Der Bio-Supermarkt in der nächsten Straße hat sich gerade verbreitert: Größere Ladenfläche, mehr Auswahl, noch frischere Produkte. Selbst inmitten wirtschaftlicher Krisenzeiten boomt das Geschäft mit der Naturbelassenheit. Unbestreitbar gibt es seit ein paar Jahren einen regelrechten Trend zur Ursprünglichkeit, der sogar seine Entsprechung auf musikalischem Terrain findet. Zwar kam noch niemand auf die Idee, die Wirkung von Weird Folk, wie er seit ein paar Jahren dank der Großvertreter Devendra Banhart, Joanna Newsom, Espers oder Akron/Family durch alle Boxen perlt, auf die Expansionspläne von Bio-Supermärkten zu überprüfen (dabei existieren doch für alle möglichen Sachzusammenhänge wissenschaftliche Studien…), aber es scheint da in der westlichen Welt eine Bewegung zu geben, die universell wirkt.

Und wenn man „Veckatimest“ hört, dann vervollständigen und verselbstständigen sie die Eindrücke und überformen mit der gewaltigen Kraft der Assoziation, dass es sich bei Grizzly Bear um eine Gruppe gutgewaschener, kluger Kunsthochschulabsolventen aus Brooklyn mit Freifahrtsschein als Schwiegermutters Liebling handelt. Man kann sich regelrecht vorstellen, wie sie sich zunächst ihre Kinnbärte haben sprießen lassen, dann ein Vierer-Busticket lösten und anschließend ihr leicht angeschrabbeltes Instrumentarium aus dem muffigen Kabuff holten, um mit fröhlichem Singsang einen Ausflug in den möglichst dichten Wald zu machen, um ihr Album einzuspielen. Händchenhaltend und mit Blumen im urwüchsig wallenden Haar als einzigen Körperschmuck, den die innere, persönliche Freiheit im Einklang mit der Natur zuließ.

Die Wahrheit mag trister sein, das Album hingegen ist es nicht. Zwar beginnt „Southern Point“ etwas fahrig und bedächtig, poltert dann aber enthemmt los als wolle es die Lethargie abschütteln und den Waldgeistern einmal mächtig einheizen. Zwischendurch wird noch ausgelassen getanzt, unter rasendem Getrommel Grimassen geschnitten und am Käuzchenruf gefeilt. Eine Flöte darf auch noch ran und eine stolze Geige tropft eher wehmütige Klänge über den Song, bis das simple Akustikgitarrenmotiv des Anfangs wieder ertönt. Erst dann sind die ersten fünf Minuten dieses seltsamen, wilden Traumes vorbei und man fragt sich zu Recht, wie es mit diesem schamanischen Kuddelmuddel weitergeht, wenn bereits jetzt schon mehr Ideen eingeschoben wurden als in der kompletten Diskographie Bon Jovis.

Die Antwort lautet: mit einem lupenreinen Hit, der in einer besseren Welt als der unsrigen durchaus das Zeug hätte, auf Lebenszeit die vordersten Plätze zu belegen. „Would you always? Maybe sometimes? Make it easy?“ ertönt es in „Two Weeks“ in subtil gebrochenen Harmoniegesängen, zu denen Grizzly Bear schon immer (eine bis dato etwas verdrängte) Affinität hatten, die sie jetzt befreit ausleben können. Denn schließlich haben sie ihren Ruf als verwunschene und etwas kauzige Wundertruppe bereits mit ihrem letzten Album „Yellow House“ besiegelt, so dass sie etwas offensichtlicher die Popmusik umarmen dürfen. Und von diesem Angebot machen sie durchaus Gebrauch, wie der nicht so geheime zweite Hit „While You Wait For The Others“ mit seinen verschleppten Gitarren, dem Spiel zwischen laut und leise und den hymnischen Hintergrundmelodien beweist.

Überhaupt scheint ihr Graswurzelfolkentwurf jederzeit innerlich ausgeglichen. Nicht im Sinne des klaren Klangbildes (die Produktion ist eher schlonzig-erdig), sondern in ihrem losen Wildwuchs aus Melodien, lakonischem Instrumentarium und eher bedrückenden Texten, die selbst in ihren strahlendsten Momenten wissen, dass gute Momente nicht ewig dauern. Und irgendwie liegt darin ja auch der Kern aller Romantik.

Grizzly Bear hört man an, dass sie zur Perfektion fähig wären, allein – sie wollen sich dem wohlfeilen Wohlklang besonders im etwas dröge geratenen Mittelteil nicht beugen. Da wuselt das Sammelsurium an Schlagwerk durch das Dickicht, verbiegt im Minutentakt Kammermusik-Gitarren und betört sich mit dem Nebel des Hippietums. Nicht selten gerät dann das ätherisch-höhelastige Säuseln aus der Spur und lässt den Song im Nirwana enden. Wenn zudem die ersten Sonnenstrahlen blinzelnd durchs Geäst lugen, dann wird’s beinahe sakral. Hochfliegend wird sich im Chor eingestimmt und in spiritueller Matsche gesuhlt, bis der magische Grad der Einheit zwischen Erinnerung, Hoffnung, Jetzt und Immer erreicht scheint. Hallelujah!

Gottseidank wird danach auch wieder Musik gemacht. In einem unerschöpflichen Strom aus spinnerten Ideen und mit vertrackter Rockmusik gewinnen sie die Meisterschaft in der Andeutung. Meist genügt der Band ein guter Ansatz, den sie mit geschickt platzierten Details aufhübschen, so dass der Schein Spontaneität vorgaukelt. Melodien verlieren sich in Psychedelik, der Gesang rückt ein wenig näher zu den Waldgeistern und die Instrumente erinnern sich ihrer Wurzeln, als noch der Fluss des Lebens in ihren spross. Dabei erfüllen sie natürlich spielend jegliche gängigen Klischees einer angesagten Indieband, von kindlicher Entdeckensgier im adoleszenten Mann, von weltentrücktem Treiben auf der Suche nach Natürlichkeit. Und wäre da nicht diese schier unglaubliche Lebendigkeit, drei gänzlich herausragende Songs und der sympathische Charme, man könnte ihnen diese Freak Folk-Formelhaftigkeit etwas übelnehmen, bevor man schließlich doch und immer wieder beherzt und mit gutem Gefühl in dieses lecker naturbelassene Bio-Produkt beißt.

83

Label: Warp

Referenzen: Wald, Department Of Eagles, Denvendra Banhart, Akron/Family, Caribou, Animal Collective, Dirty Projectors, High Places, Fleet Foxes, The Dodos

Links: myspace, Homepage

VÖ: 22.05.2009

11 Kommentare zu “Review: Grizzly Bear – Veckatimest”

  1. James sagt:

    Von mir bekäme das Album mal mindestens 9 von 10 Punkten ;)

    Sonst v.a. am Anfang ein toller Review!

  2. Pascal sagt:

    @James: Leider kann das äußerst hohe Niveau erster Songs in meinen Augen insbesondere im Mittelteil nicht ganz gehalten werden, deshalb ist es auch für mich eben nicht ganz die erhoffte 9/10. Aber selbstverständlich ein großes Werk, das auch am Ende des Jahres nochmal auftauchen wird, da bin ich mir sicher;) In naher Zukunft ist übrigens ein Interview geplant…

  3. dominik sagt:

    von mir gibts auch die 9/10.

    @Pascal
    der mittelteil ist doch großartig! allen vorran „ready, able“.
    aber die review ist wirklich sehr gelungen. weiter so!

  4. James sagt:

    Jetzt mal ganz abgesehen davon, wie oft hört ihr die Alben in der Regel bevor ihr dann was darüber schreibt?

    @Pascal
    Ein Interview wäre natürlich weltklasse!

  5. Pascal sagt:

    @James: Das kann man natürlich nicht pauschal sagen. Jeder Autor hat da sicherlich seine eigene Philosophie, zudem hängt das natürlich auch ein wenig vom Album an sich ab. Manchmal kann zusätzlich entscheidend sein, wann die Promo hier eintrifft. Einige Unbekannte also in dem Term;) Als Richtwert: Wenn ich eine Rezension schreibe, habe ich die Platte im Schnitt ca. 7-10mal gehört.

  6. Markus sagt:

    Da pflichte ich Pascal bei. Denke schon, dass wir alle recht ausführlich in die Alben reinhören – selbst während des Schreibens läuft bei mir immer das Album. Ob das nun dann eher fünf Durchgänge sind oder zehn kommt immer auf den Einzelfall an. Zudem hören wir alle generell recht viel Musik, so dass wir u.U. schneller als andere zumindest im Ansatz erkennen, ob da noch Substanz steckt oder das Ding ausgereizt ist. Mit Abstand würde vermutlich jeder etwas anders bewerten – und auch die Tagesform ist entscheidend. Entsprechend sind unsere Wertungen nur subjektive Tendenzen.

  7. […] geschliffen. Das hinterlässt Eindruck, nicht nur bei solchen Größen wie Broken Social Scene oder Grizzly Bear, für die man in diesen Tagen live eröffnen […]

  8. […] wie eine EP, mag sie auch noch so extended sein, long (also eine LP) ist, steht Daniel Rossen für Grizzly Bear bzw. Department Of Eagles. Ein Teil macht kein Ganzes aus, ist aber für dessen Gänze allemal […]

  9. […] berechtigten Animal-Collective-Vergleichen rumschlagen musste. Dann auf einmal lieferten sie mit „Veckatimest“ ein Album ab, auf das sich alle einigen konnten und das mit „Two Weeks“ und „While You […]

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