AUFTOUREN 2014 – Das Jahr in Tönen


Human Abfall

Tanztee Von Unten

[Sounds Of Subterrania]

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Eine der Überraschungen, wenn nicht sogar die Überraschung des Jahres kam aus Stuttgart. Human Abfall haben mich völlig kalt erwischt und dann, wie Banque Allemande, nicht mehr losgelassen. „Tanztee Von Unten“ vereint aufs vortrefflichste angesauerten Punk-Noise-Rock mit vordergründig absurden (post-)dadaistischen Texten, die bei näherer Betrachtung viel über das Ticken unserer Republik aussagen. (Mark-Oliver Schröder)


FKA twigs

LP1

[Young Turks / XL]

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2014 war das Jahr, in dem Tahliah Barnett ins Scheinwerferlicht trat. Was vorher auf ihren EPs und in Videoclips nur angedeutet war, wurde bei ihren Liveauftritten in elegantem Körperfluss tanzlich und auf ihrem Debütalbum in ätherischem Trip-Hop musikalisch voll ausgeformt. Doch ein „Two Weeks“, das einen ganzen Konzertsaal sofort in bewegte Ekstase versetzen kann, bleibt vorerst die Ausnahme. FKA twigs bevorzugt noch die Aussparung, die Andeutung, so dass sich genauso viel zwischen jedem Wort abspielt wie darin. „LP1“ zeigt ihre sinnliche und stimmige Klangvision aus gebogenen Kehllauten, knistrig resonanten Beats und weichgekneteten Industrial-Splittern im besten Halblicht. (Uli Eulenbruch)


Spoon

They Want My Soul

[Anti-]

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Das raue „Transference“ vor vier Jahren war Spoons Gegenstück zu ihrem Pop-Meisterwerk „Ga Ga Ga Ga Ga“, der logische nächste Schritt und zugleich eine Abwanderung von ihrer sonnigen Phase Mitte der 00er-Jahre. Nach vierjähriger Albumpause, die Sänger Britt Daniel unter anderem für weitere Projekte wie Divine Fits (gemeinsam mit Dan Boeckner von Wolf Parade) nutzte, wählte die Band aus Texas im Juli einen günstigen Zeitpunkt, um sich mit „Do You“ zurückzumelden – einem der Sommerhits des Jahres. Insgesamt ist die Produktion auf „They Want My Soul“ wieder deutlich wärmer und griffiger, dabei reihen sich Highlights wie „New York Kiss“, „Rent I Pay“ oder „Outlier“ in beeindruckender Hitdichte aneinander. Und das, obwohl die Band laut eigenen Aussagen versucht, von nun an jedes Instrument wie ein Schlagzeug zu spielen. Insbesondere „Inside Out“ merkt man dies jedoch nicht unbedingt an – hier könnte auch Dr. Dre Pate stehen.   (Pascal Weiß)


Protomartyr

Under Color Of Official Right

[Hardly Art]

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„Scum, Rise!“ reißt einen beim ersten Hören aus den Sitzen. Der quengelige, dunkel schimmernde Post-Punk der Jungs aus Detroit um Sänger Joe Casey überzeugt vor allem durch seine Lust am Ungestümen. Die häufig garagigen Songs sind laut, wüst und doch voller wütender Spielfreude. Referenzen wie The Fall oder Pere Ubu fallen und so sichern sich Protomartyr einen ungemütlichen Platz zwischen den Iceages und Oughts dieser Welt. Wenn Casey durch das ruppige „Tarpeian Rock“ rumspringt oder wenn die bösartigen Gitarren in „Want Remover“ die Decke einreißen, aber eben auch wenn sie sich am Schluss fast artig mit „I’ll Take That Applause“ verabschieden wähnt man sich in den verlassenen Hinterhöfen der Metropolen und darf sich glücklich schätzen, nicht der Kreatur auf dem großartigen Albumcover zum Opfer zu fallen. (Carl Ackfeld)


Sharon Van Etten

Are We There

[Jagjaguwar]

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Ein Samstagmorgen im Juni 2014, halb 6 Uhr auf der Autobahn. Die Sonne geht langsam am Horizont auf. „Afraid Of Nothing“, die Eröffnungsnummer von Sharon Van Ettens „Are We There“, ist die perfekte musikalische Untermalung für jenen Moment, an den man sich noch ein halbes Jahr später erinnern wird. Von einem ähnlichen Kaliber sind auch das hochdramatische „Your Love Is Killing Me“ oder die endgültige Kapitulation in „I Know“. Van Etten macht Musik für den Augenblick, und manchmal wünscht man sich trotz allem Kummer, trotz aller Traurigkeit, er möge niemals aufhören. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt: Das Lachen am Ende von „Every Time The Sun Comes Up“ ist der Beweis dafür. (Jennifer Depner)


Ty Segall

Manipulator

[Drag City]

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„Manipulator“ ist eine verdammt runde Angelegenheit. Während sich Ty Segall auf seinen vorherigen Alben oft an einem Stil abarbeitete, versucht er hier, alles irgendwie unter einen Hut zu bringen – mit durchschlagendem Erfolg. Leichtfüßig wechselt er zwischen aufbrausendem Psychedelic Rock, Glam und Garage. Trotz des Best-Of-Anspruchs kommt nie der Verdacht auf, es könne sich um eine Compilation handeln. Dazu sind die Songs zu dicht gestrickt, sich gegenseitig zu sehr befruchtend und nicht zuletzt in ihrer Gesamtheit einfach bestechend. Ty Segall weiß in „Manipulator“ mehr denn je durch pointiertes Songwriting mit all seinen Facetten zu überzeugen. Dass er im Veröffentlichungsrhythmus einen Gang zurückgeschaltet und 2014 nur ein Studioalbum veröffentlicht hat, kommt dem Werk auf dieser Ebene hörbar zugute. (Felix Lammert-Siepmann)

La Dispute

Rooms Of The House

[Big Scary Monsters]

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Vorab war klar, dass La Dispute die ungestüme Intensität des Vorgängers „Wildlife“ kaum steigern könnten. Stattdessen weicht das Quintett aus Michigan auf „Rooms Of The House“ von seinem Erfolgsrezept ab und findet neue Ausdrucksmöglichkeiten. Jordan Dreyers Texte sind schlanker und kompakter, ohne an Wucht zu verlieren, und behandeln nicht mehr die ganz großen Dramen, sondern das alltägliche Scheitern und die kleinen bis mittelschweren zwischenmenschlichen Krisen. Auch musikalisch entfernen sich La Dispute ein wenig von der genretypischen Aggressivität, setzen die emotionalen Ausbrüche dosierter und dafür wirkungsvoller ein. Willkommen im Post-Post-Hardcore. (Daniel Welsch)


St. Vincent

St. Vincent

[Caroline]

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„Am I the only one?“ fragt Annie Clark auf „Rattlesnake“. Ja, ja, immer wieder ja. Die 32-jährige ist mit „St. Vincent“ endlich oben angekommen, vorbei ist die Selbstfindungsphase. Sperrig wird es trotzdem ab und zu, etwa im laut aufstampfenden „Birth In Reverse“ oder im durchgequirlten Düsterpop von „Bring Me Your Loves“. Reizvoll startet „Huey Newton“, bis Clark die aufgeladene Stimmung kratzbürstig zerstört und jede flauschige Schlafzimmerwand lustvoll einreißt. Immer noch nicht genug? Dann versucht mal, zum pompösen Funk von „Digital Witness“ die Füße still zu halten. You’re the only one, Annie. (Jennifer Depner)


The Antlers

Familiars

[Transgressive]

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Wandelten die beiden Vorgänger zwischen emotionalen Schlägen in die Magengrube und aufbauendem Schulterklopfen, gibt sich das dritte Album von The Antlers etwas sensibler und eleganter: Die Songs auf „Familiars“ wirken fragil, ihre Wucht kommt oft eher unvermittelt: So baut sich die Single „Palace“ langsam auf und gipfelt gegen Ende in einer atemberaubenden Explosion, so groovt sich „Intruders“ verführerisch-zart durch seine Existenzängste. Mit Bläsern und Streichern geht es hier nach ganz oben, wo man in den Wolken noch ein wenig Hoffnung in „Surrender“ findet – und mit „Refuge“ den Weg nach Hause: „See, you’re already home when you don’t know where to find it.“ (Jennifer Depner)


Ben Frost

A U R O R A

[Mute]

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Wenn der ausgewiesene Folker innerhalb der Redaktion einem nahezu rein elektronischen Album sagenhafte 90% attestiert, gerät entweder die Welt aus den Fugen oder Ben Frost hat mit seinem „A U R O R A“ betitelten Werk einen echten Meilenstein geschaffen. Seine Klangmonolithen atmen den Geist der nächtlichen Stadt und jagen den Bewusstseinsstrom vor allem über Kopfhörer in nie erahnte Partien der eigenen Befindlichkeit. In „Nolan“ erhebt sich ein ironischer Kirmestechnobeat aus den tonalen Stahlkathedralen, „ A Single Point Of Blinding Lights“ ergießt sich nach atemberaubenden vierzig Minuten wie die namensgebende Morgenröte in die Dunkelheit – liest sich zwar seltsam, fühlt sich aber sensationell an. Denn man darf „A U R O R A“ nicht nur hören, man muss es fühlen. (Carl Ackfeld)

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6 Kommentare zu “AUFTOUREN 2014 – Das Jahr in Tönen”

  1. dEUS sagt:

    Sehr Gute Auswahl und wie letztes Jahr mit Deafheaven auch dieses Jahr wieder volle Übereinstimmung mit meiner Platte des Jahres, „Lost in the Dream“

    Vermisse lediglich die wunderbar melancholische Damon Albarn Platte und die vor allem durch euch entdeckten Harakiri for the Sky.

  2. Crazy Eyes sagt:

    Auf die 1 einigen wir uns sofort! Freut mich zudem auch sehr für Total Control, Human Abfall und Hotelier. Kann sich immer noch auf euch verlassen ;)

  3. saihttam sagt:

    Natürlich mal wieder eine sehr gute Liste von euch, die meinen Geschmack ziemlich gut trifft!
    Ansonsten fehlen mir noch Real Estate und die Wild Beasts. Deren neue Alben sind zwar nicht ganz so toll, wie die direkten Vorgänger, aber dennoch wieder sehr gut. ahja, und vielleicht noch Mr Twin Sister!

  4. billy-walsch sagt:

    feine liste, hab für meine persönliche aufstellung auch reichlich gemopst. dennoch schade, dass ihr andy stott nicht berücksichtigt habt. beinahe ein bisschen empört bin ich aber in dem moment, wo ihr die wild beasts außen vor lasst: nur durch euch konnte ich mich derart verlieben – daher: nachträglich lieben dank, aber auch: WIE KONNTET IHR NUR(ist doch wirklich eine feine platte).

  5. billy walsh (untrunken so geschrieben) sagt:

    mal nebenbei: gibt’s eigentlich den guten alten listen-schabernack der letzten jahre oder hab ich was übersehen?

  6. Oh ja, unser Jahresendprogramm hat gerade erst angefangen. Nach der „Geheimen Beute“ kommen unsere Einzellisten, die Listen anderer Musikmagazine und -Seiten, die EPs und die Musikvideos des Jahres.

    Und Wild Beasts gehörten auf jeden Fall auch dieses Jahr bei uns zu den Favoriten und haben die Top 50 wirklich nur ganz knapp verpasst, glaube sogar in letzter Sekunde – die sind quasi auf Platz 51.

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