Labelportrait: Sacred Bones Records - Knochenlese

Seit bald vier Jahren versorgt das US-Label Sacred Bones Records nicht nur den amerikanischen Untergrund mit der dunklen Seite von Garage und Post Punk, sondern zeigte u.a. mit Blank Dogs und spätestens dem letztjährigen Durchbruch von Zola Jesus, dass das Schattentreiben dieses Labels auch über Insiderkreise hinweg zu begeistern vermag. Diesen Monat erscheint das bislang nur über Importwege erhältliche Oeuvre von Sacred Bones auch hierzulande, höchste Zeit also, mal einen ausführlichen Blick auf dieses prägende Label und seine Platten zu werfen.

Eigentlich wollte Caleb Braaten keine neue Musik veröffentlichen, sein Label sollte ursprünglich als Plattform für u.a. die 80er Post-Punk-Bands 13th Chime und The Cultural Decay dienen. Doch als er sich dazu entschloss, im Mai 2007 eine Vinyl-EP mit sechs Lo-Fi-Heimproduktionen eines Freundes zwischen Synthpop und Post-Punk zu veröffentlichen, änderte sich die Geschichte von Sacred Bones Records schlagartig. Die EP war „Diana The Herald“, die dritte Veröffentlichung von Blank Dogs innerhalb weniger Wochen, und erwies sich als dermaßen populär, dass sie rasant ausverkauft war. Wobei dies kein Indiz für die Profitabilität des Labels wäre, bis heute reichen die Gewinne nur, um neue Pressungen zu finanzieren, nicht den Lebensunterhalt der Betreiber. Es folgten, ebenfalls nur auf Vinyl (wobei heute fast alle Veröffentlichungen auch als Download erhältlich sind und viele zudem auf CD erscheinen), Alben der Seattler Garage-Experimentierköpfe Factums und des kanadischen Psych-Punk-Duos The Pink Noise sowie die zweite Single einer damals noch völlig mysteriösen Zola Jesus, deren apokalyptisch noisiger Pop mit mächtiger Stimme Aufmerksamkeit erregte.

Gary War – On Its Head

Womit die musikalischen Eckpunkte des Labels, dessen Veröffentlichungen eher eine gewisse Stimmung als die Zugehörigkeit zu einer lokalen oder stilistischen Szene gemeinsam haben, schon größtenteils abgesteckt wären. In einem Pentagramm aus Lo-Fi-Kellersound, Post-Punk, Psychedelic, Weirdo-Garage und Finsterfolk beschwört Sacred Bones eine mysteriöse Schattenwelt voller geisterhafter Gestalten, nebulöser Schnörkel, rostig-staubiger Ruinen und rottender Wälder herauf. Mit ihrer Verwendung schamanisch-ominöser Symbolik erwies sich dabei die visuelle Ästhetik des Labels als Trend setzend, das Dreieck, das im Sacred-Bones-Logo von einem Ouroboros umschlängelt wird, war 2010 nicht nur in Sachen Witch House geradezu omnipräsent. Besonders markant ist das einheitliche Format der eleganten Albumcover, deren eingerahmtes Motiv von Titel und Trackliste im oberen Drittel getrennt ist (EPs hingegen sind lediglich durch ein senkrechtes Panel am Rand gekennzeichnet).

Zola Jesus – Clay Bodies

In Sachen Musikvideos hat Sacred Bones eine ebenso starke Konsistenz etabliert, für sie zeigt sich durchgängig die New Yorkerin Jacqueline Castel verantwortlich, deren Halbtraumwelten mal an osteuropäische Surrealisten erinnern, mal an David Lynch oder auch die Oingo-Boingo-Seltsamkeit „Forbidden Zone“. Auch Castels ersten Kurzfilm „Twelve Dark Noons“, in Zusammenarbeit mit den No-Wavern Naked On The Vague in der australischen Wildnis gefilmt, wird Sacred Bones demnächst auf DVD veröffentlichen. Mit den chilenischen Psych/Kraut-Combos Föllakzoid und The Holydrug Couple, deren EPs Ende Januar erscheinen, wird das Label 2011 seine Fühler auch in andere Richtungen des Globus ausstrecken, Geradlinigeres darf man sich von den kommenden Werken von The Men, Slug Guts und Circle Pit versprechen und es wäre schon ein Wunder, wenn ein Sacred-Bones-Jahr ohne neues Material von Zola Jesus vergehen würde. Doch schauen wir, nach diesem Blick in die Zukunft, einmal zurück auf ein paar Highlights der Labelgeschichte.

Sacred Bones Records – Eine ausgewählte Diskographie

Blank DogsDiana (The Herald) EP

Sowohl die erste größere Veröffentlichung für Sacred Bones als auch für Blank Dogs – und für manche sogar seine beste. Gerade in ihrer Rohheit klingen die verzerrten Gesänge, Geisterbahn-Synths und schmächtigen Gitarren wie unwirkliche, ätherische Echos aus der Zwischenwelt.

Effi BriestRhizomes

Wem Warpaint zu gut gelaunt waren, wird am Debütalbum des Frauensextetts seine Freude haben. Die angepsychte Post-Punk/Folk-Vermengung gräbt sich mit verschlungenen Wechselspielen in versumpfte Untiefen, nur um im nächsten Moment mit belebten Grooves aufzuwarten.

Gary WarHorribles Parade

War führt den Synthpop-Arm des Labels unter Wasser, kleidet die catchigen Melodien seiner verpitchten Stimme und fritierten Gitarren in psychedelischen, hallenden Blubber-Spacerock wie man ihn dieser Tage etwas weniger verstrahlt auch auf Olde English Spelling Bee finden würde.

The Pink NoiseDream Code

Klaustrophobische, fies blecherne Garage- bis Minimal-Synth-Salven aus dem scheinbar dauerwintrigen Toronto, die auch unter Verwendung einer cartooniger Kirmesorgel ihre futuristisch-morbide Stimmung nicht ablegen, sie sogar noch intensivieren.

Pop. 1280The Grid EP

Für Sacred-Bones-Verhältnisse ungewöhnlich massiver Noiserock, der rasiermesserscharfe Gitarrensplitter und apokalyptische Synth-Sounds zu einer industriellen Neuauflage der Beschallung pechschwarzer, verschwitzter New Yorker Kellerclubs vereint. Hätte der junge Abel Ferrara sofort für einen seiner Filme haben wollen.

Zola JesusThe Spoils

Das Debütalbum von Nika Roza Danilova wurde schon 2009 an dieser Stelle besprochen, sei hiermit aber allen, die keine Angst vor Lo-Fi und ein wenig Maschinenkrach haben, noch einmal ans Herz gelegt. Nicht zuletzt, weil die CD-Version als Bonus auch noch ihre großartigen, mittlerweile vergriffenen ersten Singles beinhaltet.

Carl SimmonsHoneysuckle Tendrils

Irgendwann schaffte Sacred Bones es dann auch, seine ürsprünglichen Reissue-Agenda in die Realität umzusetzen. Neben den eingangs erwähnten erblickte dadurch auch diese Songsammlung das Tageslicht, vielleicht das geheime Prunkstück des Labels: Souliger Geisterfolk, der gerade dadurch, dass Simmons seine Stimme in unmenschliche Höhen verfremdet, eine sagenhafte, bewegende Aura gewinnt.

Mac BlackoutDon’t Let Your Love Die

Singles sollen hier freilich nicht außen vor gelassen werden, gleich für mehrere stellvertretend sei daher hier dieses Synthpunk-Doppelpack hervorgehoben. Beißend verzerrt duelliert Mac Blackouts Stimme mit sich selbst, spätestens auf der B-Seite „Sometimes“ wird in dem Getöse aber auch ein Pop-Kern hörbar.

The BittersHave A Nap Hotel EP

Es gibt Bands, denen EPs einfach besser zu Gesicht stehen. Das garagig-post-punkige Nebenprojekt von Fucked-Up-Gitarrist Ben Cook könnte eine davon sein, anders als auf ihrem Album auf Mexican Summer wird hier der Tanz auf der Trennlinie zwischen Harmonie und noisiger Dissonanz nicht zur Beliebigkeit ausgedehnt.

FactumsFlowers

Factums dient auch auf diesem zweiten Sacred-Bones-Album den Seattlern von The Intelligence, A Frames und Fruit Bats als experimentelle Spielwiese für post-punkig bis krautige Verstrahltheiten. „Flowers“ gestaltet sich dabei tracklistenmäßig ebenso umfangreich wie „The Sistrum“, aber inhaltlich mit einer gehörig größeren Portion Rock und Roll und füllender, krachiger Verzerrung.

Nerve CitySleepwalker EP

Jangle-Gitarren sind generell eher Sache des Schwagerlabels Captured Tracks, doch hier darf melancholischer Sechssaiter-Pop in Lo-Fi-Hall auch mal auf heiligem Grund mit angepsychter Garage-Verzerrung kollidieren.

2 Kommentare zu “Labelportrait: Sacred Bones Records – Knochenlese”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Uli, tolle Zusammenhänge, sehr ausführlich, informativ. Gern gelesen.

  2. […] Sacred Bones und dessen eigenwilligen aber dennoch mehr als einnehmenden Katalog wurde hier ja schon berichtet. Grund genug, um der aktuellsten Veröffentlichung noch mal eine Sonderbeachtung zu schenken: Cult […]

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