AUFTOUREN: 2011 – Das Jahr in Tönen

Veronica Falls

„Veronica Falls“

[Bella Union/Cooperative]

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Veronica Falls waren schon als Sexy Kids verlockend, wenn auch kurzweilig. Nun, da ihr Atem für ein ganzes Album reicht, machen sie nichts weniger als die perfekte Platte für den Pop-Hipster in uns. Velvet-Underground-Schrammelgitarren und Vaselines-Boy-Girl-Wechselgesänge füttern schnelllebige Songs und feinsinnig produzierten Lo-Fi-Rock, so dass die 12 Stücke – ehe man sich versieht – zu Hits werden, zu dunklen Ahnungen von Stimmungen der Langeweile und der Melancholie, zu denen sich je nach Vorliebe genauso wild tanzen wie emphatisch seufzen lässt. In diesem Jahr gab es keine besseren insanely catchy songs about love and death. Auf einem 2011er Album mehr potentielle Singles zu finden, dürfte schwer fallen. (Sebastian Schreck)


Nicolas Jaar

„Space Is Only Noise“

[Circus Company]

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Ein Seufzen, mehr nicht. Nur zögerlich entwickelt sich in gleichmäßigen Schritten so etwas wie Struktur. Fast gleichgültig, aber eindringlich doziert der gerade mal 20-jährige Nicolas Jaar aus New York in „Space Is Only Noise If You Can See“ über eben jene faszinierenden Zusammenhänge. Ohne tatsächlich zu einem Höhepunkt zu kommen, löst es sich am Ende genau so abstrakt auf, wie es sich zu Beginn angeschlichen hat. Dass das Titelstück das bei weitem zugänglichste auf Jaars Debütalbum ist, zeigt vor allem eines: Nicolas Jaar lebt nicht für dreiminütige Songs, er unterwirft vielmehr die einzelnen Fragmente einer einheitlichen Klanglandschaft zwischen Electronica, Post-Dubstep und ambientem Rauschen. Auch einzelne verspielte Ansätze werden hierdurch sofort abgewehrt, der Mikrokosmos ist unangreifbar. (Felix Lammert-Siepmann)


Real Estate

„Days“

[Domino]

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Auch wenn „Anecken“ gewiss nicht ihr vorderstes Prinzip ist: Ganz so leichtfüßig, wie die Songs und die saubere Produktion vermuten lassen, ist das Zweitwerk von Real Estate dann doch nicht. Denn neben Zeilen wie „All those wasted nights / All those aimless drives through green aisles / Our careless lifestyle, it was not so unwise“ finden sich wie in „Three Blocks” durchaus Zweifel: „Monday morning dirty sidewalks waiting for me outside the door / Walking slowly on those three blocks things won’t be like they were before”. Allen voran mit Songwriter Martin Courtney und Gitarrist Matt Mondanile hat die Band so innerhalb von gut zwei Jahren einen gewaltigen Satz gemacht, den Welpenschutz entschlossen abgestreift. Solch eine Fülle von Jangle-Pop-Hymnen von dem unwiderstehlichen „Out Of Tune” bis „Wonder Years” ist erstaunlich. Da mussten selbst R.E.M. einpacken. (Pascal Weiß)


Robag Wruhme

„Thora Vukk“

[Pampa]

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2011, das war auch das Jahr von Pampa Records, DJ Kozes Label gewordenem, feuchten Traum, der den neurotischen Eigenbrötlern der deutschen House- und Technoszene als grenzenlose Spielwiese dient. Auf Albumlänge wurde das nirgends so deutlich wie auf Robag Wruhmes „Thora Vukk“, das schon in der Namensgebung der Tracks sein beliebtes und äußerst komisches Verwirrspiel treibt. Hinter einem dezenten Gerüst aus geradlinigen Beats verstecken sich hier Schnipsel aus Xylophon, aneinander reibenden Metallstücken, Kinderstimmen und allerhand anderen analogen Quellen, deren Ursprung man letztendlich nie vollständig entschlüsseln kann. So entfaltet das Album unter seiner entspannten Oberfläche einen geheimnisvollen und eigentümlichen Sog, der den nächsten und übernächsten Hördurchgang quasi unabdingbar macht. Endgültig enträtseln wird man „Thora Vukk“ dadurch wohl nicht, nur soviel scheint klar: Der Unterschied steckt hier in den Details. (Bastian Heider)

Eleanor Friedberger

„Last Summer“

[City Slang]

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So schwierig auch der Umgang mit Neben- und Soloplatten von Bandmusikern ist, so gelungen ist das Soloalbum der Sängerin der Fiery Furnaces, Eleanor Friedberger. Einerseits ist „Last Summer“ nämlich dem Geist ihrer Band verbunden, also eigensinnig, schamlos im Einsatz von Effekten und Stilismen, wild. Andererseits ist es ihrer persönlichen Vorstellung verpflichtet, soll heißen: eingängig, melodiebeseelt, poppig. Ein großes Stück 70er-Pop mit Saxophon, Bläsern und Gitarrensoli, zusammengeschnürt zu Hits wie dem funky „Roosevelt Island“, „My Mistakes“ oder „I Won’t Fall Apart On You Tonight“. Eleanor Friedbergers dunkle Stimme verschifft New York ins Radioland der 70er, wo pleasures noch nicht guilty waren und Songs noch etwas galten. Sie ist mehr Boss als wir je für möglich hielten. (Sebastian Schreck)


Fucked Up

„David Comes To Life“

[Matador]

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Eine Hardcore-Punk-Oper in vier Akten, knapp achtzig Minuten. Jede Menge Futter, das erstmal für so manchen Winterschlaf reichen muss. Denn der Tim Harrington von Les Savy Fav nicht ganz unähnliche Fucked-Up-Frontmann Damian Abraham ist inzwischen Familienvater – das verträgt sich nicht so mit den gewohnt ausufernden Touren. Spekulationen um die Zukunft kursierten zum zehnjährigen Bandjubiläum zuhauf, allein: Abraham war sich wohl selbst noch nicht ganz schlüssig – die Unsicherheit konnte er wiederum auch nur wenige Tage mit sich rumschleppen. Es geht also weiter, irgendwann. Bis dahin darf man gespannt sein, wie sie das ebenso fordernde wie leichtläufige „David Comes To Life“ mit all seinen Hits um „Queen Of Hearts“ noch mal toppen wollen. (Pascal Weiß)

Tom Waits

„Bad As Me“

[Anti-]

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„Welcome ladies and gentlemen, welcome to the outlaw circuit“. Nichts Neues also bei Waits? Doch, denn „Bad As Me“ ist mehr als nur „das neue Album“. Mehr Einblick in seine zahlreichen Verwandlungen kann kaum geboten werden, so dass „Bad As Me“ eher einem zufälligen Best-Of-Album gleich kommt. Ob zerdepperter Walzer, einsamer Nachtfalke, streunender Hund oder ewiger Wanderer. Ob im Zirkus, auf der Landstraße, in der neonlichtverblendeten Bar oder in der Enge der Stadt: Waits hat’s immer noch drauf. Klingt so wie immer? Ist auch so. Und das ist so, wie es ist: eben Waits. (Carl Ackfeld)


Wilco

„The Whole Love“

[Anti-]

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Die beiden vorletzten Alben Wilcos wiesen eine gewisse Reife, vielleicht sogar Vorhersehbarkeit auf. Das konnte, musste beinahe gemocht werden, begeistert brauchte aber niemand mehr zu sein. Es schien, als hätte die ganze Leidenschaft der Band einst mal mehr umfasst. In diesem Jahr aber kam sie wieder, „The Whole Love“, aufgeteilt in 12 Songs, die alles enthielten, was an Wilco liebenswert ist: zärtlich Zerstückeltes mit Elektronik („The Art Of Almost“), Beatle-eskes („Sunloathe“), Rockmusik für Popfans („Dawned On Me“), ausgefuchste Gediegenheit („Open Mind“) und Weitläufiges mit viel Gespür für feinen Sound („One Sunday Morning (Song For Jane Smiley’s Boyfriend)“). Zusammengehalten wird all das nicht nur durch Tweedys alterslose, weil niemals jung gewesene Stimme, sondern die gesamte Band. Besser wurden Geschmack und Virtuosität 2011 im „herkömmlichen“ Pop von niemanden vereint. (Lennart Thiem)


Shabazz Palaces

„Black Up“

[Sub Pop]

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Veteranen haben es im HipHop schwer. Die Helden der Golden Era scheinen heutzutage allesamt längst vom Zeitgeist überholt. Musikalisch relevante Statements erwartet man bis auf einige Ausnahmen immer nur von der Jugend. Was aber, wenn diese nunmal gar nicht soviel hervorzubringen hat? Gut, dass es Typen wie Ishmael “Butterfly” Butler gibt. Das einstige Mitglied der über einigermaßen Kultstatus verfügenden Jazz-Hopper Digable Planets setzte sich in diesem Jahr gemeinsam mit dem afrikanischen Perkussionisten Tendai Maraire von Seattle aus ganz unverhofft an die Spitze einer musikalischen Bewegung irgendwo zwischen Def Jux und Brainfeeder. Psychedelisch vertrackt, düster und ganz zeitgeistig mit elektronisch blubberndem Dub spielend ist „Black Up“ locker das rundeste und kohärenteste Rap-Album des Jahres, und das obwohl es inhaltlich äußerst esoterisch um Themen wie Spiritualität und afroamerikanische Selbstfindung kreist. So etwas macht den in Würde gealterten Herren auch aus der jüngeren Generation so schnell keiner nach. (Bastian Heider)


Panda Bear

„Tomboy“

[Paw Tracks]

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Eines der schönsten Erlebnisse im letzten Sommer: „Benfica“ aus Noah Lennox‘ neuestem Streich bei Sonnenuntergang rauf und runter hören. Dabei ist dieser die Welt umarmende Closer eigentlich gänzlich untypisch für „Tomboy“, auf dem Lennox reservierter als zuletzt auftritt. Der Opener „You Can Count On Me“ gibt die Richtung in vielerlei Hinsicht vor. Selbstbewusst, dazu hat er nach den Erfolgen in den letzten Jahren guten Grund, aber dennoch eher abwartend tastet er sich durch die ersten Minuten des Albums. Sein Songwriting ist ernsthafter (und besser) geworden, sogar das mit Wellengeräuschen unterlegte „Surfer’s Hymn“ verbreitet mehr Melancholie als Sommergefühl. „Tomboy“ ist das imposante Alterswerk eines gerade einmal 31-jährigen. (Felix Lammert-Siepmann)


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11 Kommentare zu “AUFTOUREN: 2011 – Das Jahr in Tönen”

  1. Zurück zum Beton sagt:

    Oh ja, feine Rezensiönchen, die gekrönt werden vom Drone-Meister Tim Hecker – macht bislang Lust auf mehr. Wenn ihr allerdings den Hecker unter den Top30 verortet, frage ich mich, wo die Grenzziehung zwischen Abseitigem und nennen wir es mal Konsens vs. Mainstream verläuft. Nicht dass ihr euch da im obskuren Bereich befindet, der doch eher dem eigenen Gusto entspricht anstatt irgendwie Geradlinigkeit vorspielt.

  2. Markus sagt:

    [AUFTOUREN-Markus] Danke für den Kommentar, Beton! Ich versuche das noch einmal etwas zu präzisieren: Die Top50 sind wie immer der Redaktionskonsens, erstellt aus den Einzellisten. Tim Hecker wurde von fast allen gehört und gemocht – und taucht entsprechend hier auf. Gleiches gilt ja für Matana Roberts oder The Caretaker, die einfach innerhalb des Teams eine gewisse Popularität erreicht haben. Eine Vorauswahl unter dem Gesichtspunkt „Bekanntheitsgrad“ gab es nicht – obwohl, und das wird sich zeigen, sicherlich die „großen Namen“ dann tendenziell auch weiter oben in der Liste zu finden sein werden.

    In der „Geheimen Beute“ stellen wir euch dann ab Donnerstag 30 Alben vor, die in der Summe noch viel unbekannter sein dürften. Quasi die Spezialistentipps, die selbst für eine Konsensliste bei uns keine Chance hatten. Konsens bezieht sich dabei aber wirklich nur auf die interne Auswahl.

    Wir hoffen einfach, dass die/der ein- oder andere doch noch ein paar Alben entdecken kann. Und wenn wir entsetztes Kopfschütteln ernten, dann diskutieren wir gerne hier in der Kommentarbox ;)

    An dieser Stelle sei auch noch einmal auf die Möglichkeit hingewiesen, bei den Lesercharts mitzumachen – da zeichnet sich dieses Jahr ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen ab.

  3. Johannes sagt:

    Insgesamt schon schöne Charts, unterscheiden sich aber nur geringfügig von denen der 10000 anderen Magazine. John Maus hätte nach meinem persönlichen Geschmack durchaus höher sein dürfen.

  4. Uli sagt:

    Das liegt halt in der Natur von Konsenslisten. Wenn man den größten gemeinsamen Nenner zwischen mehr als drei Leuten (und erst recht wie hier mehr als zehn) bildet, wird man da eher weniger Obskuritäten antreffen.

    Aber u.a. dafür kommt ja noch die ‚Geheime Beute‘ – und natürlich halten die Einzellisten aller Abstimmenden noch ein paar Platten bereit, die es sonst garantiert nirgendwo gibt.

    Maus fand ich einen Tick schwächer im Vergleich zum damals völlig ignorierten „Love Is Real“. Weniger tollkühn, aber auch jetzt keine echte Weiterentwicklung, vor allem die Produktion wirkte stellenweise noch unentschlossen. Muss aber sagen, dass die neuen Stücke live besser rüber kamen als die anderen.

  5. Erik sagt:

    Schade, dass diesmal keine Überraschung auf der Nummer 1 ist so wie letztes Jahr. Insgesamt aber gut.

  6. […] der Top Ten List of Top Ten Lists of Top Ten Lists). Ganz wunderbare Listen wie immer auch bei der Crew von Auftouren, bei den White Tapes-Menschen, bei Laut.de oder der Redaktion der Spex. (Was die Magazine […]

  7. […] ihr damit gefülltes, selbstbetiteltes Debüt im vergangenen Jahr in den Top 20 unserer Lieblingsalben landeten, freuen wir uns natürlich sehr, den Ende dieses Monats beginnenden dritten […]

  8. […] mal einen kleinen Auszug aus den bisherigen Bestätigungen aufzuführen: Mit dabei sind u.a. unsere letztjährige Nr. 1 Destroyer, die noisepoppigen Fuck Buttons, Dirty Three (mit Warren Ellis und Jim White!), […]

  9. […] mal einen kleinen Auszug aus den bisherigen Bestätigungen aufzuführen: Mit dabei sind u.a. unsere letztjährige Nr. 1 Destroyer, die noisepoppigen Fuck Buttons, Dirty Three (mit Warren Ellis und Jim White!), […]

  10. […] den Redaktions-Jahrescharts 2011 und den 30 Alben aus unserer „Geheimen Beute“ gibt es nun noch den ultimativen […]

  11. […] sich nach wochenlangem Abstimmen, hochintellektuellem Debattieren und Haare ziehen endlich auf eine Jahresendliste 2011 geeinigt hat, in der sich alle einigermaßen stark vertreten […]

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