Der Liedschatten (22): Gäste arbeiten für die Sinnkrise

Schnapszahl, tirili! Fallend Feste feiern! Und warum nicht die XXII. Ausgabe des Liedschattens wie bereits Nummer XI. für einen kleinen Rückblick nutzen, warum nicht gleich eine Tradition daraus machen? Weil’s ab der CXI. bis zum nächsten Resümee ein wenig lang dauern würde, deswegen. Gut, nächste Frage: warum sich der Tradition verweigern, aber dennoch die erhabene römische Zahlschrift benutzen?

Ach, immer nur Fragen … als ob an dieser Stelle nicht schon oft genug Fragen aufgeworfen würden …  da geht es mal um die Liebe, dann wieder die Wörtchen Heimat und Freiheit und das Schindluder, den das Genre des Schlagers mit ihnen treibt. Immer wieder kam es dabei zu Schmähungen, und ein Ende ist nicht abzusehen, zumindest solange, bis sich die Popmusik sich in den Hitparaden durchgesetzt haben wird. Davon sind wir aber noch ein gutes Stück entfernt, wir schreiben das Jahr 1962 und „Zwei Kleine Italiener“ von Conny steht an der Spitze der Singlecharts der BRD.

Conny “Zwei kleine Italiener”, März – April 1962

conny_italienerCornelia Froboess hatte bereits 1951 als „Die kleine Cornelia“ mit dem von ihrem Vater verfassten „Pack’ die Badehose ein“ einen ersten Erfolg, bis 1962 kamen Bekanntheit fördernde Auftritte in Schlagerfilmen wie „Conny und Peter machen Musik“ hinzu. Ein solcher Hergang einer Karriere dürfte nicht dazu angetan sein, das Wissen regelmäßiger LeserInnen dieser Kolumne zu mehren. Immerhin unterscheidet sich ihre Fortsetzung angenehm durch das Unterlassen der Veröffentlichung jeglicher Tonträger ab 1967, lieber ging Cornelia Froboess ans Theater und spielte Ibsen, Wedekind oder Strindberg. Dafür ist sie auch bei Unkenntnis ihrer schauspielerischen Befähigung zu loben, es wird schon eher von Belang gewesen sein als ihr musikalisches Schaffen.

Denn unterscheidet sich ihr einziges an die Spitze der Hitparaden gelangtes Stück von dem, was Kollegen wie Gerhard Wendland, Freddy Quinn und Bill Ramsey vortrugen? Nein, und das, obwohl es, anders als damals üblich, einen Bezug zur gesellschaftlichen Realität besaß, nämlich zum Vorhandensein von Menschen, die als „Gastarbeiter“ seit 1955 angeworben wurden.

http://www.youtube.com/watch?v=uxpk5jd2sSk

Protagonisten des Liedes sind die beiden im Titel genannten Herren. Man kennt sie am Bahnhof, „Sie kommen jeden Abend zum D-Zug nach Napoli“ (sie werden aber eher einfach per Bahn pendeln müssen und nicht wissen, wohin mit sich). Ihre Sehnsucht gilt zwei Frauen, nämlich Tina und Marina, die sich in Italien befinden. Deswegen gilt: „Eine Reise in den Süden ist für andre schick und fein / Doch zwei kleine Italiener möchten gern zuhause sein“. Musikalisch wird die rührige Geschichte der beiden kleinen Menschen (warum eigentlich „klein“? Wegen des Metrums?) in ein kitschig-folkloristisches Arrangement gehüllt, der sentimentale Text schließlich entspricht dem Bild, das man sich sowohl vom Urlaubsland Italien als auch den bis 1973 offiziell erwünschten „Gastarbeitern“ (heute wird mit gutem Grund der Begriff „Arbeitsmigranten“ bevorzugt, Gäste lässt man nicht arbeiten) machte und deren Anwesenheit nicht nur eine Folge des Krieges, sondern  auch des Wirtschaftswachstums war.

In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts fehlte es aufgrund von Kriegstoten und Gefangenschaft, aber auch der Schoah an Personal, genauer gesagt an günstiger Arbeitskraft. Bevor ich an dieser Stelle bereits aufbereitetes Wissen umformuliere, zitiere ich lieber gleich direkt aus Ulrich Herberts „Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland: Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge“:

„Ausländer erhielten im Vergleich zu deutschen Arbeitern durch niedrigere Qualifikation oder Einstufung auch niedrigere Löhne […] [sie] arbeiteten in dieser Zeit vorwiegend als un- oder angelernte Arbeiter in der Industrie, und zwar vor allem in solchen Bereichen, in denen schwere oder schmutzige Arbeit, Akkordlohn, Schichtsystem sowie serielle Produktionsformen mir niedrigen Qualifikationsanforderungen (Fließband) besonders häufig waren. Für die Unternehmen hatte dies in einer Zeit starker Arbeitskräftenachfrage erhebliche Vorteile, weil für solche Arbeitsplätze deutsche nicht oder nur mit erheblichem Lohnzugeständnis zu bekommen gewesen wären, was gerade die unqualifizierten unrentabel gemacht hätte. […] Dadurch, dass die Ausländer Arbeitsplätze besetzten, für die deutsche Arbeiter nicht oder nur mit entsprechenden Lohnanreizen zu bekommen waren, ermöglichten sie den Aufstieg von Deutschen in qualifizierter oder beliebtere Positionen.“

Klar, dass man von all dem nichts in einem Schlager erfährt, darum kann’s ja auch gar nicht gehen, und auch für anspruchsvollere und reflektiertere Genres wünscht man sich nicht unbedingt die Vertonung wissenschaftlicher Arbeiten. Wenn eine solche an dieser Stelle aber dennoch bemüht wird, resultiert das aus dem Wunsch, die Bedeutung, die Musik unzweifelhaft besitzt, anschaulich zu machen, indem der Versuch unternommen wird, sie zu verorten, sie in geschichtliche Bezüge zu setzen und dabei zu verdeutlichen, wie wichtig Kritikfähigkeit auch dann ist, wenn es sich um vermeintliche Nebensächlichkeiten wie Musik handelt, die auch und gerade in Form des Schlagers das Bewusstsein der Menschen prägt.

Eingangs stellte sich der Autor gegen ein durch runde Zahlen verschriebenes Resümee, interessant wäre ein solches dennoch, nur mag er’s allein nicht vornehmen wollen. Nennen wir’s ruhig einmal eine kleine Sinnkrise, die hier mit Interesse betrachtet und gehegt werden möchte. Deswegen möchte er Euch nun um Eure Hilfe in Form von Anmerkungen bitten: Was haltet ihr davon, wenn ihr einen Schlager vorgestellt bekommt und anschließend daraufhingewiesen werdet, dass man statt „Gastarbeiter“ doch besser „Arbeitsmigrant“ sagen sollte? Erfreuen Euch die zeitweilig recht flapsigen Auslassungen? Wie wird Euch, wenn mal wieder gewettert wird, die SchlagerautorInnen hätten doch keine Ahnung von Liebe?

Für Bemerkungen ist er dankbar, jede Anregung ist willkommen, immerhin wird es noch ein paar hundert Folgen darum gehen, wie viel Sinn es macht, „Das bisschen Kling-Bimm-Lalala für gar so wichtig zu halten / gilt es doch nach wie vor, eine Welt zu zerstören.“. Welchen Beitrag leistet der „Liedschatten“ hierbei?

3 Kommentare zu “Der Liedschatten (22): Gäste arbeiten für die Sinnkrise”

  1. Pascal Weiß sagt:

    U.a. dieser tolle Humor („heute wird mit gutem Grund der Begriff „Arbeitsmigranten“ bevorzugt, Gäste lässt man nicht arbeiten“) macht den Liedschatten so lesenswert. Deswegen unbedingt weiterhin abschweifen;)

  2. Ich kann auch fast nur sagen, dass es mir so gefällt, wie es bisher gelaufen ist. Exkurse oder generell das Einbinden von Zeitgeschehen sind auch immer gern gesehen. Mit einem Blick in die Zukunft (SPOILER) scheint das Ärgste ja auch so langsam überstanden, gen Herbst kommt der Pop in die Charts.

  3. […] Christian Bruhns in die bundesrepublikanische Welt. Anders als in seinem ersten großen Hit, „Zwei kleine Italiener“, geht es dieses Mal nicht um Heimweh, sondern die Liebe, oder eben den Liebeskummer, der sich […]

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