Diese Platte ist ziemlich sicher keine, die man sich im Vorbeigehen und auf Verdacht kauft. Der Bandname lenkt die Erwartungshaltung womöglich in Richtung Hochgeschwindigkeits-Punk, während das einigermaßen merkwürdige Cover dagegen eher kirchliche Orgelmusik vermuten lassen könnte. Wer sich von solch vordergründigen, wenn auch oftmals berechtigten Instinkten leiten lässt, verpasst unter Umständen eines der bislang spannendsten Alben dieses Jahres.

Total Control sind Teil der umtriebigen DIY-Szene Melbournes und eher ein Projekt als eine Band im klassischen Sinn. Im Jahr 2008 von Daniel Stewart (UV Race, Straightjacket Nation) und Mikey Young (Eddy Current Suppression Ring, Lace Curtain, Ooga Boogas …) gegründet, ist auch der Rest der mittlerweile sechs Mitglieder in zahlreichen anderen Bands unterwegs, was in Australien durchaus Methode hat. Neben ihrem Debütalbum „Henge Beat“ aus dem Jahr 2011 stellen zahlreiche Singles (darunter ist „Scene From A Marriage“ 2012 sogar auf Sub Pop erschienen) und eine Split-12″ mit Thee Oh Sees eine recht beachtliche Diskographie dar, die hierzulande allerdings sogar am Großteil der allwissenden Musiknerds vorbeigegangen sein dürfte. Das könnte und sollte sich mit „Typical System“ grundlegend ändern.

Die Songs auf „Typical System“ sind über einen Zeitraum von zwei Jahren entstanden, lassen sich ganz grob unter dem vielseitig verwendbaren Etikett des Post-Punks einsortieren und erinnern an triste, stürmische Herbsttage in einer maroden nordenglischen Industriestadt Ende der Siebziger. Um der musikalischen Bandbreite von Total Control allerdings vollständig gerecht zu werden, müssten ziemlich viele Schubladen geöffnet werden. Die ersten Assoziationen reichen von – sagen wir mal – Gary Numan über The Sound bis hin zu den Swell Maps. Diese Referenzen sind mitnichten vollständig und vielleicht auch etwas beliebig, weil diese Platte immer wieder an ganz verschiedene Einflüsse erinnert, ohne dass ich es auf Anhieb konkreter benennen, geschweige denn irgendwie unter einen plakativen Hut bringen könnte.

So wabern dem Hörer mit „Glass“ zunächst angenehm unterkühlte elektronische Klänge entgegen, über die Sänger Daniel Stewart seine düsteren Textfragmente eher spricht als singt: „On bloody stumps. On Glass. We dance.“ Einmal darauf eingelassen, wird einem anschließend mit „Expensive Dog“ ein sattes Stück Punkrock um die verdutzten Ohren gehauen, um sich danach mit düsterem Synthpop und einem überraschend eingängigen Refrain in „Flesh War“ konfrontiert zu sehen. Was anfangs vielleicht noch etwas zu divergent wirken mag, wird im weiteren Verlauf der Platte und nach mehrfachem Hören selbstverständlich und konsequent.

Total Control scheinen die dunklen Ecken vergangener Musikepochen akribisch durchleuchtet zu haben, immer auf der Suche nach vergessenen Synthesizer-Sequenzen, unbeachteten Bassläufen und übersehenen Gitarrenriffs, die hier zu einem neuen großen Ganzen in Form dieses zeitlosen und extrem vielseitigen Albums zusammengefügt werden. Glücklicherweise bleiben Pathos und Bombast, deren Kombination schon viele ähnlich gelagerte musikalische Ambitionen grandios haben scheitern lassen, dabei weitestgehend unberücksichtigt. All das macht „Typical System“ zu einem außergewöhnlichen Album und zu einem Highlight eines an Highlights bislang nicht gerade armen Jahres.

Ein Kommentar zu “Total Control – Typical System”

  1. […] Control – Typical System Klaus Kuhlenbeck schreibt über diese Platte: Total Control scheinen die dunklen Ecken vergangener Musikepochen akribisch durchleuchtet zu […]

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