Quartalsrückblick: Juli - September

Der 11. August war ein erfreulicher Tag: Eminem wurde vom Thron der amerikanischen Billboard-Charts gestoßen – von einem Indie. Die erste Nr. 1 in der knapp 20-jährigen Geschichte von Merge Records (die übrigens im Januar mit dem brillanten „Transference“ haarscharf die Top 3 verpasst haben) verkaufte sich allein in der ersten Woche 156000 mal. Ein Album, auf das sich auch bei uns alle einigen konnten: Arcade Fire lieferten mit „The Suburbs“ einen – wie es sich doch so gern und plump im Promo-Fachjargon schimpft – Chartstürmer ab, der bewundernswerterweise jedoch keinerlei künstlerische Abstriche für diesen Erfolg zu leisten hatte – im Gegenteil. Es geht also doch (noch).

Damit nicht genug, denn sieht man mal etwas großzügig von Majorlabels einbeziehenden Vertriebsdeals oder Kooperationen ab, fällt auf, dass Arcade Fire beileibe keinen Einzelfall darstellen: Im Mai dieses Jahres knackten The National (51000 verkaufte Exemplare in der ersten Woche) die amerikanischen Top 3, Vampire Weekend schafften mit ihrem – bei uns allerdings eher etwas kritisch beäugten – Zweitwerk „Contra“ zu Beginn des Jahres sogar den Sprung an die Spitze der Charts (124000). Ja, selbst das herausragende, mit Ausnahme eines einzigen Songs komplett auf Singles oder 3-, 4-, ja gar 5-Minüter verzichtende „This Is Happening“ von LCD Soundsystem konnte einen Einstieg in die Top 10 (31000) der US-Charts verbuchen. Diese Anhäufung fällt auf. Und wirft die Frage in den Raum: Ist die viel zitierte Krise der Musikindustrie vorwiegend eine Krise der Majors? Profitieren viele der Indies von der jetzigen Situation, in der sie weiterhin auf Musikliebhaber zählen können? Verwundert es nicht, dass sich im TV-Castingshow-Zeitalter – im krassen Gegensatz zum Indie-Sektor – meistens nur die Debüts gut verkaufen? Waren die „Kleinen“ mit ihrer Ausrichtung in dem zunehmend schnelllebigeren Web-2.0-dominierten Geschäft schlicht nicht so überfordert wie manche der „Riesen“?

Die Möglichkeiten, die mit der digitalen Revolution einhergehen, haben Deerhunter jedenfalls seit jeher voll ausgeschöpft. Sie belassen es nicht nur bei einem stets aktualisierten Blog, sondern stehen darüber hinaus in ständigem direktem Kontakt zum Hörer. Das geht mitunter so weit, dass man Bradford Cox auch mal um den Remix eines bestimmten Songs bitten kann. Überhaupt fällt auf: Cox symbolisiert den modernen Musiker, der nicht nur das Gesicht der Band ist, den Kontakt zu den Hörern herstellt, sondern gleichzeitig in besonderem Maße selbst in die Rolle des Musikkonsumenten schlüpft. Etwa dann, wenn er mit seinem regelmäßig erscheinenden, kostenlosen Mixtape jederzeit einen Einblick in seine aktuellen Hörgewohnheiten gewährt, Einflüsse preisgibt und so manchen Hörer auf interessante und glaubwürdige Entdeckungsreise schickt. Dass Deerhunter, die sich in aller Ruhe als Band entwickeln konnten, mit ihrem jetzt vierten Werk ihr Meisterstück abgeliefert haben und ihre bisherige Entwicklung glorreich abrunden, dürfte kaum einer als Zufall sehen. Wir jedenfalls finden „Halcyon Digest“ sogar so erstaunlich gut, dass zum ersten Mal seit 18 Monaten wieder die 90 gezückt wurde.

Ansonsten war in den letzten drei Monaten natürlich über weite Strecken wieder Sommerloch angesagt, wenngleich auch einige Höhepunkte zu verbuchen waren: Höchst erfreut aufgenommen wurden die organischen Beatentwürfe von Mount Kimbie, der höllische Bastard von Grinderman, die wieder roher aufspielende Band um den großartigen dicken Frontmann, das hierzulande verspätet veröffentlichte Debüt von Bear In Heaven, die 180-Grad-Drehung des plötzlich zum Soulstar mutierten Plan B. oder das 1001-Ideen-Werk von Menomena. Also, stöbert doch noch ein wenig auf unseren Seiten – vielleicht findet unter euch ja noch manch eine(r) eine verspätete Sommerplatte. Für den Herbsturlaub dann.

Carl Ackfeld

1. Marc Almond – Varieté
2. Strand Of Oaks – Pope Killdragon
3. Arcade Fire – The Suburbs
4. J. Tilman – Singing Ax
5. Dylan Leblanc – Paupers Field

Uli Eulenbruch

1. Wolf Parade – EXPO 86
2. The Hundred In The Hands – The Hundred In The Hands
3. School Of Seven Bells – Disconnect From Desire
4. Deerhunter – Halcyon Digest
5. diskJokke – En Fin Tid

Philip Fassing

1. Crocodiles – Sleep Forever
2. Women – Public Strain
3. Luke Abbott – Holkham Drones
4. Deerhunter – Halcyon Digest
5. Mount Kimbie – Crooks And Lovers

Bastian Heider

1. Bear In Heaven – Beast Rest Forth Mouth
2. ceo – White Magic
3. Arcade Fire – The Suburbs
4. Edwyn Collins – Loosing Sleep
5. Stella – Fukui

Matthias Holz

1. Bear In Heaven – Beast Rest Forth Mouth
2. I Am Kloot – Sky At Night
3. Parlovr – Parlovr
4. Plan B – The Defamation Of Strickland Banks
5. Jimmy Eat World – Invented

Felix Lammert-Siepmann

1. Deerhunter Halcyon Digest
2. Arcade Fire – The Suburbs
3. Grinderman – Grinderman 2
4. PVT – Church With No Magic
5. Siskiyou – s/t

Johannes Mihram

1. The Roots – How I got over
2. Plan B – The defamation of Strickland Banks
3. Big Boi – Sir Lucious left foot: The son of Chico Dusty
4. The Hundred In The Hands – The Hundred In The Hands
5. !!! – Strange weather isn’t it

Sven Riehle

1. Deerhunter – Halcyon Digest
2. Menomena – Mines
3. Arcade Fire – The Suburbs
4. Maps & Atlases – Perch Patchwork
5. Solar Bears – She Was Coloured In

Constantin Rücker

1. Deerhunter – Halcyon Digest
2. Forest Swords – Dagger Paths
3. Sun Araw – On Patrol
4. Fennesz, Daniell, Buck – Knoxville
5. Prince Rama – Shadow Temple

Pascal Weiß

1. Deerhunter – Halcyon Digest
2. Arcade Fire – The Suburbs
3. Grinderman – Grinderman 2
4. Menomena – Mines
5. Les Savy Fav – Root For Ruin

Markus Wiludda

1. Arcade Fire – The Suburbs
2. Mount Kimbie – Crooks And Lovers
3. Deerhunter Halycon Digest
4. Oriol – Night & Day
5. Kvelertak – Kvelertak

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