Captured Tracks: Heute wird wie Gestern sein

Vor zwei Jahren wäre es an dieser Stelle noch ein Ding der Mühelosigkeit gewesen, die gesamte Diskographie des 2009 in Aktion getretenen Captured Tracks zu besprechen. Heute darf das New Yorker Indie-Label bereits weit über 100 (in Worten: einhundert) Veröffentlichungen für sich verbuchen – wohlgemerkt keine leicht (re-)produzierbaren Downloads, sondern allesamt Vinylscheiben, Kassetten und CDs. Denn physische Tonträger sind ebenso Herzenssache von Labelchef Mike Sniper wie die musikalischen Spielarten, mit der sein Label mehr als alles andere seinen eigenen Geschmack widerspiegelt.

Der orientiert sich zum einen, wie Snipers eigenes (und vor lauter Labelerfolg momentan auf Eis gelegtes) musikalisches Unterfangen Blank Dogs, stark in Richtung Post-Punk und kühler Minimalelektronik der frühen Achtziger. Daneben befinden sich in seinem Plattenregal jedoch auch sonnig angespychter Garage Punk, süß-noisiges Gitarrengeschrammel und die Art von sanft-melodischem C86-Janglepop und -Proto-Shoegaze, die Captured Tracks mit einem Doppelschlag als Gütesiegel etablierte. Beach Fossils und Wild Nothing aus Brooklyn brachten im Frühjahr 2010 selbstbetitelte Debütalben heraus, deren melodische Qualitäten sich auch über Saisonende hinaus als unwiderstehlich entpuppten.

Zu dieser Anfangszeit teilte sich Captured Tracks nicht nur seine Lagerräume mit dem eng verbundenen Nachbarlabel Sacred Bones. Auch machten dort veröffentlichende Bands wie Woods, The Fresh & Onlys oder Gary War bis dato einen Großteil des Katalogs aus, daneben trugen Snipers eigene Werke als Blank Dogs und kollaborative Nebenprojekte wie The Mayfair Set einen Großteil zum frühen Labelprofil bei. Das änderte sich zunehmend mit Projekten wie The Soft Moon oder Spectrals, die wie Wild Nothing zu Beginn noch Homerecording-Soloprojekte ihrer Sänger waren. Von Anfang an konnte man ihre Evolution anhand der Captured-Tracks-Diskographie mitverfolgen, für Liveauftritte gerann langsam eine mehr oder weniger feste Band um die kreativen Köpfe, die in der Regel auf dem nächsten Album oder einer Nachfolge-EP – so bei Beach Fossils‘ „What A Pleasure“ – dann auch in einer runderen Studioaufnahme mitwirkte.

Natürlich bietet Sniper auch bereits geformten Nachwuchsbands eine Plattform, so brachten die britischen Twee-Goths Veronica Falls ihre ersten beiden Singles dort heraus, bevor sie zu Slumberland wechselten. Eher ein Ausnahmefall, bleiben mittlerweile doch die meisten, die von Anfang an auf Captured Tracks sind, dem Label auch für nachfolgende Singles, EPs und Alben treu. Wobei Alben lange Zeit eine untergeordnete Rolle spielten, sie machen nicht einmal ein Fünftel des Labelausstoßes aus und die allermeisten Highlights unter den ersten 100 CT-Platten sind ohnehin EPs und Singles. Singles, obendrein noch 7-Zoll-Vinylscheibchen, die sicherlich nicht zu den gewinnversprechendsten Produkten zählen.

Doch da z.B. Indiepop-Bands in C86-Tradition bestimmte Nischen bedienen, in denen dieses Format eine solide Interessentenbasis hat, bleibt es auch dann noch finanzierbar, wenn die Songs dank den richtigen PR-Agenturen mittlerweile stets Wochen im Voraus auf namhaften Seiten als Stream oder MP3 premiert werden. Die Balance aus rasanten Online-Hypezyklen und gemächlichem physischem Produktvertrieb jongliert Captured Tracks allem Anschein nach mit einem gewissen Erfolg – und einer angesichts seines nicht endenden Musikausstoßes erstaunlichen Qualität. Gerade weil der New-Order-Jangle von Craft Spells oder der Cure-Schattenpop von Minks keine hochoriginellen Ansätze sind, muss das Songwriting dahinter stark genug sein, um mehr als die bloße Fortführung von Retro-Traditionen auszumachen.

Mit den ersten 100 im Sack begann sich am Horizont langsam abzuzeichnen, dass Captured Tracks es nicht allein bei der catchigen Vergangenheitsfortführung belassen wird. Nahezu ebensoviele geplante Wieder- wie Neuveröffentlichungen werden Vergangenheit und Gegenwart unter einem Dach zusammenführen: Mit Factory-Postpunk von The Wake, Nick Nicelys Weirdo-Synth, Janglepop der Cleaners From Venus und Deardarkhead oder Frühneunziger-Shoegaze von Should und Half String. Eben Musik, wie sie Captured Tracks damals selbst herausgebracht hätte (wenn es nur schon existiert hätte) und deren Alter neben neueren CT-Bands mitunter gar nicht auszumachen ist. Apropos, diese Woche erscheinen selbstbetitelte Debütalben der Mazzy-Star-angehauchten Widowspeak und des kühlen Electro-Duos Soft Metals, demnächst u.a. Singles und Alben neuer Namen wie Cosmetics, Blouse, Hoop Dreams, Cover Girl, der Beach-Fossils-Spinoffs Dive und Heavenly Beat, der Supergroup Zodiacs … Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die 200 voll sind.

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Captured Tracks: Eine ausgewählte Diskographie

Craft Spells – After The Moment (Katalognummer CT-94)

Nicht nur im blumigen Covermotiv erinnern Craft Spells auf ihrer zweiten Single an New Order; die wehmütig verträumte B-Seite „Love Well Spent“ lässt auch erahnen, wie dem Herrn Sumner wohl auf Dauer eine weibliche Begleitstimme getan hätte.

Further Reductions – Decidedly So (CT-82)

Bisher ist dieses Synthpop-Duo noch ein Geheimtipp im CT-Roster, die Frage ist nur: wie lange noch? Zwischen „Not Unkown“, das glitterverhangen alle paar Sekunden eine neue Facette offenbart, und „Decidedly So“ mit industriell rumorender Drum Machine könnten die beiden bald auf dem Weg zum Ladytron-Olymp sein.

Not Unknown von Further Reductions

 

The Mayfair Set – Young One (CT-06) Selten klingt das Aufeinandertreffen zweier Musikmachender genau wie eine heterogene 1:1-Mischung, doch in dieser Zusammenarbeit von Blank Dogs und Dum Dum Girls geschieht genau das: Snipers postpunkiger Geisterpop kombiniert sich faszinierend mit den eingängigen Melodien Kristin Gundreds.

 

Hanoi Janes – Specks Ho! (CT-70) Auch in Deutschland funktioniert das Solo-Bandprinzip: Oliver Scharf aus Dresden verbirgt sich hinter Hanoi Janes, deren verstrahlter Powerpop hier mit Froschorgel, schiefer Klampfe und lässigen Vocals zu seiner bisherigen Spitzenform auflief. Back For The Summer

Cosmetics – Sleepwalking (CT-55)

Die Debütsingle der Vancouverinnen ist leider momentan vergriffen, doch erklärt deren Titel „Black Leather Gloves“ auch hier die Agenda: Emotional distanzierte Stimme zu frostblau lackiertem Minimal Synth, der die wohlige Art von Hautprickeln erzeugt.

The Fresh & Onlys – August In My Mind (CT-46)

Mittlerweile bringt vor allem ihr Frontmann Tim Cohen sein Solomaterial auf Captured Tracks heraus, noch besser gelang der sonnigen Psych-Garageband aus San Francisco allerdings dieser so atmosphärisch dichte wie hookreiche Extended Player.

Soft Metals – The Cold World Melts (CT-69)

Ein wenig zu lang für radiotauglichen Synthpop sind die Stücke von Soft Metals‘ EP-Debüt. Doch das Duo aus Portland ist ohnehin mehr an den nuancierten Verformungen interessiert, die seinen elektronischen Kompositionen auch mit Gesang eine unnahbare Eleganz verleihen.

Aias – Aias (CT-63)

Schrammelpop auf Katalanisch? Warum nicht? Obendrein zeigt das Spanierinnentrio, dass es nicht nur sorgenfrei die Gitarre zur dritten Geige nach Gesang und Schlagzeug erklären, sondern sich vor allem mit dem Einbringen einer munteren Trompete von der Masse abzuheben weiß.

The Soft Moon – The Soft Moon (CT-85)

Wenn der frühe Geisterpop von Blank Dogs ein simpelst zusammengezimmerter Blair-Witch-Grusel war, dann ist The Soft Moons Debütalbum die ausformulierte Schauer auf solidem B-Movie-Budget. Noisig und eisig lehrt Luis Vasquez meisterlich, wie man auch ohne Joy-Division-Epigonentum im Post-Punk-Schatten auskommt.

Minks – Ophelia (CT-71)

Wie bei mehreren hier aufgeführten war Minks‘ Debütalbum nicht so stark wie die vorhergehenden Singles, doch nirgendwo war das so eine Enttäuschung. Denn sowohl „Ophelia“ als auch ihr Vorgänger „Funeral Song“ bieten traumhaft schönen Wehmut auf A- wie B-Seite, der auf Albumlänge das Zeug zum Klassiker gehabt hätte.

Ganglians – Ganglians (CT-26)

Wem die Ganglians immer etwas zu wohlgemut waren, sollte ihrer ersten Single einmal das Ohr leihen. Fast zwei Minuten hält „Blood On The Sand“ einen ungewohnt noir-getünchten Spannungszustand aus, bevor es unweigerlich dann doch in wohligen Refrain ausbricht.

Ganglians-Blood on the Sand

Widowspeak – Gun Shy (CT-115)

Spektakulär antriebslos führt der Pfad von Widowspeak durch eine Wüste aus Americana, Morricone und Mazzy Star; nicht minder schön als im Titelstück zeigt sich das in ihrer Version von „Wicked Game“, bei dem man glatt glauben könnte, Sängerin Molly Hamilton würde schlafwandeln – oder eher schlafsingen.

3 Kommentare zu “Captured Tracks: Heute wird wie Gestern sein”

  1. kaisi sagt:

    Wow, schöner Artikel! Die Alben von Wild Nothing und Beach Fossils sind unglaublich gut; ich wusste nicht, dass sie auf einem Labeln sind. Vielen Dank!

  2. modded sagt:

    Toller Artikel! Tolles Label!

    Und jetzt hat Mike Sniper anscheinend die deutsche 90er Jahre Shoegaze Combo „Grabbel and The Final Cut“ an der Angel, wie man seinem Posting auf deren Facebook Page entnehmen kann…:

    http://www.facebook.com/GrabbelAndTheFinalCut?sk=wall

    Sweet Noise!

  3. modded sagt:

    Also ist es wahr…:

    Grabbel and The Final Cut auf Captured Tracks!

    http://alteredzones.com/posts/2154/grabbel-and-final-cut-finest-thing/

    Toller Sound und ein wunderschönes Plattencover!

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