Diese Frau muss der Welt nichts beweisen und will es auch gar nicht. Sie will einfach ein paar Songs mit ihr teilen und das macht die Londoner Newcomerin Speech Debelle vom Grundsatz her schon sympathischer als viele ihrer männlichen Kollegen im momentan etwas ausgelaugten HipHop-Zirkus.

Da kommt eine sanfte Revolution gerade recht, die kein „Mehr“ einfordert oder gar auf eine zugespitzt harte Produktion setzt, sondern mit Understatement eine eher private Vision umsetzt, die in ihrer Umsichtigkeit begeistert. In der Welt von Speech Debelle dominieren die weiblichen Attribute, der männlich-konfrontative Gestus ihrer Kollegin Tor Cesay fehlt komplett im Kosmos der Mitzwanzigerin, die auch musikalisch einen erfrischend konservativen, weil durchweg analogen Weg geht. Auf ihrem Debüt müssen digitale Handclaps und muskulöse Donnerbeats zu unserem Besten draußen bleiben.

Schon der Anfang der Platte öffnet fast zärtlich mit Pickings auf der Konzertgitarre und hebt den brokatenen Vorhang, um neugierigen Blicken Einlass zu gewähren. Sanfte Saitenschwingungen bereiten „The Searching“ den Weg und den Hörer auf ein HipHop-Album vor, das mit seiner Ästhetik in jazzige und soulige Gefilde vordrängt und dabei doch typisch londonerisch-urban und aktuell klingt. Zusammen mit Roots Manuva-Hofproduzent Wayne Lotek und einem Allerlei aus Kontrabass, Klarinette und Geigen spinnt sie Räume, die sich nicht zwischen der intimen Geborgenheit eines Kammerkonzerts und großer Showbühne entscheiden können und es eben auch nicht müssen.

„I love to feel“, singt Speech Debelle. Ein klarer Fürspruch für das Leben mit all seinen Schwierigkeiten, Unwägbarkeiten, Freuden und Tränen. Es geht um familiäre Beziehungen, die Unsicherheiten des Erwachsenwerdens und auch immer wieder um Reflexionen des eigenen Standpunktes. Die jugendliche Stimme wandert dabei selbstsicher umher, ohne aufdringlich zu werden und ihre subtile Schüchternheit gänzlich zu übertünchen. Auch hier zeigt sich ihr Gespür für den goldenen Mittelweg, der ihr wie eine Notwendigkeit vorkommt.

Egal, ob der Geigeneinsatz bei „Bad Boy“ in mulmige, gar etwas schemenhaft-bedrohliche Gefilde führt oder bei der hervorragenden Single „The Key“ Kontrabass und Klarinette sich gar swingend zum Refrain hochschaukeln, der ebenso wie das ganze Album austariert eine innere Balance erreicht wie man selbst nur einer ausgedehnten Yoga-Session. Einzig das immerwährend leicht zu dominant abgemischte Schlagwerk stört ein wenig die Harmonie zwischen den Instrumenten und der Stimme, die eine fast heimelige Stimmung generieren. Nichts wird dramatisiert, nichts gibt sich exzentrischen Gesten hin, nie wird es abseitig und gewollt. „Speech Theory“ ist eine einzige Wohltat – vom Beginn bis hin zum fast melancholischen Abschlusstrack, den selbst das Quäntchen Pathos zuviel nicht der Leichtigkeit berauben kann. „Gone Then, Bye“ ist in seiner leichtfüßigen Ergriffenheit Paradebeispiel für das sinnliche Erleben, was dieses Album ermöglicht: Das souveräne und nie aufdringlich-anbiedernde Songwriting und seine nahe am Gospel tickende, soulige Grundattitüde. Die Stimmung, Atmosphäre und Aura ihres Debüts eint im Kern die Verschiedenheit der Tracks.

Speech Debelle schlägt Brücken zum Pop, zum Jazz und Soul. Ihr Ansatz ist einer der Vermittlung, nie weit weg vom Konsens. Ihre Geschichten brauchen keine Feindbilder, die eigene Persönlichkeit ist ihnen genug (nur zweimal gibt es mit Roots Manuva und Micachu wortkräftige Unterstützung). Dabei steht es in keinerlei Konkurrenz zum anderen überlegenen HipHop-Album der Saison von Two Fingers. Statt scharf gewetzter Digitalklingen gibt es hier wärmendes Schlagwerk, eine luftig-inszenierte Instrumentierung in lange nicht mehr vernommener Popgüte. Ein sensationell wertiges HipHop-Album.

83

Label: Big Dada

Spieldauer: 51:04 Min

Referenzen: US3, Roots Manuva, The Streets, Brand New Heavies, Guru

Links: MySpace, Big Dada

VÖ: 29.05.2009

6 Kommentare zu “Review: Speech Debelle – Speech Therapy”

  1. Pascal sagt:

    „Ein sensationell wertiges HipHop-Album.“

    „Dabei steht es in keinerlei Konkurrenz zum anderen überlegenen HipHop-Album der Saison von Two Fingers.“

    Agreed completely!

  2. Pascal sagt:

    „The Key“, Leute, ich bitte Euch;)

  3. Markus sagt:

    ja, kauft euch bitte alle dieses Album. Schenkt auch noch zehn Kopien an eure Freundinnen und Ex-Freundinnen. Das ist ein Album für alle. Eigentlich das totale Konsensding. Und immer noch herrlich toll! „The Key“ ist natürlich klar in den Top30 der besten Tracks des Jahres.

    Hoffe, die kann noch ein paar weitere Alben auf diesem Niveau machen – dann dürfte sie auch schnell relevanter für die größeren Magazine werden.

  4. Markus sagt:

    ….und herzlichen Glückwunsch zum Mercury-Preis! Hat sich dieses Jahr gegen diese hier durchgesetzt

    Bat for Lashes – Two Suns
    Florence & The Machine – Lungs
    Friendly Fires – Friendly Fires
    Glasvegas – Glasvegas
    Kasabian – West Ryder Pauper Lunatic Asylum
    La Roux – La Roux
    Led Bib – Sensible Shoes
    Lisa Hannigan – Sea Sew
    Sweet Billy Pilgrim – Twice Born Men
    The Horrors – Primary Colours
    The Invisible – The Invisible

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