Wo hitzige Diskussionen um das Surf-Revival meist keinen gemeinsamen Nenner finden, treiben im weiten und ebenfalls durchaus bei alten Klangschatten sich bedienenden, aber noch recht frischen Feld des Synth-Pop zahlreiche erfreuliche Blüten. Nachdem Future Islands bereits vor einem halben Jahr als eine der interessanten Bands für 2010 gehandelt wurden, bestätigt "In Evening Air" diese Vermutung nicht nur. Was sie nun wiederholen, schafften Former Ghosts bereits 2009 mit einem einfachen, rauen, aber durchweg schillernden Erstling: Sie sorgten für Vertrauen zu einem weiteren Retro-Genre, das nicht missverstanden werden will.

Praktisch auf einem einzigen Beat reitet Samuel T. Herring durch "In Evening Air". Die Grenze zwischen Konsequenz und Eintönigkeit wird mit einem durchweg positiven Ergebnis ausgelotet. Das Schlagwerk ist meist reine Funktionalität und bewegt sich so nur zwischen vorausschauendem Andeuten und kräftigem Wummern, gleiches gilt für die durchgehend übersteuernden Bässe. Besonders aber die stimmliche Achterbahnfahrt zeigt große Wirkung. Herrings Gesang ist sympathisch, attraktiv, hochmaskulin, angsteinflößend und imposant, dann wieder entrückt, und letztlich sich überschlagend im größten Moment, "Long Flight": "And you can’t look me in my eyes anymore, without yourself in offense / you know you hurt me so bad / it’s cause you need a home." Mal mit reflektierenden, mal mit romantischen, oft mit gnadenlos ehrlichen Parolen, erzählt, singt, raunt, grölt, leidet der kräftig gebaute Herring sich durch die neun Stücke, ohne bei auch nur einem keine Attraktion darzustellen.

Schwer, mit einer solchen Stimme glaubwürdig über Liebe und Verlust zu singen, ohne jedes Wort zu einem markigen Chauvispruch verdreht zu bekommen. Und doch funktioniert das selbst in diesem teilweise wunderbar kitschig-verträumten Synthpop durchweg großartig. Wo der Vorgänger "Wave Like Home" sich noch mit zu vielen Seitensprüngen aufhielt, ist "In Evening Air" ein melodiebepacktes, charismatisches Kraftbündel mit emotionaler Tiefe, doch nur halb so schwer, wie es auf der Waage anzeigt, und dabei Pop durch und durch. Es sind solche Alben, die zu ausdauernden und mitfühlenden Begleitern wachsen. Dieses hat zudem das Zeug zur großen Überraschung.

Während sich in anderen Bereichen die Finger wunddiskutiert werden (müssen), gibt es hier wenig bis nichts zu beanstanden, was Rückwärtsgewandtheit von Synth-Pop betrifft. Future Islands liefern einen weiteren Beweis für die Frische eines Genres, das seine Töne bereits vor Jahrzehnten erfunden hat und heute dennoch absolutes Wachstumspotenzial besitzt. Nicht zuletzt dank vieler charismatischer Sänger, statt aalglatter Kollektive.

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Label: Thrill Jockey

Referenzen: Former Ghosts, David Bowie, Dan Deacon, Weekends, Joy Division, Planningtorock, LCD Soundsystem, Frausdots, Xiu Xiu

Links: Myspace | Thrill Jockey

: 14.05.2010

3 Kommentare zu “Rezension: Future Islands – In Evening Air”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Und hey, selbst der angeblich ach so grimmige Plattenverkäufer war begeistert;)

  2. Sven sagt:

    Weil du ihm gefielst! Naja, die Platte auch. :-)

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