Der Liedschatten (31): Sachlichkeit zählt

Der Autor dieser kleinen Kolumne ist nicht nur stets darum bemüht, seiner Leserschaft ein wenig Kurzweil zu verschaffen, sondern hat den Wunsch, zu informieren. Gerade eben scheute er davor zurück, „bilden“ zu schreiben, das wäre dann doch ein wenig vermessen. Auch mag man ihm anlasten, dass er sich nur zu gerne zu abschätzigen Bemerkungen und gar Anklagen hinreißen lässt und nicht einmal vor Koketterie zurückschreckt, sollte er Schwierigkeiten mit den einleitenden Worten haben. Er täte es. Wenn er diese Schwierigkeiten, ähem, hätte.
Was hier fehlt, ist Sachlichkeit, jawohl, und zumindest heute soll ein mehr als nur sachliches Element in den „Liedschatten“ eigeführt werden: das untrügerische Vorgehen des Zählens. Und was zählen wir? Komponisten und Autoren unserer bisherigen Nummer-Eins-Hits zählen wir! Es folgt eine sinngemäße Darstellung via Symbolfilm (entspricht der Verwendung von Symbolfotos durch die Presse oder auch dem sogenannten „Serviervorschlag„).
Die Absicht dahinter ist folgende: davon ausgehend, dass bisher allein Rocco Granata zugleich Urheber, Texter und Interpret seines Stückes war, liegt die Vermutung nahe, alle anderen hätten einen Texter und Komponisten gehabt (es wird bewusst nur die männliche Form benutzt, eine Frau landete bis dahin weder als Komponistin noch Autorin einen Nummer-Eins-Hit). Hieraus würde sich der recht homogene Charakter des damaligen Musikmarktes erklären, es könnte sogar eine die SängerInnen entlastende Erkenntnis gewonnen werden: Was hätten sie unter diesen Umständen anderes über ihr Tun verlauten lassen sollen, außer, dass sie mit ihren Liedern ein wenig „Freude schenken“ oder Vergleichbares wollen würden? Einfach nur Erfolg in Form von Geld und Ruhm zu erlangen, klingt wenig sympathisch und etwas „mitteilen“, wie es Bands und MusikerInnen ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre versuchten, war damals noch zu unüblich, als dass eine Plattenfirma dazu geraten hätte.
Daraus resultiert dann auch eine Apologie der gegenwärtigen, oft kritisierten Verhältnisse, als deren stärkste Ausprägungen Castingshows angesehen werden: Die von vielen vermisste „Natürlichkeit“, der Widerwille gegen ein Kalkül der Labels, all das verfehlt den Kern der Musikindustrie und lebt von einem idealisierten Bild dieser. Es basiert auf einer nostalgischen, romantischen und selten gegebenen Einheit von Herstellenden und Vortragenden, dazu noch dem Glauben, Musik sei allein aufgrund ihres Alters schlichter und einfacher als gegenwärtige. Dabei ist sie aber nur etablierter und bekannter, nicht „natürlicher“ und „ehrlicher“, wie Menschen, deren Kritik sich in Phrasen wie „Das war noch Musik“, „Die konnten noch singen“, „Heute ist ja alles nur noch Lärm“, „Die sind ja nur gecastet, die können gar keine Instrumente spielen“ erschöpft, zu behaupten pflegen.
Menschen unterschiedlichen Alters präferieren ganz einfach unterschiedliche musikalische Produkte, deren Auswahl meist, aber nicht immer mit der Definition eines Lebensabschnitts durch Konsumgewohnheiten begründet ist. Sie tendieren dabei zur Idealisierung und obendrein noch Anpreisung und Verteidigung dieser anhand von Kategorien, die ihnen durch Reklame zur Verfügung gestellt werden wie die „Musik ihrer Jugend“, „Ehrlichkeit“, „Natürlichkeit“, „Können“, „Genie“, „Innovation“ und ähnlicher Schmonz. So kann man doch aber nicht über Musik reden, nein, vor allen Dingen hier und heute nicht. Wir wollen deshalb sehen, was sich bei unserer Zählung ergab.
Am häufigsten vertreten waren in der Hitparade der BRD vom Juni 1959 bis Juli 1963 die Komponisten Werner Scharfenberg und Lotar Olias sowie der Texter Hans Bradtke mit je drei Nummer-Eins-Hits. Das sind bei bisher 31 recht viele, nicht mit gezählt wurden dabei Stücke, die eine niedrigere Platzierung erreichten. Bedenkt man, dass fünf weitere Komponisten und Texter je zweimal vorkamen, kann schnell der Eindruck entstehen, man habe es hier mit einem von wenigen Personen dominierten Markt zu tun, woraus sich auch die beinahe immer wieder gleiche Entstehungsgeschichte der Hits (erfolgreiches Lied aus dem Ausland, Neuaufnahme mit deutschem Text) erklären ließe. Dabei darf man jedoch nicht außer Acht lassen, welche isolierenden und dezimierenden Auswirkungen die Kulturpolitik und der allgegenwärtige Rassismus bis hin zum Holocaust während der Nazizeit hatten, auch waren die technischen Möglichkeiten zur Reproduktion und Verbreitung von Musik nur wenigen Unternehmen – und schon gar nicht Privatpersonen – gegeben. Die Beschränktheit des musikalischen Angebots hatte also auch etwas mit dem Mangel an Alternativen zu tun. Es wäre daher zuweilen ein wenig, und sicher mehr, als sich an dieser Stelle finden ließ, Duldsamkeit gegenüber der damaligen Musiklandschaft angebracht. Das sollte aber keineswegs dazu führen, die scheußliche Belanglosigkeit der damaligen Erzeugnisse mit der Begründung fehlender Alternativen zu relativieren. Revisionismus hat, wie bereits ein Stück weiter oben erwähnt, hier nichts zu suchen.
Connie Francis „Barcarole in der Nacht“, Juni – Juli 1963
Eingedenk all dessen lässt es sich sehr gut vorstellen, wie Connie Francis‘ Titel „Barcarole In Der Nacht“ entstand. Die amerikanische Sängerin hatte aufgrund ihres großen Erfolges, der sich nicht nur auf die USA beschränkte, sondern durch Aufnahmen in zahlreichen Regionen für eine Karriere internationalen Maßstabes sorgte, von ihrem Label einen Vertrag erhalten, der ihr die Entscheidung über die Veröffentlichung aufgenommener Titel überließ. Eine Freiheit, deren sich die anderen InterpretInnen ihrer Zeit nicht erfreuen durften. Von diesen unterscheiden sich ihre LPs, dort interpretierte sie thematisch sortiert zum Beispiel italienische, jüdische, irische Volkslieder, Big-Band-Swing, Walzer und Songs von Burt Bacharach.
Mit diesen Alben konnte sie ein nicht nur jugendliches Publikum ansprechen, ihre Singles aber waren stets als Hits angelegt und den Erfordernissen der jeweiligen Märkte angepasst. Sicher deswegen zeichneten für „Barcarole In Der Nacht“ Werner Scharfenberg (Musik, seit 1959 zwei Nummer-Eins-Hits) und Kurt Feltz (Text, seit 1959 eine Nummer Eins) verantwortlich, und so hört es sich dann auch an. Das Stück konnte an dieser Stelle nicht, wie sonst üblich, via Youtube eingebunden werden. Grund dafür ist das sogenannte „Geoblocking“, und wer mag, sollte sich dazu ruhig einmal informieren. Spreeblick gab dazu eine recht gute Einführung.
Die erwähnte Liedform der Barcarole, entstanden aus den Gesängen der Gondoliere Venedigs und seit dem 19. Jh. besonders bei Komponisten der Kunstmusik beliebt, bietet hierbei nicht nur den Schlüsselreiz hinsichtlich allerlei romantischem Krimskrams, sondern stellt auch einen Bezug zur tatsächlichen und musikalischen Biografie Francis‘ her. Diese wurde 1938 unter dem Namen Concetta Rosa Maria Franconero als Nachkommin italienischer Einwanderer in New Jersey geboren, auch war ihr erfolgreichstes Album, „Connie Francis Sings Italian Favorites“, bereits erschienen. Es bot sich also an, auf ein folkloristisches Wörtchen mit Signalwirkung zu setzen.
Der Plan ging, wie viele andere zuvor, auf, anders als der des Autors, nach einer verkorksten Einleitung wenigstens noch einen vernünftigen Schluss zu finden. Es wird deshalb einfach auf dieses informative und nur leicht reißerische Interview mit der im späteren Verlauf ihrer Karriere häufig hart getroffenen Francis verwiesen. Lest es ruhig, und lest immer weiter, dann merkt ihr nicht, wie ich mich langsam, unauffällig und wenig gekonnt aus der Affäre ziehe.
amüsant wie immer. gern gelesene rubrik auf dieser seite!
Besten Dank!
[…] erschien der Schlager 1959 in einer Version von Connie Francis, jedoch ohne zu charten. Anders Margot Eskens 1964, für ihre Darbietung gab es immerhin Platz 8. […]