Der Liedschatten (52): Coolness. Sex. Schnauzer.

Nancy Sinatra “These Boots Are Made For Walkin'“ April – Mai 1966

 

Wenn die sich nicht mal verkühlen: Nancy Sinatra und für jede Jahreszeit unpassend gekleidete Damen

Kam so etwas 1966 im Fernsehen der BRD? Immerhin galt auch damals schon: Sex sells, und der spätere „Musikladen“ mit seinen Tänzerinnen zeigt, dass da auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen keine Ausnahme darstellt.

Obiges Video aber wurde gar nicht für das Fernsehen, sondern für Scopitones produziert, Jukeboxen, die farbige Clips mit bis zu drei Minuten Länge abspielten, in der BRD aber nie erfolgreich werden konnten.

Allerdings brauchte es, so könnte man meinen, nicht erst ein so bildgewaltiges Vehikel, um „These Boots Are Made For Walkin’“ zu einem Hit zu machen. Immerhin wurde es von Frank Sinatras Tochter auf dessen Label veröffentlicht, wie sollte es sich nicht verkauft haben?
So einfach lag die Sache nicht, es ließe sich nämlich auch fragen: Wie sollte Nancy Sinatra nicht im Schatten ihres Vaters stehen? Das zumindest legen ihre vorherigen, allesamt gefloppten Singles nahe. Und auch obiges Stück schien nicht der Song zu sein, durch den sich etwas daran ändern würde.

sinatra_bootsEr ist nämlich nicht nur für die damalige Zeit, sondern auch noch heute verflixt eigen. Da wären der merkwürdig gleitende Basslauf, unüblich platzierte Breaks und ein geradezu aggressiver Groove. Für all das zuständig war eine als „The Wrecking Crew“ zumindest in damaligen Branchenkreisen bekannte Gruppe von Sessionmusikern. Diese waren nicht nur für Interpreten tätig, von denen niemand erwartet hätte, sie würden ihre Instrumente selber spielen – zum Beispiel Sonny And Cher, The Crystals und The Ronettes -, sondern auch The Beach Boys, Simon & Garfunkel, The Byrds, The Turtles, The 5th Dimension, The Monkees, Frank Sinatra und The Mamas & The Papas. Zu „ihren“ Hits gehören „California Girls“, „Good Vibrations“, „Mr. Tambourine Man“, „California Dreaming“, „Unchained Melody“, „Be My Baby“, „I Got You Babe“, „Bridge Over Troubled Water“ sowie „Mrs. Robinson“. Ein paar mehr Infos lassen sich auf der Homepage einer filmischen Dokumentation über sie finden, die bisher noch nicht regulär erhältlich ist, da das Geld fehlt, um die Lizenzen für die darin vorkommenden Lieder zu erwerben.

Nun ließe sich angesichts der immensen Bedeutung relativ weniger, professioneller Musiker für die Produktion unterschiedlichster Karrieren und damit auch Images und Moden dramatisch fragen: „Wie viel Industrie steckt im Pop, und zwar nicht heute, sondern von jeher?“ Das aber macht nur dann Sinn, wenn man an „Authentizität“ glaubt. Die aber ist im Pop, der schon immer Teil einer keinesfalls „unschuldigen“ Kulturindustrie war, nie etwas anderes als ein Werbemittel. Mal war sie mehr gefragt (Progrocker in den 70ern z.B. gniedelten bevorzugt selbst), mal weniger (Eurodance in den 1990ern). Bis heute hat sich da nichts geändert, nur scheinen die Intervalle kürzer geworden zu sein (die „Fembots“ Robyn und Lady Gaga vor zwei Jahren, die „erdigen“ Adele und Lana Del Rey gegenwärtig) oder aber das Neben- und Durcheinander der Marketingspinnereien größer.

Zurück zu den Boots. Nicht nur die Musik war eher ungewöhnlich, der Text war es ebenso. Hier wird nämlich nicht nur ein Mann ob seiner halbgaren Lügenhaftgkeit angeklagt, es wird ihm gedroht, und wie! Mit Stiefeln nämlich. Bisher verhielten sich die Damen in den Texten der Hits meist passiv, sie waren Adressatinnen („Kleine Annabell“), mussten Rügen hinnehmen („The Last Time“), litten still vor sich hin („Liebeskummer Lohnt Sich Nicht“) oder wurden keck erobert („Rote Lippen Soll Man Küssen“). Nur in Ausnahmefällen waren sie selbst Akteurinnen, zum Beispiel in Petula Clarks „Monsieur“. Doch selbst dort verzehrt sich eine Frau nach dem Untreuen, kommt nicht vom Mann los und kann nicht fortschreiten. Ganz anders ist die Situation bei Sinatra, hier wird der unzulängliche Mann zu Stiefeltritten verurteilt.

Diese sind sicher bildlich zu verstehen, einige Menschen aber werden es sich real vorgestellt haben. Für die sexuelle Konnotation nämlich braucht es nicht erst ein Video wie das obige, da reicht für einige Mitmenschen schon die Erwähnung der Boots oder der Gedanke an den Fuß darin. Nun, es soll ein jeder nach seiner Fasson glücklich werden, und warum nicht einmal so?

Verfasst wurde das Stück von Lee Hazlewood, seinerzeit Träger eines imposanten Schnauzers und nicht nur durch seine Duette mit Nancy Sinatra Neuerer eines ganzen Genres. Als Produzent entwickelte er Hall zu Stil, verhalf dem Country durch die Verbindung mit Pop und Psychedelic zu zeitgemäßen Eigenheiten und beeinflusste auch genrefremde Bands und KünstlerInnen bis hinein in die Gegenwart, siehe das Hazlewood&Sinatra-Gedächtnisduo Mark Lanegan und Isobel Campbell. Und wer möchte, kann außerdem hinter einer jeden geschmackvollen Platte der Tindersticks, von Belle & Sebastian, The Gentle Waves, Nick Cave und Divine Comedy seinen Einfluss ausmachen.

Hazlewoods kommerzieller Erfolg beschränkte sich weitestgehend auf die stilprägende Zeit als Duettpartner Nancy Sinatras. Wenn seine dunkle, erdkühle Stimme von Sinatras ätherischer umschwebt wird, flirrt der Raum zwischen beiden Klangfarben mit düsteren Zwischentönen, ist er erfüllt mit subtil drängender Erotik, bemüht der Autor auf einmal pathetisches Wortgeschwurbel. Die Klischees des Männlichen und Weiblichen werden dabei ins offensichtlich Irreale überstrapaziert, wodurch ein Duett wie „Summer Wine“ die Größe eines weltlichen Mysterienspiels erlangen kann.

Schnauzer im Rausch: Hazlewood erliegt dem „Summer Wine“

Ab Ende der 60er Jahren zog sich Hazlewood mehr und mehr zurück und veröffentlichte schließlich ab 1977 bis zu seinem Comeback in den 90ern keine Platten mehr, konnte aber bereits auf ein beachtliches Schaffenswerk zurückblicken. Seine Alben trugen klangvolle Titel wie „Trouble Is A Lonesome Town“, „Love And Other Crimes“, „Lee Hazlewood-ism: Its Cause And Cure“ und variierten Westernromantik voller Einsamkeit und Fatalismus bis ins Surreale, siehe „Cowboy In Sweden“.

Besser als jede Anmache: einfach mal den Hut werfen Das Album aus dem Jahr 1970 wurde komplett für das Fernsehen aufbereitet, in ihm gibt es, wie immer bei Hazlewood, allerlei Outsidereien, ihn als männlichen Mann voller unwirklicher Männlichkeit, Freiheit, kalte Nächte, keine Züge nach Stockholm, und die Feststellung, dass es doch recht traurig sei, wenn es keinen Nobelpreis für Songs gibt. Ja, man kann über diesen Herren und seine Sicht über das Leben als Cowboy durchaus staunen, in der Prärie, in oder über der Hazlewood seine Kreise, Schleifen, Bahnen zog, muss der Sand mit LSD getränkt gewesen sein. Die Grundbedingung seiner Coolness schien gelautet zu haben: nur nichts erklären! Und weiß Gott, er war cool.

3 Kommentare zu “Der Liedschatten (52): Coolness. Sex. Schnauzer.”

  1. […] wie auch schon vor zwei Wochen dürfen wir uns gemeinsam über ein äußerst gutes, mit Sicherheit bekanntes Stück freuen. Wobei, […]

  2. […] auch The Mamas & The Papas, unter anderem Hal Blaine von der Wrecking Crew (siehe Beach Boys, Lee Hazlewood, Monkees und weitere) zurückgreifen. Er selbst war ein begnadeter Sänger mit gefälliger Stimme […]

  3. […] Jahre vorher hatte Nancy Sinatra die einzig richtige Antwort auf eine solche Zumutung, nämlich „These boots are made for walkin’ / and that’s just what they’ll […]

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