Real EstateDays

Besetzte Wall Street, Zelten vor der EZB, römische Unruhen … In diesen protestgeladenen Tagen wirken die mühelos sanften Songs von Real Estate fast wie ein Ablenkungsmanöver der oberen 1%. Um die Straßen zu besänftigen, um bereits mit dem Bandnamen einen Begriff zu rehabilitieren, der zum tragenden Faktor in der amerikanischen Wirtschaftskrise wurde. Von Aufbäumen ist auf dem zweiten Album des Jersey-Trios nichts zu hören, keine Spur von Dissonanz und erst recht nicht von Dringlichkeit.

Nein, Real Estate praktizieren aufs Wunderbarste die harmonische Entschleunigung, „Days“ klingt, als hätten sie gänzlich mit Alltag und dem weiteren Weltgeschehen abgeschlossen. Doch propagieren Songs wie „Easy“ das Idyll („Around the fields we run / with love for everyone / With dreams we saw with eyes upon / until that dream was done“) nicht als Lebensentwurf, sie bilden weiterhin den biographischen Ereignishorizont von Songwriter Martin Courtney ab. Der Mann mit der schüchternen Stimme ist mittlerweile bei seinen Eltern ausgezogen, in deren Haus er nach Studiumsende noch alle Stücke des Debütalbums und der nachfolgenden „Reality“-EP verfasst hatte.

Fans seiner Musik werden sie trotzdem bleiben, auf das gleichermaßen an frühe R.E.M., späte Pavement oder Mittphase-Shins erinnernde „Days“ können sich durchaus mehrere Generationen von Janglepop-Aficionados einigen. Auch wenn ihre reibungsarme Musik höchstens durch nicht-Anecken irgendwo anecken könnte, ist es nicht schwer zu sehen, was Real Estate als Band auszeichnet: Ihre Mitglieder haben dort Persönlichkeit, wo es zählt – in ihrem Instrumentenspiel. Bis auf einen kurzen Moment in „Out Of Tune“, das als einziges schon vor den Albumsessions entstand und auf wundersame Weise zugleich langsamer und schneller wirkt als es ist, zieht die unspektakulär gemütliche Rhythmussektion um Bassist Alex Bleeker nie mit Druck an. Sie hält sich bescheiden zurück, um das Gitarrenspiel aus Courtneys simplen Melodien und Matthew „Ducktails“ Mondaniles abenteuerlich darum zirkelnden Saitenläufen oder angepsychten Pedalschwaden im Vordergrund zu lassen. Umso effektiver transportiert dies eine aufgeklarte Produktion, die den Unterschied zwischen sanftem Nachhall und dem murksigen Lo-Fi-Sound des Vorgängeralbums nur allzu deutlich macht.

Bei aller gefühlten Mühelosigkeit der Musik ist „Days“ kein sorgenfreies Strandalbum. Zwar wird selbst gefühlt verschwendete Zeit rückblickend in „Green Aisles“ als Gewinn verbucht („All those wasted nights / all those aimless drives through green aisles / Our careless lifestyle, it was not so unwise“), doch wartet in der Gegenwart die Monotonie des Bandalltags auf Courtney. „You play the songs that were written for you / But you’re all out of tune / You’ve got the wrong attitude,“ singt er in „Out Of Tune“, sich nach dem ewig gleichen Runterspielen seiner Songs gar nicht mehr als ihr Autor fühlend, bloß noch als Interpret. Und auf der anderen Seite der Liebesharmonie in „It’s Real“ („Sometimes I feel like I don’t know the deal / But when I tell you how I feel / Believe me when I say: It’s real“) gibt sich „Younger Than Yesterday” verstört: „It takes all summer long / Just to write one simple song / There’s too much to focus on / Clearly there is something wrong.“ Und lässt in einem das Eingeständnis zu, dass die Welt aus mehr als den eigenen vier Wänden besteht. Immerhin ein Anfang.

77

Label: Domino

Referenzen: The Feelies, R.E.M., Pavement, Ducktails, Kurt Vile, The Shins

Links: Homepage | Facebook | Albumstream

VÖ: 14.10.2011

3 Kommentare zu “Real Estate – Days”

  1. koe sagt:

    schoene rezi, schoenes album, und heute abend Konzert – juhu ;-)

  2. […] die Songs so übersichtlich und zielgerichtet wie die der frühen Death Cab For Cutie oder von Real Estate. Ein bisschen Hall muss man sich gerade bei der Stimme Cole Smiths noch dazu denken, ein bisschen […]

  3. […] Matthew Mondanile Gitarrist bei Real Estate ist, konnte man schon seinen bisherigen Solowerken als Ducktails anhören. Doch auf seinem ersten […]

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