Quartalsrückblick: April - Juni 2010

Seit Jahren diskutieren die Experten über die Zukunft der Musik- und Tonträgerindustrie. Mal ist von Outsourcing die Rede, an anderer Stelle rät man zur Ausweitung der Wertschöpfungskette; die A&R-Abteilung und der langfristige Imageaufbau sollten wieder stärker in den Vordergrund rücken, schließlich habe sich das mit der Halbwertszeit unserer so beneidenswert talentierten hiesigen Superstars ja doch langsam rumgesprochen.

Von anderen Leuten aber ist zu hören, dass gerade die Werbefunktion des TVs nicht zu unterschätzen sei, hier gelte es die vorhandenen Potentiale weiter auszuschöpfen. Gegenüber wirft einer mit Begriffen wie „Crossmedia“, „Pricing“ oder „Bundling“ um sich, jaja: „Mit Musik an sich verdient man heute keinen Penny mehr, die Kopplung an ein Hardware-Produkt ist die einzig sinnvolle Variante.“ Ansätze gibt es viele, es wird nach wie vor kontrovers debattiert. In einem Punkt aber sind sich alle einig: Das Albumformat hat Anfang dieses Jahrzehnts – ähnlich wie schon zu Beginn der letzten Dekade prognostiziert – keine Zukunft mehr. Denkste.

Wer wie MGMT mit „Oracular Spectacular“ gleich mit dem Debüt einen Millionenseller raushaut, dazu mit Singles wie „Kids“ oder „Time To Pretend“ über Jahre auf Dauerrotation nahezu sämtlicher Radiosender läuft, von dem erwartet man auf dem zweiten Werk eine Aneinanderreihung von Hits, schön glatt geschliffen, blitzeblank poliert – mindestens die Hälfte davon soll schließlich als Single taugen. Und überhaupt muss heute ja jeder Song zünden, die Hörer sind ja längst daran gewöhnt, jeden einzeln erwerben zu können. Das Modell „99 Cent pro Song“ hat sich etabliert, festgesetzt in den Köpfen. Nun aber kommen eben genannte MGMT mit ihrem herrlich betitelten Zweitwerk „Congratulations“ und hinterlassen staunende Gesichter: Neun neue Songs sind es geworden, alle eng miteinander verwoben, kein einziger ragt heraus. „Ey, die haben früher so geile Mucke gemacht, aber das hier, ne, beim besten Willen nicht“, gar von einem „Schnellschuss“ (wie weit bitteschön ist es davon weg?) ist die Rede. Auch das Radio verzweifelt, beschwert sich, dass keine Singles vorhanden seien unter den neun neuen Stücken – dabei bekommen diejenigen, die sich nicht nur einmal hastig durch die Snippets bei Amazon klicken, ganze dreißig davon vor den Latz geknallt. MGMT haben ein deutliches, erfreuliches Zeichen gesetzt: Das Albumformat sollte längst noch nicht abgeschrieben werden.

Es gibt zahlreiche weitere Künstler, die ähnlich denken: Da wäre u.a. der kommende R’n’B-Superstar Janelle Monáe zu nennen, die ihrer womöglich in die Geschichte eingehenden Performance bei Letterman ein Gesamtwerk folgen ließ, das, so heterogen es auch ist, so viele Stile es auch vereint, die einzelnen Stücke kunstvoll in ein großes Ganzes bettet. Oder nehmen wir Flying Lotus, hier wird die Promo gleich als ein einzelner, knapp 46-minütiger Track geliefert. Und wo wir gerade beim Thema Album sind: Herzlich gratuliert werden darf den derzeit allerorts geliebten Herren von The National, die haben es hierzulande mit ihrem großartigen „High Violet“ sogar bis in die Top 10 der Albumcharts geschafft; ein weiterer erfreulicher Fingerzeig.

Zudem fällt auf, dass die Vinyl-LP jetzt schon seit einigen Jahren eher steigende denn fallende Verkaufszahlen vorweisen kann, viele Künstler und Labels bieten umfangreiche, wenn auch kostspielige Vinyl-Boxsets an, die sich häufig trotzdem lohnen, die Nachfrage ist da. Interessant: In Zeiten, in denen sich jeder von uns hunderte von Gigabytes auf seinen tragbaren MP3-Player ziehen kann, scheinen sich manche wieder nach Orientierung zu sehnen und Zeit für ihre liebsten Platten zu nehmen. Mit welchen wir in den letzten Monaten die meisten Stunden verbracht haben, könnt ihr nun bei Interesse gern erforschen. Viel Spaß beim Durchklicken:

Carl Ackfeld

Sam Amidon – I See The Sign
Josh Ritter – So Runs The World Away
Anais Mitchell – Hadestown
Nina Nastasia – Outlaster
Hans Unstern – Kratz Dich Raus

Simon Bauer

MGMT – Congratulations
The Morning Benders – Big Echo
The National – High Violet
Gisbert zu Knyphausen – Hurra! Hurra! So nicht.
The Get Up Kids – Simple Science EP

Björn Bischoff

The Tallest Man On Earth – The Wild Hunt
Sage Francis – Li(f)e
James Brown – Time For Payback
Flying Lotus – Cosmogramma
Meshell Ndegeocello – Devil’s halo

Uli Eulenbruch

Oneohtrix Point Never – Returnal
Von Spar – Foreigner
65daysofstatic – We Were Exploding Anyway
Triclops! – Helpers On The Other Side
The Hundred In The Hands – This Desert EP

Philip Fassing

Beach Fossils – Beach Fossils
Wild Nothing – Gemini
Ariel Pink’s Haunted Graffiti – Before Today
Actress – Splaszh
Efdemin – Chicago

Bastian Heider

Broken Social Scene – Forgiveness Rock Record
Josh Ritter – So Runs The World Away
Janelle Monáe – The ArchAndroid
Jamie Lidell – Compass
Nina Nastasia – Outlaster

Kevin Huber

The National – High Violet
Broken Social Scene – Forgiveness Rock Record
Janelle Monáe – The ArchAndroid
Baths – Cerulean
Ariel Pink’s Haunted Graffiti – Before Today

Felix Lammert-Siepmann

The National – High Violet
Triclops! – Helpers On The Other Side
Gayngs – Relayted
Flying Lotus – Cosmogramma
MGMT – Congratulations

Johannes Mihram

CocoRosie – Grey Oceans
Marina & The Diamonds – Family Jewels
Trentemøller – Into The Great Wide Yonder
John Grant – Queen Of Denmark
Caribou – Swim

Sven Riehle

Broken Social Scene – Forgiveness Rock Record
Future Islands – In Evening Air
Baths – Cerulean
The National – High Violet
LCD Soundsystem – This Is Happening

Constantin Rücker

Flying Lotus – Cosmogramma
Alva Noto – For 2
Oneothrix Points Never – Returnal
The Tallest Man On Earth – The Wild Hunt
Actress – Splaszh

Lennart Thiem

Oh No Ono – Eggs
Wild Nothing – Gemini
Julian Lynch – Mare
The School – Loveless Unbeliever
Tame Impala – Innerspeaker

Pascal Weiß

LCD Soundsystem – This Is Happening
The National – High Violet
Broken Social Scene – Forgiveness Rock Record
Flying Lotus – Cosmogramma
Josh Ritter – So Runs The World Away

Markus Wiludda

Baths – Cerulean
Gayngs – Relayted
Actress – Splaszh
The National – High Violet
Open Mike Eagle – Unapologetic Art Rap

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