Der Liedschatten (47): Damm. Damm.


Ein feines Jahr, dieses 1965: erst Petula Clark, dann bisher zweimal die Rolling Stones und nun, ähem, Drafi Deutscher. Nein, ganz im Ernst, der Mann, der seine Karriere nach den 60ern unter bemerkenswerten Pseudonymen wie „Erus Tsebehtmi“, „Piña Colada“ und „Mr. Walkie Talkie“ fortsetzte (und trotzdem als bundesdeutsches Erbstück jugendlicher und „ehrlicher“ Musik gilt), hatte mit „Marmor, Stein und Eisen bricht“ 1965 eine Art veritablen Beat-Hit.

Drafi Deutscher “Marmor, Stein und Eisen bricht”, November – Dezember 1965

deutscher_marmorAndere sangen „Yeah Yeah Yeah!“, er eben „Damm damm / damm damm“. Das Schlagzeug stampfte und zischelte, die E-Gitarre war prominent präsent, der Refrain catchy, es wurde auch geschrien und das Tamburin geschüttelt. Etwas anderes machten die Engländer, zumindest oberflächlich betrachtet, auch nicht. Der Text blieb dabei hingegen im Rahmen des moralisch vertretbaren, was sich von den Stones nicht sagen ließ. Bei Drafi ging es nicht um eine zusammen verbrachte Nacht und Befriedigung, sondern um das Tauschen von Ringen, Doppeldeutiges ließ und lässt sich nicht entdecken. Der musikalische Tonfall war also vielleicht ungewohnt, und überhaupt, verstehe einer die jungen Leute, aber wenn schon, dann doch lieber ein Herr Deutscher als die zauseligen Briten mit ihren Unzüchtigkeiten.

Coolness benötigt mehr als die Unfähigkeit zu Lächeln: Drafi Deutscher mit Röhren.

Das Stück wurde zu einem Klassiker des Genre Schlager und hielt sich lang und länger als Drafi Deutscher (gestorben 2006). Sein Komponist Christian Bruhn hatte damit nicht nur nach “Zwei kleine Italiener“ und „Liebeskummer lohnt sich nicht“ seine dritte Nummer Eins, er bescherte außerdem Alleinunterhaltern eine „todsichere Nummer“, vor deren Zauber auch Lateiner nicht gefeit sind, wenn sie ad unum omnes einstimmen: „Si pluit, preme lacrimas / damdam damdam / Est, qui tenet manus tuas / damdam damdam / Marmor frangitur et ferrum…“. Da muss sich selbst eine Kanzlerkandidatin anbiedern.


Schlager und Politik: keines kommt ohne guten Willen aus.

Nun, Unterhaltung sollte ja auch nicht die Aufgabe einer Politikerin sein. Und wer zu amüsieren vermag, taugt hingegen oftmals nicht für Politik … jedem Tierchen sein Pläsierchen. So möchte man beinahe bewundernd die Weisheit anerkennen, mit welcher der Weltengeist einem jeden Menschen seine ganz doll individuelle Begabung verlieh und obendrein noch alles so einrichtete, dass sie fein zur Geltung kommen kann. Oder ist das nur Arbeitsteilung? Egal. Einige Menschen würden nun sagen: „Das war der liebe Gott, der war’s, hat alles fein geschaffen nach seinem Plan.“, und dann lobsingen sie ihn, und klatschen in die Hände, und sind so ziemlich happy, so überhaupt und sicher auch total. Fein. Vielleicht auch nicht. Denn nein, nicht alles ist okay, und der Teufel trinkt auch mal Blut.


Kümmerte sich nicht um das Chartranking der Gruppe Wir: Jesus von Nazareth.

Der Song wurde, anders als bei Youtube vermerkt, nicht von Drafi Deutscher interpretiert, sondern durch die von ihm zusammengestellte Gruppe Wir. Denn nachdem er 1966 ein öffentliches Ärgernis hervorrief, indem er vom Balkon pinkelte, wollte niemand mehr – sprich: die Medien und Veranstalter – etwas mit ihm zu tun haben. In den darauf folgenden Jahrzehnten wählte er sicher auch deshalb stets Pseudonyme oder arbeitete als Produzent, so zum Beispiel bei dem an den amerikanischen Jesus People orientierten Projekt Wir, dessen Kern sich grob beschreiben lässt mit „Menschen, die dem entsprechen, was man sich unter Hippies zu Beginn der 70er Jahre vorstellte, singen zu dem, was man sich unter groovy Musik vorstellte, christliche Texte, die keinem Gesangbuch entnommen sind, sondern auf das, was am Christentum hippiesk anmuten könnte, reduziert wurden“.

Erfolg hatte Drafi Deutscher damit nicht, also musste ein neues Pseudonym her. Mr. Walkie Talkie kam mit „Be My Boogie Woogie Baby“ immerhin in die Top 40 und veröffentlichte ein Album mit dem beachtlichen Titel „Happy Rummel Music“. Ein wenig erfolgreich war er auch als der den obskuren Discotitel „Can I Reach You?“ singende Jack Goldbird. Unter dem schelmischen Namen Masquerade erreichte er 1983 mit „Guardian Angel“ (als „Jenseits Von Eden“ von Nino De Angelo bekannt) noch einmal die höheren Ränge der Charts des deutschsprachigen Raumes, aber auch der Niederlande, Schwedens und Neuseelands.


Keine paradiesischen Zustände: Jenseits von Eden.

Überhaupt schienen die 80er Jahre eine recht gute Zeit für Deutscher gewesen zu sein. Mit dem Duo Mixed Emotions hatte er nicht nur ein tolles neues Pseudonym gefunden, sondern feierte zwischen 1986 und 1989 auch ein paar mittelschwere Hits, zum Beispiel „You Want Love“. Davor (und gewiß auch währenddessen) kam es zu allerlei von dem, was man sich halt so unter Skandalen vorstellt: ein ausschweifendes Leben, Alkohol und andere Drogen, Scheidungen sowie Steuerhinterziehungen. Recht originell war dabei allerdings der Eklat, zu dem es im Rahmen eines durch Dieter Thomas Heck, der am Wahlkampf für die CDU teilnahm, organisierten Konzertes kam, als Deutscher seinen Auftritt mit einer Empfehlung schloss, Willy Brandt zu wählen. Und überhaupt schien er ein recht unbedarfter, gerne auch einmal unangenehm berührend offener Mensch gewesen zu sein. Wenn er etwa auf die Frage nach Beziehungen „Gibt es irgendwelche neue Bindungen für Dich?“ mit „Im Moment onaniere ich, denn keine Frau kann schöner sein als die, die ich mir beim Onanieren vorstelle.“ antwortete, dann war das nicht unbedingt das, was man von einem Schlagersänger hören wollte, auch 1982 noch nicht. Weitere und zumindest teilweise unterhaltsame Interviews des anscheinend leicht grummeligen, zotigen Mannes findet man auf dieser leider wenig übersichtlichen Fanseite.

3 Kommentare zu “Der Liedschatten (47): Damm. Damm.”

  1. Eine verpfuschte musikalische Existenz möchte ich leider konstatieren. Sehr, sehr schade. „Marmor, Stein und Eisen bricht“ würde ich als Evergreen ansehen, dem man mit dem Begriff Schlager, wie du ihn meist definierst, nicht gerecht wird.

  2. Lennart sagt:

    Naja, verpfuscht… ich weiß nicht. Wirkt schon wie eine rund hingepfuschte Sache, das Gesamtwerk. Und „Marmor…“ schrieb ja nicht Drafi Deutscher.
    Ein einfacher Schlager ist es aber dennoch nicht, das stimmt wohl. Ich hatte auch erst „Evergreen“ im Text stehen, dachte mir dann aber: „Evergreen? Was soll das denn sein?“, kam zu keinem Ende und nun isses raus, das Wort. Sagen wir’s mal so: es handelt sich dabei um einen Klassiker der Unterhaltungsmusik, ganz vage und weit.

  3. Lennart sagt:

    Ah, oder man sagt einfach, hier habe der Schlager erstmals erfolgreich so getan, als sei er kein Schlager. Aber das führt nun wieder ein bißchen weit… und der Text ist nun auch schon fertig.

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