Die Liveauftritte des britischen Quartetts 65daysofstatic scheinen in kuriosem Kontrast zu ihren Studioaufnahmen der letzten Zeit zu stehen. Im Konzert jagen sie den Dezibelmesser nur zu gern bis an die Grenze des Erlaubten, nicht immer zugunsten des Gesamtklangs. Legt man jedoch ihr neues Album in die Musikanlage, mutet es trotz sofort hervorstechender Beats im direkten Abspielvergleich mit aktuellen Veröffentlichungen wie der neuen von The Hold Steady irgendwie reserviert an.

Ein Effekt, der sich schon bei ihrem letzten Werk „The Destruction Of Small Ideas“ beobachten ließ – und der völlig beabsichtigt ist. Bei einem Interview stellte sich damals heraus, dass die Band sich den ausgerechnet vom Interviewer verfassten Artikel Imperfect Sound Forever über die fatale „Lauter um jeden Preis“-Philosophie moderner Musikproduktionen zu Herzen genommen hatte und statt eines überkomprimierten Einerleis, bei dem ein leises Flüstern genau so wuchtig hervorplärrt wie ein Schrei, sich für eine angenehm anzuhörende Aufnahme mit großem dynamischem Spielraum entschieden hatte.

So enthüllt auch „We Were Exploding Anyway,“ am besten natürlich unter Kopfhörereinsatz, erst bei entsprechender Lautstärke alle seine Schichten und Details – und das sind wahrlich nicht wenige. Bereits zu Anfang des eröffnenden „Mountainhead“ wird munter breakbeatig-vertrackt rhythmisiert, eine Melodie nach der anderen tritt quer darunter auf den Plan bis es unmöglich wird den Überblick über die Handvoll verschieden vektorisierter Tonbewegungen zu behalten. Auch das folgende, ebenfalls von einem wuchtigen und teils elektronischen, teils perkussiven Beat angetriebene „Crash Tactics“ quillt nur so über vor Klängen die das Songgefüge jedoch nie verlassen.

Selten sind wie hier gleich zwei Gitarren zu hören, „Dance Dance Dance“ mit seinem Kuduro-ähnlichen Stampfen wird z.B. minutenlang von Rave-Arpeggien und Noisefräsen zersägt bis erst ganz zum Schluss der Sechssaiter erklingt. Wie zu erwarten sind 65daysofstatic besonders wirkungsvoll, wenn sie wie auf  dem manisch betrommelten „Piano Fights“ ihre Vorliebe für kräftige Dance-Beats und überhaupt ihren stärkeren elektronischen Fokus mit ihrem Gefühl für langsamen Spannungsaufbau zu erlösend hymnischen Refrainexplosionen kombinieren, sie haben aber auch neue Tricks auf Lager.

Die sind nicht alle wirkungsvoll, so ist das achtminütige Mittelstück „Come To Me“ mit zerhackstückeltem Gesang von Robert Smith höchstpersönlich versehen, in der Summe aber nicht mehr als nett. Umso herrlicher aber was dann folgt, nach einem Cyber-Freakout bringt „Debutante“ die stimmungsvolle und für 65daysofstatic-Verhältnisse nahezu ambiente Überleitung zu einem Finale das sich gewaschen hat. Über konstant pumpendem 4/4-Fundament entfaltet „Tiger Girl“ ähnlich wie Fuck Buttons‘ letztjähriges „Flight of the Feathered Serpent“ nacheinander mehrere noisepoppige Schichten aus Sägen, Blubbern, Glitch-Gehüpfe und Neon-Drones, die sich minutenlang entlang einer Spannungskurve verdichten, an Intensität nachlassen, erneut anziehen und schließlich in einem grandiosen Noisegazerave konvergieren. Es ist dieses Gefühl erlösender Euphorie, das 65daysofstatic immer wieder jagen. Mit „We Were Exploding Anyway“ dürften sie ein für alle Mal gezeigt haben, dass ihnen dazu jedes Mittel recht ist.

80

Label: Hassle Records

Referenzen: Mad Capsule Markets, Battles, Fuck Buttons, The Prodigy, Dan Deacon

Links: Homepage, Label

VÖ: 30.04.2010

2 Kommentare zu “Rezension: 65daysofstatic – We Were Exploding Anyway”

  1. […] Point Never – Returnal Von Spar – Foreigner 65daysofstatic – We Were Exploding Anyway Triclops! – Helpers On The Other Side The Hundred In The Hands – This Desert […]

  2. […] dem schneidigen Noise-Dance von „We Were Exploding Anyway“ fallen die britischen Post-Mathleten mitunter in alte Detailverlorenheit zurück, die schon mit […]

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