Der Liedschatten (36): Beatles: POP.

Weg mit den Versuchen, Spott und Unverständnis unter Informationen zu begraben, vorbei die Suche nach dem „Aufhänger“, der über die Inhaltsleere braver Liebesliedchen hinweg trösten soll. Heute befassen wir uns mit den Beatles, der, und wer es wagt, möge dem Autoren gerne widersprechen, wichtigsten Popgruppe überhaupt. Ihr 1962 einsetzender und schließlich weltweiter Erfolg ist durch ein Gesamtwerk gerechtfertigt, dessen Großartigkeit durch ihre Singles nicht in Gänze zu erfassen ist, auch, wenn er ohne sie niemals möglich gewesen wäre.

1963 verbrachten die Beatles größtenteils mit Tourneen. Ansonsten taten sie sich nicht nur durch die in Anlehnung an die „Lisztomania“ erklärte „Beatlemania“ in Großbritannien hervor, sondern fanden sogar Anerkennung in etablierten Medien wie The Times („They have brought a distinctive and exhilarating flavour into a genre of music that was in danger of ceasing to be music at all.“). Es wurde nun für ihren dauerhaften Erfolg notwendig, auch auf dem amerikanischen Markt, dessen Dominanz bis zum Anfang der 60er Jahre ungebrochen war, zu bestehen. In der „The Beatles Anthology“ äußert sich Paul McCartney dazu wie folgt: „From Me To You was released – a flop in America. She Loves You – a big hit in England, big number one in England – a flop in the USA. Nothing until I Want To Hold Your Hand.“

Warum der Durchbruch mit gerade diesem Stück erfolgte, lässt sich, wie jeder große Erfolg, letztendlich nur hypothethisch erklären. Die Beatlemania in England, der für die damalige Zeit für einen Newcomer hohe Marketingetat von 40000 US-Dollar, die Nachfrage eines Fans bei einem Diskjockey, Rechtsstreitereien um die Ausstrahlung durch einen Radiosender und der deswegen vorgezogene Release, all das wird seinen Teil beigetragen haben, und sei’s nur zur Mythenbildung. Vielleicht kann aber auch einfach musikalische Qualität als Ursache gelten.

The Beatles “I Want To Hold Your Hand”, Februar – April 1964

Das Intro ist für die damalige Zeit ungewöhnlich dramatisch und lässt den Song ebenso wie seine fragmentarische Geschichte unvermittelt beginnen. „Oh yeah, I’ll tell you something / I think you’ll understand / When I say that something / I wanna hold your hand“, das ist sicher harmlos, aber die Naivität dieser Zeilen ist nicht lebensfremd.

Das unbestimmte „something“ entspricht der durch Verliebtheit hervorgerufenen Verwirrung, derer man sich als JugendlicheR im Zusammenhang mit schwärmerischer Liebe zu erwehren hat. Anders, als in vielen Schlagern behauptet, befindet man sich dann nämlich nicht in einem Zustand frech-frivoler, aber dennoch braver Leidenschaft, der es in erster Linie um eine mögliche Heirat geht und die es bei ein paar Küssen belässt, ansonsten aber bis zur Existenzgründung warten kann (siehe zum Beispiel „Rote Lippen soll man küssen“) oder „romantischer“, dennoch aber nach Möglichkeit beflügelnder Schwelgerei.

Wer sich täglich, zum Beispiel durch die Schule, mit der Anwesenheit einer verehrten Person konfrontiert sieht, sich dieser aber nicht zu nähern weiß, ist viel eher befangen, am Ende gar verzweifelt. Junge Menschen in einer solchen Lage blicken verstohlen, seufzen heimlich und fühlen sich mit einem erschreckenden Verlangen angefüllt, dessen Ziele unklar erscheinen, vielleicht sogar Dank der vorherrschenden Moral unrein und verbrecherisch. Da gibt es Angst vor Zurückweisung, die Befürchtung, allein schon in Gedanken Ungebührliches zu verlangen, Eifersucht und Neugierde, Wahnwitz, Selbstzweifel, Hoffnung und Ernüchterung; ein recht reiches Innenleben also, durch die Wuselei vielgestaltiger Ideen und Bildern für alle Beteiligten undurchdringlich gemacht, kitzelig, aufreibend und ängstigend. Und beteiligt ist in einer Art Wahnvorstellung und der Furcht, alles sei nur zu offensichtlich, auch der Gegenstand des wie auch immer gearteten Begehrens, der Mensch, den man mit einer Erklärung, zu deren Aussprache man sich nicht durchzuringen weiß, zu gewinnen trachtet. Und eben diese könnte dann idealisiert so wie bei den Beatles vertont aussehen.

Und wie sie umgesetzt ist: McCartney und John Lennon teilen sich die Leadstimme, was dem teilweise hervorgestoßenen Text eine geradezu universelle Aussage (zum Beispiel bei der Zeile „I Can’t Hide“) verleiht, da der offensichtliche Sprecher fehlt. Man braucht nicht fern der Heimat zu weilen und verlobt sein, als Seemann irgendeiner Liebschaft hinterher trauern oder auf den Weg zur Eheschließung zurückblicken, jetzt ist man entflammt, und alles, was man will, ist Nähe, und sei es die Hand zu halten. Von mehr weiß man ja vielleicht eh noch nicht, mag es nicht verlangen, findet es allzu irdisch, nicht des Schwarmes wert.

beatles_handNicht nur durch Intro und Text ist „I Want To Hold Your Hand“ unmittelbar, es kommt auch ohne instrumentale Breaks und offenkundige, ablenkende Virtuosität aus. Von dem Part „And when I touch you I feel happy inside“ abgesehen ist seine Dynamik ungebrochen, bedient sich dabei aber nicht bereits bekannter Muster, sondern des Beats. Dieser wird betont, aber nicht durchbrochen von McCartneys markantem Bass-Fill und George Harrisons eingestreutem Melodiespiel, das zwischen Lennons dicht komprimierter, untypisch klingender Rhythmusgitarre aufblitzt. Insgesamt war der Klang von dieser Schrammelei bis hin zum konstant bollernden und zischelnden Schlagzeug unüblich und geradezu „lärmend“. Dazu kam noch, dass beide Sänger teilweise beinahe schrien, auf jeden Fall aber im Vergleich zu den in der BRD bis dahin üblichen Erfolgstiteln einiges an Sanftheit vermissen ließen. Anders als bei diesen erlangte hier auch noch mit „I Want To Hold Your Hand“ nicht etwa die deutschsprachige Version „Komm gib mir Deine Hand“ die höchste Chartsplatzierung, sondern das englischsprachige Original, ein Zeichen, dass hier mehr gemocht wurde als nur das Lied.

Für die Band konnten sich 1964 aber offenbar nicht alle Kritiker erwärmen. In den USA, wo den Beatles mit „I Want To Hold Your Hand“ und durch einen Auftritt in der Ed Sullivan Show ihre erste Nummer-Eins-Platzierung gelang, erhielten sie recht illustere Pressestimmen. Nach ihrem TV-Auftritt vor 73 Millionen ZuschauerInnen hieß es zum Beispiel: „They sing close harmony, stomp their feet and play electric guitars, but so do a lot of crew-cut American boys in slacks and sweaters, and they cause riots. Beatle clothes look about two sizes too small, and I’ve seen Hungarian sheep dogs, with more attractive hairdos.“ (mehr davon gibt’s hier).

Doch die Vorherrschaft der Beatles und generell britischer Musik auch in den USA hatte damit begonnen. Ein Äquivalent zur sogenannten „British Invasion“ gab es in der BRD nicht, immerhin tauchten in den Charts des Jahres 1964 aber auch Bands wie die Merseybeat-Größe The Swinging Blue Jeans („Hippy Hippy Shake“), Manfred Mann („Do Wah Diddy Diddy“) und Roy Orbison („Oh, Pretty Woman“) auf.

Dem Einwand, es handele sich bei „I Want To Hold Your Hand“ aufgrund seiner Bravheit letztendlich auch bloß um einen Schlager, könnte allein schon durch den Hinweis auf die Art seiner Entstehung, seine Produktion und den Sound begegnet werden, dessen Beschreibung schon weiter oben unternommen wurde. Ein häufig bemühtes Argument in diesem Zusammenhang ist außerdem der Hinweis, die Beatles hätten ja nur Händchen halten wollen, die Stones aber, wie in ihrem Song „Let’s Spend The Night Together“ erklärt, gleich zum Beischlaf aufgerufen. Dieses Argument lässt sich aber mit dem einfachen Hinweis auf die drei Jahre, die zwischen beiden Veröffentlichungen liegen (die Single der Stones stammt aus dem Jahr 1967), entkräften. Und was die Beatles zu jener Zeit trieben, dazu werden wir später noch kommen.

8 Kommentare zu “Der Liedschatten (36): Beatles: POP.”

  1. Ich dachte, dass du dich mit den schlimmsten Songs schon beschäftigt hattest und just dann fährst du mit den Beatles arge Geschütze auf. Die frühen Beatles sind auf dem musikalischen Niveau neuzeitlicher Boygroups. Eigentlich nicht mehr als eine peinliche Fußnote der Musikgeschichte. Gut, diesen Makel haben sie mit späteren Werken behoben. Aber I Want To Hold Your Hand sollte man deshalb nicht schönreden.

  2. Lennart sagt:

    In diesem Fall werden wir wohl nimmer einer Meinung sein, Christoph.
    Ich mag auch die frühen Beatles. Ansonsten haben Boygroups ein solches Lob nicht verdient. (-:

  3. Johannes sagt:

    Sorry, aber einen Satz wie „Die frühen Beatles sind auf dem musikalischen Niveau neuzeitlicher Boygroups.“ kann ich nicht ernstnehmen. Das sollte jeder, der über 2 Ohren verfügt, hören, dass das vollkommener Quatsch ist.

  4. […] Ausbruch der Schalkhaftigkeit gekommen. Dafür waren mit Sicherheit die Beatles in der wiederum vorletzten Woche verantwortlich, durchbrachen sie doch die Abfolge der bisher beinahe unangefochten dominierenden […]

  5. […] damit auch heute noch Menschen sagen können “Die Beatles wollten nur Händchen halten („I Want To Hold Your Hand”, 1964), die Stones aber, ähem, ja Beischlaf, also ficken („Let’s Spend The Night […]

  6. […] Me“ von The Crystals oder „Strangers In The Night“, keine persönliche Offenbarung wie bei „I Want To Hold Your Hand“ oder „I’m A Believer“. Die Idee, Liebe sei alles, was ein Mensch braucht, wird als […]

  7. […] Folgen über die Beatles … ihr möchtet doch, nicht? Ja, genau, schnell weg hier, da, „I Want To Hold Your Hand“, „Paperback Writer“, „Yellow Submarine“, „Penny Lane / Strawberry Fields“, „Hello […]

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