AUFTOUREN 2014 – Das Jahr in Tönen


Total Control

Typical System

[Iron Lung]

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Wenn man so will, hält Mikey Young die von uns so sehr geschätzte australische Untergrundszene ganz alleine zusammen: Egal ob als Gitarrist von solch wundersamen Bands wie Eddy Current Suppression Ring oder Ooga Boogas, als Produzent und Mixer von Großtaten wie „Royal Headache“ oder „Ready For Boredom“ – dieser Mann hat überall seine Finger im Spiel. Und natürlich ist er auch Teil von Total Control. Deren Zweitwerk „Typical System“ ist direkt auf Ballhöhe mit dem Über-Debüt „Henge Beat“ und steuert zwischen wahren Synthpop-Singles wie „Flesh War“, Garage-Wutausbrüchen („Systematic Fuck“) oder LCD-Postpunk-Wave („Glass“) auf ein dunkles Zentrum (die Krähe auf dem Cover?) zu, dem Sänger Daniel Stewart über 40 Minuten einen unerbittlichen Kampf liefert. (Pascal Weiß)


Run The Jewels

Run The Jewels 2

[Mass Appeal]

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Zum Einstieg die Auflösung einer Runde des beliebten Fernsehquiz „Jeopardy!“: „Run The Jewels is the answer, your question is: ‚What’s popping?‘ “ Der Überraschungseffekt des gemeinsamen Debütalbums ist verflogen, dennoch sorgt das Rapduo dafür, dass es gehört wird. El-Ps Instrumentals knallen noch lauter und knarzen noch böser, die Punchline-Salven der beiden MCs treffen zielsicherer ins Schwarze und auch der Supporting Cast kann sich sehen lassen: Zack De La Rocha von Rage Against The Machine, der kürzlich verstorbene Ikey Owens (The Mars Volta) oder Gangsta Boo (Three 6 Mafia). In diesem Kontext kommt sogar Travis Barkers Geknüppel gut klingend daher. (Daniel Welsch)


Parquet Courts

Sunbathing Animal

[Rough Trade]

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Cooler als Schnee sind Parquet Courts, das Quartett rund um Sänger Andrew Savage. Viel weiß man nicht über die New Yorker, ihr beachtlicher Ausstoß in den letzten Jahren zeugt zumindest nicht von Faulheit. „Sunbathing Animal“ ist der vorläufige Höhepunkt ihres Schaffens: Zu schrammeligen Garage-Rock-Perlen wie dem Titeltrack oder dem rhythmischen „Always Back In Town“ gesellen sich auf dem Zweitling auch beinahe schwermütige Stücke – „She’s Rolling“ etwa ist ein ganz schöner Brocken. Obendrauf zollen Savage & Co. den alten Helden The Velvet Underground Tribut, wenn „Raw Milk“ ganz tief in die Seele des Hörers zu blicken scheint. Cooler als Schnee eben. (Jennifer Depner)


Sun Kil Moon

Benji

[Caldo Verde]

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Natürlich verarbeitet Mark Kozelek in „Benji“ in erster Linie seine persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen: über den verstorbenen Onkel, der durch ein Feuer ums Leben kam, über seine Gedanken zum Amoklauf von Newton oder Freundschaft zu Ben Gibbard und über etliche weitere wegweisende Ereignisse aus seinem Leben. Während diese Stücken weithin einen Einblick in seine Seele ableiten und als Einzelgeschichten einen durchaus betroffen zurücklassen können, treffen die beiden Songs über seine Eltern („I Can’t Live Without My Mother’s Love“ und „I Love My Dad“) bis ins Mark. Jedes Wort hier scheint eine allgemeingültige Wahrheit zu sein, die Einfachheit, mit der Kozelek die Bedeutung der Eltern darlegt, ist fast unheimlich. Trotz des bedrückenden Stoffs gibt er sich zu keinem Zeitpunkt wehleidig oder niedergeschlagen, eher versöhnlich, aufmunternd und im besten Sinne des Wortes abgeklärt. Dazu passt auch, dass „Benji“ in den Grenzen der Thematik musikalisch relativ breit gefächert ist. Neben dem zu erwartenden akustisch-folkigen Gerüst sorgen immer wieder Uptempo-Nummern sowie eigenwillige Drums und Gitarren für das passende Gegengewicht. (Felix Lammert-Siepmann)


The Hotelier

Home, Like Noplace Is There

[Tiny Engines]

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Man kann über 2014 mit Sicherheit sagen, dass es das Jahr war, in dem sich Emo wieder aus der No-Go-Ecke mit voller Wucht wieder ins Bewußtsein der Musikliebhaber katapultierte. Einige tolle bis großartige Alben (zum Beispiel von Dads und SPORT) sind erschienen, aber kein Album brachte den neuen Aufbruch schon früh im Jahr besser auf den Punkt als „Home Like Noplace Is There“ von The Hotelier. Schon der erste Song, der programmatisch auch noch mit „An Introduction To The Album“ betitelt war, machte unmissverständlich klar wohin es gehen sollte: in Abgründe und Unzulänglichkeiten des Lebens. Dass aus diesem Setting weder eine Heulsusen- noch eine Misanthropenabfahrt geworden ist, ist an sich schon bewundernswert. Dass es der Band zudem auch noch gelingt, sich musikalisch nicht einen Ausrutscher, nicht eine Unachtsamkeit zu erlauben, katapultiert sie völlig verdient in unsere Top 10. (Mark-Oliver Schröder)


Jenny Hval & Susanna

Meshes Of Voice

[SusannaSonata]

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„Meshes Of Voice“ transzendiert das binäre Denken. Wo immer man den Entweder/Oder-Hebel ansetzt, stößt einen das Werk der Norwegerinnen vor den Kopf – oder pflügt einmal mit dem Presslufthammer mittendurch. Schon alleine das Ausdifferenzieren der höchst unterschiedlichen Stimmen, die titelgebend zum Gerüst und lyrischen Ausdruck der Stücke verwoben sind, wird dadurch verkompliziert, dass in ihre kehligen und nasalen Timbres auch die Vocals von Anita Kaasbøll einstimmen. Auch Jo Berger Myhres Bass wird zur Stimme, auch die Stimmen werden zu dronigen Bässen, Identitäten und Perspektiven werden gebogen und transformiert. Die surreal-impressionistische Klangerzählung über Göttlichkeit und Femininität ist song- und momentweise konkret und abstrakt, schön und schaurig, sanft und brutal, harmonisch und dissonant, Melodie und Lärm. Mit jedem Hören wirkt das weniger wie ein chaotisches Kräfteringen und mehr wie die stimmig facettierte Ganzheit, die drei Stimmen und die Noisestreuungen Hvals und Kaasbølls konvergieren immer wieder, fast schon universell und auch zutiefst persönlich. Kein Wunder, dass eine Liveaufnahme von 2009 auch fünf Jahre später noch so immense Wirkung besitzt: Dies ist zeitlos großartige Musik. (Uli Eulenbruch)


Ought

More Than Any Other Day

[Constellation]

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Der Albumtitel könnte kaum besser gewählt sein. Mit ihrem Debütalbum ergriffen Ought die Gunst der Stunde und spielten sich ebenso unbekümmert wie selbstverständlich in unsere Herzen. Die Mischung aus Can, Talking Heads und Sonic Youth mag anfangs etwas krude erscheinen, doch „More Than Any Other Day“ gewinnt den Hörer im Handumdrehen. Neben den erwärmend knisternden DIY-Tüpfelchen überzeugen die Kanadier vor allem mit tiefen und brillanten Songstrukturen, die trotz Längen jenseits der Fünf-Minuten-Marke und einigen herrlichen Umwegen zu jeder Zeit einen kompakten Eindruck zurücklassen. Sich Post-Punk in all seinen Schattierungen anzunehmen, ist keine Erfindung Oughts und war in diesem Jahr auch nicht der große Trend. Doch zusammen mit Iceage hat die Band 2014 dieses Feld geprägt wie niemand anders. Dass am Ende dabei zwei überragende Alben stehen, ist sicherlich kein Zufall. (Felix Lammert-Siepmann)


Perfume Genius

Too Bright

[Matador]

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Es ist diese brutale Zerbrechlichkeit, die Mike Hadreas alias Perfume Genius auf „Too Bright“ perfektioniert. Papierene Arrangements, die wie in Cellophansäckchen eingehüllt scheinen treffen auf ohrenschmeichelnde Harmonien. Verwaschene Stimmfetzen hangeln sich durch ein Dickicht aus Popfragementen, die sich mal mehr, mal weniger  spontanem Bombast oder unmittelbarer Kraft anbiedern. Ob es der nahezu lupenreine Pop ist, der einen bei „Queen“ erst in die Komfortzone holt, nur um diese dann doch bratzig aufbauschend zu verlassen oder ob er gleich mit „Grid“ in die Vollen geht und zum Tanz auf dem Vulkan bittet. Dass Hadreas darüber hinaus aber eben auch nicht die bittersüßen Balladen vergessen hat, die bereits auf den Vorgängern für dieses nebulöse Gewühl aus Faszination und Schmerz gesorgt haben, lässt „Too Bright“ zu seinem bisherigen Meisterwerk werden. (Carl Ackfeld)


Iceage

Plowing Into The Fields Of Love

[Matador]

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Auch wenn es mit der Platzierung auf der 2 eindeutig erscheint und sich diese aus den Platzierungen auf diversen Einzellisten ergibt, wurde innerhalb der Redaktion schon lange nicht mehr so über ein Album – ach was, über eine Band – diskutiert. Gemocht haben wir Iceage ja schon seit ihrem Debüt „New Brigade“ und auch der Nachfolger „You Are Nothing“ kam gut an, aber manche hatten sie nach unzureichenden Liveauftritten schon fast verärgert abgeschrieben. Doch was erwartet man von einer Post-Punk-Band, die sich schon auf ihren Studioalben um das perfekte Treffen von Tönen einem Dreck zu kümmern scheint – Virtuosentum? Egal, denn was die Kopenhagener Band um Sänger Elias Bender Rønnenfelt uns mit „Plowing Into The Field Of Love“ durch die Gehörgänge jagt, konnte so niemand erwarten und hat auch einige der Skeptischen wieder aufhören lassen. Einige Punkbands sind an den USA grandios gescheitert, Iceage picken sich aus dem amerikanischen Songbook den Cowpunk von The Gun Club, lassen ihn mit dem atonal bluesigen Noise der frühen Birthday Party mutieren, schrauben das Tempo runter, inkorporieren „neue“ Instrumente und lassen öfter die Akustische sprechen. Über all diesem für Iceage Untypischen croont Rønnenfelt wie eine waidwunde Diva, zusammengesetzt aus sich selbst, einem wiedergehenden Frank Sinatra und einem manischen Nick Cave. Sensationell! (Mark-Oliver Schröder)


The War On Drugs

Lost In The Dream

[Secretly Canadian]

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Nichts, aber auch gar nichts führte dieses Jahr vorbei am dritten Album von The War On Drugs – einer Band, die man zwar schon immer auf dem Zettel haben musste, der es aber bisher noch nicht gelang, die eigenen Stärken so konsequent auszuspielen wie hier. Kaum eine andere Platte mäanderte im Jahr 2014 so verträumt durch eine blühende Landschaft aus Classic Rock, Dreampop, Folk-Eskapaden und weiteren Großzügigkeiten, immer mit einer Hand am Herzen, einer lässig in der Hosentasche und einer baumelnd im salzigen Wasser des Ozeans. Geht doch gar nicht? Geht ja wohl! „Lost In The Dream“ zeichnet sich durch seine unnachahmliche Atmosphäre aus, durch kleine Wendungen, die den ausführlichen Songs immer wieder aufs Neue Rückenwind geben. Durch das Gefühl zu schweben und doch mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen zu stehen. File under: Meisterwerk, natürlich. (Kevin Holtmann)

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6 Kommentare zu “AUFTOUREN 2014 – Das Jahr in Tönen”

  1. dEUS sagt:

    Sehr Gute Auswahl und wie letztes Jahr mit Deafheaven auch dieses Jahr wieder volle Übereinstimmung mit meiner Platte des Jahres, „Lost in the Dream“

    Vermisse lediglich die wunderbar melancholische Damon Albarn Platte und die vor allem durch euch entdeckten Harakiri for the Sky.

  2. Crazy Eyes sagt:

    Auf die 1 einigen wir uns sofort! Freut mich zudem auch sehr für Total Control, Human Abfall und Hotelier. Kann sich immer noch auf euch verlassen ;)

  3. saihttam sagt:

    Natürlich mal wieder eine sehr gute Liste von euch, die meinen Geschmack ziemlich gut trifft!
    Ansonsten fehlen mir noch Real Estate und die Wild Beasts. Deren neue Alben sind zwar nicht ganz so toll, wie die direkten Vorgänger, aber dennoch wieder sehr gut. ahja, und vielleicht noch Mr Twin Sister!

  4. billy-walsch sagt:

    feine liste, hab für meine persönliche aufstellung auch reichlich gemopst. dennoch schade, dass ihr andy stott nicht berücksichtigt habt. beinahe ein bisschen empört bin ich aber in dem moment, wo ihr die wild beasts außen vor lasst: nur durch euch konnte ich mich derart verlieben – daher: nachträglich lieben dank, aber auch: WIE KONNTET IHR NUR(ist doch wirklich eine feine platte).

  5. billy walsh (untrunken so geschrieben) sagt:

    mal nebenbei: gibt’s eigentlich den guten alten listen-schabernack der letzten jahre oder hab ich was übersehen?

  6. Oh ja, unser Jahresendprogramm hat gerade erst angefangen. Nach der „Geheimen Beute“ kommen unsere Einzellisten, die Listen anderer Musikmagazine und -Seiten, die EPs und die Musikvideos des Jahres.

    Und Wild Beasts gehörten auf jeden Fall auch dieses Jahr bei uns zu den Favoriten und haben die Top 50 wirklich nur ganz knapp verpasst, glaube sogar in letzter Sekunde – die sind quasi auf Platz 51.

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