Don't believe the(m): Hype Williams live in Köln

Hype ist eines der überhypetesten Phänomene unserer Zeit. Im Mitmach-Web 2.0, dem fast alle mit Leichtigkeit die eigene Meinung beisteuern können, lässt sich über so ziemlich alles behaupten – es würde viel darüber geschrieben. Anders als vor Jahren, als es noch eine überschaubare Anzahl von musikinteressierten Webseiten gab, ist dies jedoch kaum ein Indikator für ein breiteres Interesse, wenn eine Band dutzendfach online Erwähnung findet. Wenn alle ihre Meinung beisteuern anstatt einer eventuell repräsentativen Auswahl, dann bedeuten tausend positive Blogeinträge, Tweets und Likes erst einmal nur, dass sich eintausend Leute für ein Thema interessieren.

Zudem gibt es keine Unterscheidung mehr zwischen den „großen“ und „kleinen“ Sphären des Musikdiskurses. Mussten Bloghypes wie Voxtrot, Clap Your Hands Say Yeah! oder Tapes ’n Tapes erst einmal über Wochen und Monate durch Weitersagen und -schreiben eine immer größere Aufmerksamkeit erregen bis sich jemand wie Pitchfork ihrer einmal annahm, sind die Seiten, in die es einst „aufzusteigen“ galt, nun selbst am Boden aktiv. In Todesangst, als Zuspätkommer gesehen zu werden, sind sie selbst eifrig mit dabei, neuen Namen so schnell wie möglich ihren eigenen „Band To Watch“, „Rising“ oder „New Talent“-Stempel aufzudrücken, der sie als Checker und Entdecker positiv damit assoziieren soll. Dass wiederum stets mehr kleine Nischenseiten versuchen, selbst diesen Frühentdeckungen noch einmal einen Schritt voraus zu sein und täglich Massen neuer Namen ins Konversationsnetz werfen, führt endgültig zum Verlust von Übersicht. Bloß durch eine mit ihm getaggte MP3 kann kaum noch einer dieser Namen größere Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Erfolgversprechende Strategien dafür werden so schnell bekannt wie wieder abgenutzt. Der Schleier der Anonymität z.B., bei Burial oder Blank Dogs mit oder ohne Absicht noch Aufmerksamkeitslieferant, verliert an mysteriösem Effekt wenn er für Schlafzimmerpop-Produzenten zum Status Quo wird. Eine starke, klar identifizierbare Ästhetik, am besten mit zentralem Symbol, ist daneben schon fast ein Muss; The Weeknd, WU LYF oder Odd Future haben dies zuletzt demonstriert. Hype Williams hingegen haben den Mittelweg der Unklarheit gewählt, um ein Stückchen Hype auf sich zu ziehen: Ihre PR ist eine Mischung aus spärlich gestreuter Wahrheit, bewusster Wagheit und ausgemachtem Blödsinn, schon allein mit ihren Namen treiben sie die Pseudonymität auf die Spitze. Hinter dem Alias des Rapvideo-Gottes verbirgt sich ein Duo, dessen Diskographie (bald um eine EP auf Hyperdub aufmerksamkeitserregender) sich wie das Labeläquivalent einer trendigen Kneipentour liest und dessen eigene Promotexte darüber spekulieren, dass Inga Copeland und Roy Blunt nur Marionetten eines unsichtbar im Hintergrund agierenden Masterminds seien.

Das King Georg in Köln scheint für eine dermaßen auf Unklarheit und Versteckspiel gebaute Gruppe der denkbar ungünstigste Spielort. Eine winzige Distanz trennt dort Musizierende von Hör- und Schaulustigen, die sie stehend und sitzend fast komplett umringen. Wie will man so nicht sichtbar werden? Na klar, mit einem Hektoliter Kunstnebel. Als nach minutenlangem Raumbepumpen niemand mehr die eigene Hand vor Augen sehen kann, geht es los, gerade kann ein Spätankömmling noch „Ist ja gar nicht so viel los hier. Das sind doch HYPE WILLIAMS!“ in die Runde lassen. Und richtig, allzu voll ist es nicht, einige Gäste dabei noch von außerhalb. In Köln sieht man das mit dem Hype offenbar etwas lockerer.

Nur der „Hype Man“, eine Frontmann-Vogelscheuche mit Band-T-Shirt und Aluminiumhut, ragt anfangs am Mikrophonständer stehend heraus; die erhallenden Schreigesänge werden in Wirklichkeit irgendwo hinter ihm über einem mit Minibaum dekorierten Tisch erzeugt. Dass sich der Nebel mit der Zeit lichtet und das frickelnde Duo zunehmend in Sichtbarkeit rückt, führt kaum zu mehr Klarheit. Denn die Musik von Hype Williams ist noch nebulöser und schwerer zu greifen als ihre Identitäten, ins Unverständliche verzerrte und -hallte Spoken-Word-Samples und Live-Vocals hängen über recycelten Weichzeichner-Synths und trashigen Konservenbeats, in faszinierendem Fluss vermengen sich tropische New-Age-Schemen, dissonante Einschnitte und zunehmend intensive Maschinenrhythmen.

Bei allen Vergleichen mit R’n’B-Dekonstruierern wie How To Dress Well oder oOoOO die man finden mag, live erinnern Hype Williams besonders in ihren noisig verdichteten Momenten weitaus mehr an ältere Gang Gang Dance oder Animal Collective. Nur gelegentlich bestimmt eine eingängige Melodie das Treiben, das bei aller Basslastigkeit nie zu mehr als einem Kopfnicken in den Körper übergeht. So hinterlassen Hype Williams einen mindestens halb verdatterten Raum: Mysterium geglückt, niemand schlauer als vorher. Außer denjenigen, die eben solche Unklarheiten und inneren Widersprüche schätzen. Sie könnten hier ihre neue Lieblingsband gefunden haben. Hype?

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