
Über einen Mangel an Gitarrenmusik-Geheimtipps aus Australien konnte man sich in letzter Zeit kaum beklagen – dafür sorgten kleine, feine Labels wie R.I.P. Society, Homeless, Bedroom Suck oder Aarght!, deren Veröffentlichungen auf unseren Seiten dementsprechend des Öfteren komplimentiert werden. Doch meistens machen auch wir diese Entdeckungen nicht gerade tagesaktuell, oft genug einfach schon deswegen, weil man erstmal ein bis zwei Monate auf die Post aus dort unten warten muss.
Während sich also unsere ersten Importe für 2014 bald auf den Weg machen werden, wollen wir noch mal den Blick und die Ohren auf ein paar Alben des vergangenen Jahres richten, die nicht minder großartig sind als solche, die wir in Rezensionen und Jahresendliste bereits erwähnt haben (Beaches, Bed Wettin‘ Bad Boys, Sewers, The Stevens, Straight Arrows, Lower Plenty und und und …).
Von allen unscheinbaren australischen Verschrobenheiten war dies 2013 wohl die enigmatischste. Dabei könnte ein Album, auf dem gar nicht mal so viel passiert, eigentlich leicht durchschaubar sein, doch das Duo aus der tasmanischen Inselhauptstadt Hobart holt aus spärlicher Repetition erstaunlich viel, vor allem viel Variation heraus. Über eine pluckernde Drum Machine nebst rudimentärem Basszupfen und -schaben treiben bliepige Arpeggi bis schäbiger Digi-Noise, die der Nintendo-Synth-Emulator KORG DS-10 ausspuckt. Was anderswo gimmickhaft wirken könnte, fällt gar nicht erst auf, wenn Peter Escott seine Worte so sehr spricht wie singt und in diese ausgestellte Tonschieflage doch so viel Verwundbarkeit legt, dass man mit jedem Hören tiefer in dieses Album gezogen wird.
Wer sich in den vergangenen Jahren ein wenig für die australische Indie-Szene interessiert hat, dürfte Mikey Young kaum aus dem Weg gegangen sein können: Als Produzent von Bands wie The Native Cats, Boomgates und Dick Diver oder als Mixer für unzählige australische Indie-Bands, darunter solche AUFTOUREN-Favoriten wie Royal Headache oder Bed Wettin‘ Bad Boys, hat er derzeit fast überall seine Finger im Spiel. Ooga Boogas aus Melbourne sind sowas wie die legitimsten Nachfolger der legendären Eddy Current Suppression Ring – und haben deren Gitarristen und Tausendsassa Young praktischerweise gleich mit an Bord, der gemeinsam mit Singer Leon Stackpole hauptsächlich für das Songwriting der Band zuständig ist. Fünf Jahre nach dem exzellenten Debüt „Romance And Adventure“ ist der selbstbewusst selbstbetitelte Nachfolger genau das Album, das es werden musste.
Die Aufnahmen für „Ooga Boogas“ beginnen in Preston, in einer alten Baracke von Stanleys Familie. Und mal ganz ehrlich, gäbe es einen geeigneteren Ort für eine Garage-Rock-Band? Dabei sind Ooga Boogas mit ihrer Art lässigen Überlegenheit irgendwo in den Breitengraden von LCD Soundsystem aufzufinden. Nicht nur thematisch, wie etwa „The Clock Is Ticking“ auf ihrem Debüt andeutete, sondern zeitweise auch auf musikalischer Ebene, etwa beim achtminütigen Funk-Groove von „Sex In The Chillzone“ oder dem nur schwer zu entfliehenden No-No-Wave-Hit „Studio Of My Mind“. Purer Zufall sicherlich hingegen, dass sie 2010 für ihre 7″ ausgerechnet „Eisbär“ coverten – jenen Hit, der just zur gleichen Zeit zu James Murphys „You Wanted A Hit“ wurde.
Zurück zur Garage: Schon die Arbeiten am doch eher zurückhaltenden „Ecstasy“ laufen in der Lautstärke derart aus dem Ruder, dass sich Nachbarn genötigt sehen, die Polizei zu rufen, um dem Treiben ein Ende zu bereiten. So wird der Rest dieses beneidenswert lebensfreudigen Albums eben im Three Phase Studio in Brunswick aufgenommen – unter anderem auch der „Oogie Boogie II“, dem eigentlichen Comeback der Stooges. Für alle, die bei dieser Band einsteigen wollen, gibt es aktuell übrigens ein besonderes Angebot: Für schlappe 5 Dollar bieten die Melbourner beide Alben inklusive Songs ihrer 7-Inches bei Bandcamp an.
In den fünf Jahren zwischen den beiden Ooga-LPs fanden noch eine Menge anderer Dinge statt: Abgesehen von Touren und 7-Inches starteten Teile der Band mit Aarght! ein eigenes Label, für das vor allem Basser Richard Stanley verantwortlich ist und das neben der eigenen Gruppe natürlich unter anderem auch Veröffentlichungen weiterer befreundeter Bands wie The UV Race oder Total Control (beide unbedingt anhören!) im Repertoire hat – bei Letzterer ist, wie könnte es anders sein, auch wieder ein gewisser Mikey Young eine der zentralen Figuren.
Ja, ist es denn schon wieder 1984? Braucht es wirklich neuen zackigen, Preset-Synthie-New-Wave-Post-Punk, hatten wir das nicht erst Anfang und Mitte der 00? Wenn es nach Ausmuteants geht, muss man diese Fragen wohl eindeutig mit einem unbedingten „JA!“ beantworten. „Amusements“, das zweite Album der Band, prescht durch zwölf Songs randvoll mit Teenage Angst, Frust, „Hinterland“-Hass, Außerirdischen und dem Gefühl, dauert in die Scheiße zu treten oder am falschen Ort zu sein, deren Dringlichkeit und regressiver Wirkung mit Hang zum Durchs- Wohnzimmer-Hopsen man sich kaum verweigern kann. Und wenn in „Piss Myself Twice“ kindlich-jugendliche Schultraumata dermaßen entwaffnend vorgetragen werden, wird die Verlorenheit und Isolation des Einzelnen in den Mühlen einer Institution oder vermeintlicher Peer Groups beinahe greifbar. Allein dafür: Hut ab, aber der Rest weiß eben auch zu überzeugen.
Landauf, landab werden Parquet Courts als Inbegriff des Slacker-was-auch-immer-Rock abgefeiert und sogar die Erfindung dieses Genres durch Unsereins – den Popschreiber – wird an ihnen festgezurrt. Dabei, und hier sollten wir uns keiner Illusion hingeben, spielen Bands vom fünften Kontinent eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Genese dieser Spielart des Rock und ihre Veröffentlichungen stehen teils weit vor den ersten Tönen von Parquet Courts. Bitch Prefect sind eine von ihnen und beinahe beängstigend exemplarisch. Auch der Faszination, die ihr zweites Album „Bird Nerds“ entwickelt, kann man sich wie schon beim Vorgänger „Big Time“ nicht entziehen: 10 Songs, nicht wenige davon Hits, die wirken, als seien sie beiläufig aus dem Ärmel geschüttelt zwischen zwei Kippen oder Foster’s und die dargeboten werden mit einer nonchalanten Lässigkeit, die Ihresgleichen sucht.
Irgendwo zwischen den beiden vorherigen Bands lassen sich The Gooch Palms aus Newcastle verorten. Ihr Debüt „Novo’s“ mischt dem Slack’n’Indie-Punk noch geschrammelte Simplizität und gemischtgeschlechtliche Gesangsparts à la Beat Happening, Oh-Ohs, rudimentäre Chorgesänge sowie einen Sänger mit einer Phrasierung irgendwo zwischen Ian Curtis und Elvis bei. So aufgestellt präsentiert das Album zehn wunderschöne, betörend schlichte Perlen australischer Popmusik, die sich auch im Sommer noch als idealer Begleiter für Baggersee-, Balkon- oder Was-auch-immer-Partys erweisen sollten, einem folglich noch weit durchs Jahr begleiten werden.
Was lange währt, wird nur noch besser: Wohl das stärkste australische Veröffentlichungsjahr hatte das vergleichsweise weniger rock’n’rollige Label Chapter Music aus Melbourne – und das im Jahr nach seinem zwanzigsten Geburtstag. Da waren die Frühjahrserfolge von Beaches und Dick Diver nur der Anfang, mit Alben von Bushwalking, The Stevens oder Pikelet zementierte Chapter Music in der zweiten Jahreshälfte seinen Status als Ausnahmelabel. Doch auch wenn Chapter mit seinem Ausstoß aus vollendeter Imperfektion den angesehenen Status eines Brooklyner Labels wie Captured Tracks oder Mexican Summer verdient hätte, gewürdigt wurde es außerhalb des eigenen Landes nicht. Klar, ein gehyptes Label zu haben ist nun mal weitaus leichter, wenn man dort ansässig ist, wo auch die amerikanische Musikpresse selbst konzentriert ist. Sehr zu empfehlen ist übrigens die direkte Bestellung beim Webshop des Labels, wenn man mal keinen Import hierzulande findet: Eine CD zum Beispiel ist hier schon ab 14 Euro zu bekommen.
Bei Bushwalking verlaufen oft nur die Songs in geraden Linien. Alles andere krümmt sich in Kurven, in Kreisen oder Ellipsen, vom wiegenden Bass übers Stop-Start-voranwellende Schlagzeug bis zur mal tüpfelnden, mal großflächig pinselnden Gitarre. Mit der tranceartigen Losgelöstheit ihrer Musik, besonders der traumhaften Vocal-Harmonien, sind auch beim großartigen zweiten Album der Melbournerinnen Vergleiche mit Warpaint nicht unangemessen, doch „No Enter“ ist auf typisch australische Art rauer. Ab der Albummitte lassen Bushwalking Träume Schäume sein und machen sich in schattierter Stimmung ans Abholzen, doch bleiben sie stets derart in Kontrolle über die zunehmend panoramischen Psych-Outs, dass sie die Schwelle von effektivem Genuss zu Exzess nicht überschreiten.
Als Ariel Pink in seiner fahrigen Phase noch seine aus Archivaufnahmen kompilierten Alben auf Paw Tracks veröffentlichte und die Welt mit täglich wechselnder Besetzung betourte, traf Evelyn Morris als Teil einer solchen Behelfsband Shags Chamberlain, mit dem sie begann, ihr bis dato solo geführtes Projekt Pikelet selbst auf Bandgröße zu expandieren. Auf „Calluses“ liefert jene Band Morris‘ behutsam geschichteten und ineinandergefalteten Synthläufen nicht nur rhythmischen Unterbau und dynamische Wirkungsintensivierung, im sechsminütigen „Pressure Cooker“ schrauben sich Pikelet als eine Art Talking Stereolab Heads von intimer Nähe in deliriöse Space-Pracht.
Robin Mukerjee (oder auch: Bobby Kill) ist ein junger Mann aus dem australischen Kaff Canberra, der ein wenig an den verlorenen Conor Oberst zu Zeiten von Desaparecidos erinnert. Rastlos, umherirrend, schwankend: Das schlappe fünf Jahre Entstehungszeit schluckende Debütalbum von TV Colours ist ein Brocken von zerreißender Intensität. Doch über die Zwischenspiele, die immer wieder ein neues Bühnenbild erstellen, und die scheppernde Produktion schälen sich auf „Purple Skies, Toxic River“ zahlreiche Hitsingles heraus – das gilt für das unnachahmliche Zentrum „Beverly“ genauso wie für das sportfreundige „Lost Years“. Derart zupackender und beizeiten dennoch bis unter die Achseln verunsichterter Punk-Rock wäre eigentlich das ideale Bindeglied zwischen Titus Andronicus‘ ersten beiden Alben „The Airing Of Grievances“ und „The Monitor“ gewesen.
Soweit der Blick nach 2013. Für dieses Jahr darf man sich unter anderem schon mal vormerken und freuen auf: Blank Realm, King Gizzard & The Lizard Wizard, Harmony, Straight Arrows, Dick Diver, Twerps, Total Control – und ein Dutzend weiterer Mikey-Young-Projekte …
Texte von Mark-Oliver Schröder (Ausmuteants, The Gooch Palms, Bitch Prefect), Pascal Weiß (Ooga Boogas, TV Colours) und Uli Eulenbruch (Bushwalking, Pikelet, The Native Cats)
Manchmal braucht es hier echt etwas Geduld: Gestern ist die Bitch Prefect endlich angekommen – auf dem Lieferschein steht der 03. Dezember.
Als hätten wir’s vereinbart, ist auch gerade bei einer der dafür besten Seiten eine Vorschau aufs australische Musikjahr online gegangen: http://www.messandnoise.com/articles/4637154