IN PRINCIPIO ERAT VERBUM

Eine ungestimmte Gitarre. Ein gequälter Sänger. In weiter Ferne schrammt er die ersten Akkorde einer Folk-Ballade. Er ist kaum zu verstehen, die Melodie nur im Ansatz erkennbar. Aber eines ist sicher: Dieser Mann hinter dem Mikro nutzt die Musik als reine Katharsis. Dann erwacht die Band, im Chor ein wütendes “Fuck You!“ und die Lawine prescht los, naht mit niederwälzender Wut heran und nimmt rotzfrech alles mit, was sich ihr entgegenstellt. Skrupellos gallopiert sie vorwärts, mit sägenden Gitarren, Marschrhytmen und kommt in einem furiosen Finale aus Trompeten und stampfender Rhythmusfraktion zur Vollendung. Den Ausklang findet “Fear and Loathing in Mahwah, NJ“ mit einer Rezitation aus Sheakespeares umstrittener Tragödie um den römischen Feldherren “Titus Andronicus“, welcher der fünfköpfigen Band aus Glen Rock als Namensgeber diente.

Die Messlatte ihres Debüts liegt nach dem mitreißenden Opener beinahe unüberwindbar hoch. Dennoch gelingt es der Band das Niveau über die folgenden acht Lieder mit dem kleinen Finger aufrecht zu halten. “The Airing of Grievances“ klingt wie ein Bastard aus einem Conor Oberst in seinen besonders verzweifelten Tagen, den Thermals und vereinzelten Shoegaze-Anleihen, garniert mit einer würzigen Prise Hass. Hier suhlt sich der Rock ’n’ Roll im Straßenmatsch und läuft anschließend durch die Stadt, um jedem eine freche, dreckige Umarmung zu schenken. Sänger Patrick Stickles, dessen verbittert-poetischen Geschichten oft erst durch einen Verzerrer den Weg aus der Box finden, murmelt, keift, jault und nölt, dass selbst die Leiden eines jungen Conor Oberst wie Feriengeschichten vom Ponyhof wirken.

“Arms against Atrophy“ schüttelt sich in seiner Tanzbarkeit frei von allem Kummer. Die frustrierten Texte bekommen durch eine kräftige Folk ’n’ Punk-Instrumentierung ihr passendes Gerüst. „The word ‚love‘ gets thrown around a lot near graduation, so please don’t whisper sweet nothings in my ear when the sound of shredding vocal chords is what I want to hear”. Und auch das stimmungsvolle, selbstbetitelte Stück “Titus Andronicus” darf mit seinem kollektiven „Your life is over!“-Abgesang auf keiner Abrissfete mehr fehlen. „Throw my guitar down on the floor / No one cares what I’ve got to say anymore“.

FINIS CORONAT OPUS

Dem folgt mit dem Zweiteiler “No future part I and II” konsequent eine 15-minütige, verschlampte Blues-Hymne, in der Titus Andronicus mit wehenden Fahnen in Richtung Hoffnungslosigkeit steuern. „Because I’ve been waiting all year for the temperature to drop, but now I’ve got a fever and I don’t know how to make it stop.“ Und wie könnte ein Album, das durch jede Pore die pure Gleichgültigkeit und Selbstaufgabe atmet, besser enden, als mit einem Lied namens “Albert Camus” und den Worten: „Because the more we think, the less it all makes sense, tonight we will drink to our general indifference.”

ERGO BIBAMUS!

8.3 / 10

Label: XL

Spieldauer: 46:03

Referenzen: The Thermals, Desaparecidos, Neutral Milk Hotel, Guided By Voices, Minor Threat, British Sea Power, No Age

Links: Homepage, MySpace

VÖ: 20.01.09 (USA)

2 Kommentare zu “Review: Titus Andronicus – The Airing Of Grievances”

  1. […] aus diversen Ärmeln geschüttelt. Jingle-Jangle-Pop trifft auf nette Bar-Rock-Anleihen, grüßt Titus Andronicus, während die Feinpsychedelik samt Farfisa-Orgel („Dream Of Dreams“) am fröhlichen Mut des […]

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