dann klingt darin nicht nur der Schmerz über all das, was verloren gehen wird, sondern es berührt mit seiner Folgerichtigkeit. Antonys Stimme erzählt bei aller Einzigartigkeit keine persönlichen Geschichten, und dennoch weiß man, dass dieser Mensch seine eigene Welt braucht, und, was noch viel wichtiger ist, sie auch erschaffen kann und dies in seiner Musik bereits getan hat. Vielen Dank dafür! (Lennart Thiem)

Fever Ray

„Fever Ray“

[2009; Cooperative| Universal] Rezension, MySpace, Musikvideos Januar – März

Im Schattenreich der Karin Dreijer Andersson werden die Lichter ausgeblasen. Es regiert gespenstische Düsternis, die sich beklemmend mit ihren eiskalten Fingern um den Hals schlingt. Nur ein sturer Puls zeugt von Leben. Dann erklingt die Stimme der The Knife-Frontfrau, wie gewohnt so verzerrt und verlangsamt, dass die Vermännlichung einer Entmenschlichung gleichkommt. Und diese entstellte Fratze ist das Einzige, was hier grinst. Geisterhaft und bedrohlich ist die Grundstimmung, selbst die Texte sind in triefendes Schwarz getüncht. Live gibt es dazu Schamanenkostüme und grüne Laserstrahlen, die Videos runden diese Inszenierung von Musik brillant ab. Denn was Fever Ray ausmacht, ist im Baukasten des Gegenwartspop so bisher nicht zu finden. (Markus Wiludda)

HEALTH

„Get Color“

[2009; Lovepump United | City Slang | Universal] Rezension, MySpace

HEALTH konvertierten mit ihrem zweiten Album die musikalische Negation in das Format des Post-Punks und schlugen mit ihrem Zwitter aus verhalltem Gesang und infernalischen Lärm ein wie eine Bombe. Wer die Truppe aus Los Angeles live gesehen hat, wird dies sogar wörtlich nehmen, bekam man es angesichts des Wahnsinns auf der Bühne doch schon fast mit der Angst zu tun. Mit „Get Color“ holten sie den Noise aus seiner subkulturellen Nische und platzierten ihn wieder sichtbar auf der musikalischen Landkarte. Damit setzten sie dieses Jahr deutliche Akzente und verliehen einem etwas stagnierenden Genre neue Impulse. (Philip Fassing)

Sunset Rubdown

„Dragonslayer“

[2009; JagJaguwar | Cargo] Rezension, Homepage, Konzertbericht

Das vierte Werk von Sunset Rubdown droht anfangs missverstanden zu werden, versteckt sich seine Komplexität doch tückisch hinter einer simpel anmutenden Fassade. Wer den Kanadiern berechenbaren Pop mit Refrain-Strophe-Refrain-Schema unterstellen will, hat nicht richtig hingehört und verpasst einen der ganz dicken Brocken des Jahres! Camillas zunehmend an Bedeutung gewinnender Zweitgesang, die geschickt platzierten Prog-Elemente, Spencers wie gewohnt immer wieder sich selbst überholen wollende Stimme, all das hat natürlich System und geschieht unter strikter Aufsicht. Den wahren Trumpf spielt „Dragonslayer“ jedoch erst nach längerer Bekanntschaft aus, genau dann, wenn wie in „Black Swan“, „Idiot Heart“ oder dem Herzstück „You Go On Ahead (Trumpet Trumpet II)“ die stetig ansteigende Intensität, dieses aufkommende Kribbeln, physisch spürbar wird. (Pascal Weiß)

Dirty Projectors

„Bitte Orca“

[2009; Domino] Rezension, MySpace

Schlaumeierpop, der einmal über das übliche Zitatgedresche hinausgeht. Die Dirty Projectors denken und vor allem werkeln Weird Folk, traditionelle afrikanische Musik und modernen R’n’B zu einem virtuos hakenschlagenden Kaleidoskop von einem Album zusammen und treiben damit die verschiedensten Bewegungen im amerikanischen Indie auf die Spitze und darüber hinaus. Glockenhelle Harmoniegesänge treffen hier auf halsbrecherisch wie exotische Zupfinstrumente gespielte Gitarren, ohne dabei jemals in dumpfer Leistungsschau zu enden. „Bitte Orca“ führt gängige Pop-Schemata an der Nase herum, spielt dem Hörer das eine oder andere Mal Knoten in die Synapsen und bleibt dabei doch immer zugänglich und voller Schönheit. Hirn und Herz werden hier aufs Wunderbarste gleichermaßen bedient. (Bastian Heider)

Animal Collective

„Merriweather Post Pavilion“

[2009; Domino] Rezension, MySpace

“Met a dancer / who was high in a field / from her movement / caught my breath on my way home / couldn’t stop that spinning force / I felt in me / everything around seemed to giggle glee / she walked up with a flower and I cared.” Der Anfang eines unvergessenen Trips. Von nun an herrscht emotionaler Ausnahmezustand. Es sind Momente, in denen man ganz automatisch ins Bücherregal greift, Joe Boyds „White Bicycles“ aufschlägt und sich auf imaginäre Reise in den bunten Hochsommer 1967 begibt, ins UFO, Tomorrow spielen gerade. Gedanken vermischen sich. Die eigene Jugend ist plötzlich wieder greifbar, der Dampf von sonnenbetanktem Teer schwebt in der Luft, vermengt sich mit dem Geruch der Liebsten, hitzeausstrahlende Häuserwände sind Zeugen innigster Verbundenheit – diese Umarmung ist für immer. „No one should call you a dreamer.” (Pascal Weiß)

12 Kommentare zu “AUFTOUREN: 2009 – Das Jahr in Tönen”

  1. Jeanette sagt:

    Die „Us“ ist toll, bisher eine wilde Mischung. Find ich gut!

  2. Jakob sagt:

    DANKE das ihr euch so eine Mühe macht. Macht echt Spaß hier mitzufibern:)

  3. B.L. sagt:

    Kenne (Stand bis 31. Platz) mehr als die Hälfte davon nicht :(

  4. Markus sagt:

    …keine Sorge, die bekannteren Alben kommen bestimmt noch. Schließlich ist das unsere Konsensliste ;) Gerne hilft dir das AUFTOUREN-Team auch per Mail weiter, wenn du noch ein paar weitere tolle Alben aus deinen bevorzugten Musikspektren „brauchst“. Wir freuen uns immer, wenn wir Leuten gute Musik empfehlen dürfen.

  5. Lennart sagt:

    Da hat der Markus recht.

  6. Sven sagt:

    Mal ganz davon abgesehen davon, dass es manchem Schreiber mitunter durchaus ähnlich geht…ehem.

  7. […] hat sich die komplette AUFTOUREN-Redaktion nun einigen können und präsentiert ihre 50 Favoriten. Hier gelangt ihr zu den Plätzen 50-31, Rang 30-11 findet ihr an dieser Stelle! In den nächsten Tagen […]

  8. […] AUFTOUREN-Favoriten wie Spoon, Chokebore, Los Campesinos!, Faith No More, Moderat, Owen Pallett, Brother Ali, Anti-Pop Consortium, Lee Field & The Expressions, Get Well Soon, The Raveonettes, Gui Boratto, […]

  9. […] konnte im letzten Jahr mit seinem Werk den Platz 39 unserer Jahrescharts belegen und schon damals überzeugte uns der klassisch atmosphärische Charakter seines […]

  10. […] Substanzlosigkeit erstaunliche Langzeitqualitäten bewies – und es auch bis in unsere Jahrescharts […]

  11. […] 2008 haben wir uns noch auf 30 Platten beschränkt, letztes Jahr gab es dann neben unseren 50 Lieblingen zusätzlich eine Auswahl etwas weniger bekannter Werke, unsere "Geheime Beute". Nun […]

  12. Pascal Weiß sagt:

    Freude, Freude: Am 19. Mai ist es wieder soweit, unsere Nummer 1 aus 2009 (und nicht nur das) kommt zurück nach Köln. Yeah. Einen Tag später steht Berlin auf dem Programm. „We got to open up your…“

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