Hyperreality Festival 2017

Im Rahmen der Wiener Festwochen fand vom 24. bis 27. Mai erstmals das Hyperreality Festival statt. Das grandiose Booking schürte im Vorfeld hohe Erwartungen, die letztlich nicht vollständig erfüllt werden konnten – auch weil mit Forest Swords und Princess Nokia gleich zwei Headline-Acts absagten. Dennoch: Wien darf sich glücklich schätzen, ein derart progressives Festival zu beherbergen! Auf vier Programmtage und drei Bühnen verteilten sich dutzende namhafte Acts wie Holly Herndon, Equiknoxx, Nite Jewel, Raime oder Jlin.

Publikum 2

Jerrilynn Pattons euphorischer Auftritt am Eröffnungstag war auch gleich eines der Festivalhighlights und einmal mehr eine beeindruckende Schau des ureigenen Footwork-Entwurfes ihres neuen Albums „Black Origami“. Leider gelang es nicht allen KünstlerInnen ebenso gut, den gewaltigen, wie ein Kirchenschiff anmutenden Raum einzunehmen, der quasi das Herz des Veranstaltungsortes Schloss Neugebäude am südlichen Stadtrand bildete. Ein Brand hat das Gebäude vor vielen Jahren anscheinend seiner Zwischengeschosse beraubt; lediglich der archaische und seltsam riesenhafte Rohbau hat noch Bestand.

Vor dieser Kulisse wirkten einige der Liveacts notgedrungen etwas verloren; nicht nur aufgrund der schieren Größe der Räumlichkeit, sondern auch durch die zeitweise absurden Lautstärkebeschränkungen. Darunter litt am ärgsten vermutlich Yves Tumor, dessen exaltierte Performance erst bei großer Lautstärke ihre eigentliche Wucht entfaltet. Entnervt beendete er seinen Auftritt nach nicht einmal dreißig Minuten. Glücklicherweise blieb es bei dieser Ausnahme. Andere, wie Amnesia Scanner mit ihrem starken, verblüffend klar strukturierten Auftritt und Pan Daijing mit ihrer hypnotisch ausufernden Performance, hätten keine passendere Location als diese finden können.

Publikum

Etwas problematisch war ebenfalls, dass unter dem Dach der Wiener Festwochen keine separaten Tickets für das komplette Hyperreality Festival verfügbar waren. Lediglich Tagestickets standen zum Verkauf und so blieb am Donnerstag, als eine der Bühnen geschlossen war, schließlich der nötige Besucheransturm aus, um das weitläufige Gelände ausreichend zu beleben. Am Samstagabend trat der umgekehrte Fall ein, als durch die Absage Princess Nokias die Verteilung des Publikums derart aus dem Gleichgewicht geriet, dass endlose Wartezeiten einem ebenfalls aufs Gemüt schlagen konnten.

Nidia Minaj
Nidia Minaj

Als absolute Highlights im Bereich Ambient/Drone entpuppten sich derweil die Auftritte des Trios um Keiji Haino (mit Merzbow und Balázs Pándi) und des Wiener Künstlers Asfast, dessen druckvoller, klaustrophobisch-schillernder Soundentwurf an diesem Abend Größen wie Tropic Of Cancer oder Raime durchaus in den Schatten stellte. Einen weiteren Höhepunkt stellte der Auftritt des britischen Ambientduos Visible Cloaks dar, das entgegen jeder üblichen Praxis Samstagnacht um 2 Uhr als vollkommen entschleunigter Gegenpol zum eigentlichen Festivalbetrieb fungierte. Viel zu selten bekommen solch zurückhaltende Musikentwürfe derart prominente Slots zugewiesen.

Balacore
Balacore

Im Allgemeinen war das mutige und kluge Booking eine der großen Stärken des Hyperreality Festivals: So waren etwa für alle vier Festivaltage separate Showcases gebucht, die die globalen Entwicklungen elektronischer Clubmusik in all ihren Spielarten durchdeklinierten. Angefangen beim großartigen portugisisch-angolanischen Príncipe-Label um DJ Nigga Fox und Nidia Minaj bis hin zum Balacore-Collective aus den Londoner und Stockholmer Crews Bala Club und STAYCORE wussten alle uneingeschränkt zu überzeugen. Insbesondere Endgame, Kamixlo und Uli K. lieferten einen kurzweilig-ironischen Auftritt in Marylin-Manson-Shirt und Wrestling-Maske ab. Wohingegen aus dem NON-Label-Showcase vor allem die Auftritte Kleins und Nkisis in Erinnerung blieben, sorgte das New Yorker GHE20GOTH1K-Collective um Venus X und Lotic für einen rundum berauschenden Festivalabschluss. Fatima Al Qadiri, deren schweißtreibendes Set auf konstanten 140 bpm sicher eines der Highlights des gesamten Wochenendes war, ragte hierbei noch heraus.

Ambitioniert, aber noch etwas unfertig erschien das erste Hyperreality Festival im Jahr 2017. Man darf gespannt sein, welche Schlüsse die Veranstaltenden aus diesem dennoch starken Debüt ziehen und inwiefern sie die äußeren Umstände an ihre Bedürfnisse anzupassen vermögen. An ihrem feministischen, diversen und mutigen Booking dürfen sie gerne festhalten!

Fotos: Susanna Hofer

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