Der Liedschatten (34): Ja, grüne Lippen vielleicht?

Ein wiedergeborener Christ aus Großbritannien, das kann nur interessant werden. Schließlich lässt sich gegen die olle Christenheit immer so schön sticheln. Und KünstlerInnen aus dem vereinigten Königreich, damit haben wir bisher wenige (genau genommen eine) und (vielleicht gerade deswegen) recht gute Erfahrungen (Erfahrung wäre richtig) machen können, man denke nur an Petula Clark (mal abgesehen vom Lied). Das aber wird sich heute ändern, Cliff Richards „Rote Lippen Soll Man Küssen“ schlägt die Brücke ins Jahr 1964, ab dem’s auch streckenweise spannender wird als bisher. Die Vorherrschaft des Schlagers wird nämlich gebrochen werden.

„Rote Lippen Soll Man Küssen“ trug dazu sicher einen kleinen, soll heißen einen klitzekleinen Teil bei, immerhin war Cliff Richard bis Anfang der 60er Englands Version des amerikanischen Rock’n’Rollers vom Schlage eines Elvis. Klar, dass sich ein solcher Vergleich nicht ohne weiteres aufrechterhalten lässt. Dass er aber nicht nur zu Ungunsten Richards ausfällt, liegt vor allen Dingen an The Shadows, seiner Backing Band. Bemerkenswert war der Sound ihres Leadgitarristen Hank Marvin, eine Kombination aus der damals in Großbritannien unbekannten Fender Stratocaster mit Tremolohebel, einem britischen Vox-Verstärker und Bandecho. Die versuchte Nachahmung seines Stils hat noch heute einen festen Platz in den Köpfen und Foren der MuckerInnen.

Cliff Richard “Rote Lippen soll man küssen, November 1963 – Januar 1964

Warum dann aber auf einmal das Gesinge über rote Lippen, wenn Harry Rodger Webb alias Cliff Richard über so viel Coolness gebot?

Nun, er tat, was damals eben, und vor allen Dingen aus Sicht der Plattenlabels, getan werden musste: einen Song covern und in verschiedenen Sprachen aufnehmen. Oft wurde der Text für den Markt „BRD“ dabei ein wenig entschärft. Hier baute man eine Heirat, die von der Erlaubnis der Eltern abhängt, ein und flugs wurde es ein Hit.

http://www.youtube.com/watch?v=GKTW5IDn7qY

Dabei hätten wir es auch noch weitaus schlechter treffen können, der Song wurde und wird nämlich gerne von allerlei Größen der Schlager- und sonstiger Szenen dargeboten, was er nun wirklich nicht verdient hat, nein, allein schon, weil in der „Rote Lippen“-Version das wunderbare Wort „Autobus“ vorkommt.

richards_lippenWer sich damit nicht zufrieden geben kann, sei auf die Originalaufnahme des Songs von 1957 verwiesen, vorgetragen von Ruth Brown, geschrieben vom Komponistenduo Leiber/Stoller, zu deren Werken auch die Klassiker „Hound Dog“, „Jailhouse Rock“, „King Creole“ und „Kansas City“ gehören. Die Aussage des Songs entwickelte sich von „Meine Mutter sagte mir, ‚Tochter, Du brauchst keine Hasenpfote oder ein vierblättriges Kleeblatt, Deine Lippen werden Dir Glück bringen, dafür gibt’s diamantene Ohrringe und immer wen in Deinen Armen“, kurz gesagt: „Irgendwer wird Dich schon aushalten“ im Original zu „Junge, Du siehst nicht gut aus, aber mit den Lippen wird das schon“ (die ursprüngliche Cliff-Richard-Version) hin zu „Ich war frech und habe sie einfach geküsst, und dann wird geheiratet, so die Eltern denn wollen“ in der deutschsprachigen. „Wasn’t it a long way down?“ Geht so. „And wasn’t it a strange way down?“ Das schon eher. Aber scheinbar waren diese Änderungen notwendig, um bei den Einwohnern eines Landes, das zwei Weltkriege und den Holocaust zu verantworten hatte, Gefallen zu finden. Ihre Moral schienen sie sich nämlich, solange es nicht grad ums Töten ging, bewahrt zu haben. Wie beruhigend.

In Sachen „Wenigstens darauf kann man sich verlassen“ ganz weit vorne ist ja auch die religiöse Gemeinschaft, zu der sich Richard ab 1964 immer stärker bekannte und für die er auch dem Rock’n’Roll „rauer“ Prägung abschwor, das Christentum mit seiner einleibigen Kirche, deren Stärken nicht gerade in Toleranz und Lebensfreude liegen. ChristinInnen mögen dem widersprechen, klar, aber wer auf ein Jenseits hofft und sein Leben nach Regeln dieses betreffend ausrichtet, gibt nicht viel auf das, was nach einer materialistischen Weltsicht Vorrang vor allem hat: das gegenwärtige Leben und die Minderung des damit für viele verbundenen Leides.

Wie dem auch sei, es sollte an dieser Stelle auf jeden Fall noch erwähnt werden, dass Richards zu denjenigen Gläubigen gehört, die zwar machen, was man als berühmter Gläubiger so macht – merkwürdige Charity-Songs aufnehmen zum Beispiel – hingegen spricht er sich, anders als andere, und das findet der Autor gut, gegen Homophobie aus. Sogar die Ehe wird nicht verteidigt „People often make the mistake of thinking that only marriage equals happiness.“. Und das von einem Menschen, der mit einem ehemaligen katholischen Priester zusammenlebt und als eine Art „Freddy Quinn Großbritanniens“ gelten könnte. Ein großer Unterschied zu diesem ist jedoch, dass Cliff Richard mit der Veröffentlichung allzu seichter Musik bis Mitte der 60er Jahre wartete.

6 Kommentare zu “Der Liedschatten (34): Ja, grüne Lippen vielleicht?”

  1. Mensch, das Single-Cover weckt Erinnerung. Dies fand sich in meiner elterlichen Sammlung. Ich entnehme deinem Beitrag, dass es bezüglich des Liedes wenig zu meckern gibt, abgesehen von dem Umstand dass er nicht nur eingedeutscht sondern auch eingebiedert wurde. Prinzipiell wäre ich ja vorsichtig mit solch einer nicht unsympathischen, aber ab und an abschätzigen Rückschau. Denn auch unsere Generation muss sich vielleicht mal Enkeln gegenüber erklären, warum eine schlechter als jede Strip-Tänzerin aufgesexte Sängerin belangloseste Lieder geträllert hat und uns dabei schön gaga zurückließ. Die Sünden der Gegenwart sorgen immer für verächtliches Gelächter in der Zukunft.

    Ich will dir jetzt nicht christliche Grundwerte erklären. Aber zu meinen, dass der Christ mit seinem Gebot zur Nächstenliebe, nicht die Minderung irdischen Leids anstrebt, halte ich für gelinde gesagt verwegen. Caritas und Diakonie zeigen das doch vor. Da hat dich dein kernig intendierter Gedankengang leider in die Irre geführt.

  2. Lennart sagt:

    Das werde ich auch nicht beantworten können, ist mir nämlich auch ein Rätsel, vor allen Dingen, da ich mich nicht in dem „wir“ wiederfinde…

    Und was die Caritas und Diakonie anbelangt: ich bin mir wohl bewusst, mit dieser Feststellung „etwas gewagt zu haben“, schließlich hab‘ ich auch Christenlehre, Konfirmandenunterricht, Junge Gemeinde und ehrenamtliche Tätigkeiten in einer Kirchgemeinde hinter mir. Seit dem hat sich meine Haltung zum Glauben jedoch um einiges gewandelt, und so löblich Caritas und Diakonie im einzelnen Fall auch sein mögen bin ich doch nicht der Meinung, dass diese etwas zur Beseitigung der Ursachen der Leiden beitragen, wenn auch noch mehr als der bloße Glauben an sich. So in der Art hätte ich es wohl schreiben sollen, das wäre treffender gewesen.

  3. Wo sich Glaube auf frömmelnde Kirchenbesuche beschränkt und nicht Nächstenliebe praktiziert, wird Glaube auch nicht gelebt sondern vorgegaukelt. Bereits Jesus hat Arme gespeist und Kranke geholfen. Er gäbe also ein prima Vorbild ab. Nach 10 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit im Bereich der Obdachlosenhilfe und ein paar Jahren, die ich in der Flüchtlingsbetreuung bei der Caritas gearbeitet habe, glaube ich fest daran, dass die brüchige soziale Ordnung in genau dem Moment über den Jordan geht, wenn Hilfsorganisationen (und die kirchlichen machen da eben den Löwenanteil aus) ihre Legitimation verlieren. Die Ursachen des Leidens zu bekämpfen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Agnostiker, Atheisten und alle religiösen Menschen zusammen leisten müssen. Gegen die Symptome von Leid freilich wird schon viel (aber nicht ausreichend) getan.

    Um dann doch noch auf den Artikel zu sprechen zu kommen, wenn Cliff Richard religiös ist und dabei nicht fanatisch wird (wie deine Beispiele suggerieren), dann wäre dies nur löblich, eigentlich nicht einmal erwähnenswert, weil eine schiere Selbstverständlichkeit. Oder ist mir etwas entgangen?

  4. Lennart sagt:

    Gelobt habe ich ihn, glaube ich, schon, im letzten Abschnitt zum Beispiel. Eine Selbstverständlichkeit ist es aber nicht, entweder, die Menschen sind gemäßigt, dann sind’s so frömmelnde Christen, oder aber komisch evangelikal oder katholisch…

    Und wenn ein Mensch die Sache mit dem Glauben ernst nähme, dann könnte daraus Gutes entstehen, zumindest dann, wenn er oder sie sich ausschließlich auf die Evangelien berufen würde. Ein solcher Glaube der wirklichen Nachfolge wäre aber eine ziemlich harte Nummer für die Gesellschaft dieser Tage, man denke nur an die Jünger Jesu und ihre Nachfolge, für die sie ihre Familien hinter sich ließen und Arbeit aufgaben. Dann wäre er schon respektabel, aber nichts, womit sich die Menschen, die sich dem christlichen Glauben zugehörig fühlen, anfreunden dürften…

    Auch, auf die Gefahr hin, an dieser Stelle vieles einfach herunterzubrechen bin ich der Ansicht, dass der christliche Glaube (nicht der theoretische der Evangelien) mehr Leid verursacht hat, als er wieder gut machen könnte. Dennoch stimme ich Dir zu, wenn Du schreibst „Die Ursachen des Leidens zu bekämpfen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Agnostiker, Atheisten und alle religiösen Menschen zusammen leisten müssen. Gegen die Symptome von Leid freilich wird schon viel (aber nicht ausreichend) getan.“

    Im Text selbst beziehe ich mich, um es zu konkretisieren, eher auf solche Ideen wie die der katholischen Kirche, es sei besser, an seinem Leib schaden zu nehmen als an seiner Seele und dem Gedanken, nur durch Duldsamkeit gottgefällig leben zu können. Dieser Gedanke lässt sich, finde ich, durchaus mit Diakonie und Caritas verbinden, also der Bekämpfung der Symptome, nicht aber mit der Beseitigung der Ursache dieser, da greifen dann nämlich wieder Zwei-Reiche-Lehre oder aber Dogmata… herrje, das würde jetzt aber recht theologisch werden, vielleicht kann man die Diskussion ja mal an anderer Stelle fortsetzen.

  5. Ich glaube du interpretiert Lehren aus finsteren Epochen, in denen auch die Kirche finsteren Gedanken anhing, über. Die Kirche ist letztlich immer von Menschen geprägt und als solches trotz des Evangelien-Fundaments stets nur so glaubwürdig und von guten Geist durchweht, wie es die gesellschaftliche Verfasstheit zulässt. Und da pflichte ich dir bei, dass die Gesellschaft – und damit natürlich auch die Kirche als Teil davon – oft Intoleranz und Unmenschlichkeit gelebt hat. Aber eine „böse“ Religion könnte eine „guten“ Gesellschaft nie überrumpeln und vice versa. Kirchen sind immer Indikator des allgemeinen Zustandes, aber schon längst nicht mehr – wenn sie es überhaupt je waren – der entscheidende Auslöser.

    Aber ich will nicht länger von Cliff Richard ablenken ;)

  6. […] litten still vor sich hin („Liebeskummer Lohnt Sich Nicht“) oder wurden keck erobert („Rote Lippen Soll Man Küssen“). Nur in Ausnahmefällen waren sie selbst Akteurinnen, zum Beispiel in Petula Clarks […]

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