Tom WaitsBad As Me

Die wenigen, die den unverzeihlichen Makel rechtzeitig ausbügeln und beim Thema Tom Waits zukünftig guten Gewissens den Finger heben wollen, erwischen einen günstigen Zeitpunkt: Mit „Bad As Me“ bekommen sie ein wahrlich prächtiges Werk, das alle Phasen des gut 40 Jahre umfassenden musikalischen Schaffens des Tom Waits abbildet. Eine Art „Best-Of-Album“ – zu einem Zeitpunkt, an dem andere mit einer bloßen „Best Of“ zufrieden gewesen wären.

Der Entertainer, selten mehr und häufig weniger augenzwinkernd behauptend die Wahrheit werde generell überschätzt, ist zurück in der Manege. Und schlüpft während seines durchweg unterhaltenden, teilweise sich selbst karikierenden (wann genau wird natürlich nicht klar) neuen Programms in eine schier unüberschaubare Vielzahl von Masken. So galant, dass ein „echter“ Tom Waits mal wieder nicht erkennbar wird, gar nicht wirklich von Interesse ist – was ihm selbst wiederum sehr entgegen kommen dürfte. Denn man behalte im Hinterkopf, wie vehement er sich gegen die Erstellung seiner vor zwei Jahren veröffentlichten Biographie von Barney Hoskyns lehnte und seinen Bekanntenkreis ziemlich erfolgreich um eisernes Schweigen bat. Ein Schauspieler eben. Keiner, der im öffentlichen Rampenlicht „lediglich“ auf die Rolle des glücklichen Familienvaters reduziert werden möchte.

Fast familiär hingegen ist die Besetzung des musikalischen Ensembles: Da hätten wir den langjährigen Wegbegleiter und begnadeten Gitarristen Marc Ribot, den sicherlich nicht minder prominenten und bereits zu Zeiten von „Rain Dogs“ (1985) mitwirkenden Stones-Gitarristen Keith Richards. Oder David Hildago (Los Lobos), der ebenfalls seit „Frank’s Wild Years“ (1987) regelmäßig zum Kreise der Auserwählten zählt. Auch Les Claypool (Primus) taucht abermals auf, um nur einige zu nennen. Dass die maßgeblich an Waits’ drastischem stilistischem Umbruch zu Zeiten von „Swordfishtrombones“ (1983) beteiligte Ehefrau Kathleen Brennan wieder am Entstehungsprozess sämtlicher Songs auf „Bad As Me“ mitgewirkt hat, versteht sich inzwischen von selbst. Und passt da ebenso gut ins Bild wie der eigene Sohn Casey Waits an den Drums. Dieser ist inzwischen übrigens längst selbst in dem Alter, in dem sein Vater damals in verranzten Nachtclubs als Tellerwäscher, Türsteher oder Musiker seiner Arbeit nachging.

Doch wo andere mit der Zeit deutlich ruhiger werden, kommt auf dem siebzehnten Studioalbum des mitunter knurrigen Kaliforniers an so mancher Stelle eine ungeahnte Härte zur Geltung. Dies wird am ehesten im selbst für Waits-Verhältnisse ausgefallenen, rüden „Hell Broke Luce“ deutlich, in dem Richards im Verbund mit Ribot und mit einem gewissen Flea am Bass unter Waits’ teuflischer Antreibung den Dreck aus der Hölle kehrt. So finster und böse wie seit „Bone Machine“ (1992) nicht mehr: „That big fucking bomb made me deaf, deaf!“ Nicht der geringste Versuch des Widerstands.

Auch der Titelsong ist Voodoo. Ganz so, als würden Screamin’ Jay Hawkins und Captain Beefheart gemeinsam aus der Kiste krabbeln. Natürlich kommen auch die Trunkenbolde nicht zu kurz, etwa in dem mitreißenden „Pay Me“ – wie Liebesleiden für verlorene Matrosen, die gegen Ende mit Waits’ rührendem Pianospiel langsam in den Ausnüchterungsschlaf getragen werden. Auch in der abschließenden Schifffahrtsballade „New Year’s Eve“ klimpert auf hoher See angeschickert ein Klavier vor sich hin, das sich zuvor in „Everybody’s Talking“ noch in die abgedunkelte Eckkneipe retten konnte. Es ist dabei nach wie vor schwer nachvollziehbar, dass die auf diesem Album in alle erdenkliche Richtungen variierende Whiskeystimme inzwischen seit Jahrzehnten nicht mehr geölt worden sein soll.

Für Anhänger der 70er-Asylum-Phase bleiben aber nicht nur die Träumereien von Alkohol und Nachtleben. Das ergreifende, fönwarme „Face To The Highway“ beschwört die Liebe zu den Beatniks um Jack Kerouac und die Freiheit des Highways, die auch schon Teile des Debüts „Closing Time“ (1973) zeichnete. Mit „Let’s Get Lost“ hingegen gibt es gar eine astreine Rock’n’Roll-Nummer, an der nicht nur Chuck Berry seine helle Freude haben dürfte. Erwähnenswert auch, wozu Keith Richards an der Seite von Waits in der Lage ist, wenn beide in „Last Leaf“ zum Duett anstimmen und nachdenklich über die Sterblichkeit philosophieren.

Dabei erinnert „Bad As Me“ viel weniger an das letzte reguläre, HipHop-Beats unterfütterte Studioalbum „Real Gone“ (2004) als vielmehr an die allein wegen ihrer Fülle anfangs reichlich fordernde, inzwischen zu eine der Kultplatten aus Waits’ Diskographie auserkorene 3-CD-Compilation aus bis dato rarem und unveröffentlichtem Material: „Orphans: Brawlers, Bawlers And Bastards“ (2006) war ebenfalls ein bisschen von allem, allerdings fein säuberlich unterteilt und betitelt.

Dies ist hier gar nicht nötig, das Werk wird an anderen Stellen zusammen gehalten: In erster Linie natürlich durch Waits‘ Stimme, die nie zuvor so viele Extreme auf einem Album vereinte. Und in zweiter Instanz durch den Blues, der dem gesamten Werk innewohnt. Sei es in Jazzballaden wie „Kiss Me“ oder herrlich überdrehten Nummern wie dem Eröffnungsstück „Chicago“ mit all seinen Putenschnitzel klopfenden Drums, wilden Bläsern und ungeduldigem Banjo.

Am Ende alles Blues. Gespielt von einem Mann, der unverkennbar mit Legenden wie Howlin’ Wolf oder John Lee Hooker groß geworden ist. Und der zur endgültigen Abrundung dann in der humorvollen Saxophon-Rocknummer „Satisfied“ noch einer anderen Band aus seiner Jugend schwungvoll die Kugel zurückschiebt: „Now Mr. Jagger and Mr. Richards … I said I will have satisfaction. Let the bullet go back into the barrel.
Before I’m gone.“

87

Label: Anti-

Referenzen: Captain Beefheart, Howlin‘ Wolf, Randy Newman, Nick Cave, Frank Zappa, Modest Mouse

Links: Homepage | Facebook | Albumstream

VÖ: 21.10.2011

4 Kommentare zu “Tom Waits – Bad As Me”

  1. Henrik sagt:

    „Der Entertainer, selten mehr und häufig weniger augenzwinkernd behauptend die Wahrheit werde generell überschätzt, ist zurück in der Manege.“

    Es ist immer sehr wichtig, um die Leser bei der Stange zu halten, einen Einstieg in den Text zu ermöglichen, der unnötig verklausuliert daherkommt.
    Danke dafür, dein ergebener
    „Man fasst es nicht“!

  2. Pascal Weiß sagt:

    Hehe, Henrik, gern, ein wenig muss sich eben auch der Leser mal anstrengen, finde ich.

    Beim nächsten Mal vielleicht lieber sowas?;)

    „Alter Lachs, sehr lustig anzusehen, wie dieser Knilchi spastische Tänze vollführend seine dreckigen Lyrics mit Hilfe von übereinandergeschichteten Elektro-Bums-Beats unter die Leute mischt.“

  3. Henrik sagt:

    Manche Dinge fragt man nicht, es muss so sein.

  4. Rinko sagt:

    Wäre der perfekte Soundtrack für Perdita Durango 2. :)

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