Der Liedschatten (120): Mythisches Wetter in Sacramento

Middle Of The Road: „Sacramento (A Wonderful Town)“, Februar – März 1972

Dass sich der „Liedschatten“ in einer kleinen Sinnkrise befindet, konnten regelmäßige (und aufmerksame) LeserInnen bereits anhand des Artikels „Vom Musikhören und Bloggen über älteren Pop“ feststellen. Sein Autor glaubte, mit diesem sei alles getan, doch die Grübelei ging weiter.  

Doch wissen wir aber alle, dass Grübelei kein Nachdenken ist, sondern ein ärgerliches Kreisen um unklare Gedanken. Dann doch lieber etwas machen, in etwa diese Reihe hier weiterschreiben. Nun werde ich mich also, und das in Echtzeit, Middle Of The Roads Hit „Sacramento (A Wonderful Town)“ aussetzen.

Das Video spielt im Browser, ich tippe hier und sehe nicht, was dort geschieht.

Los geht’s.

middle_sacramentoAh, ein kraftvolles Riff, unterlegt von einer leicht schrammeligen Westerngitarre, aber kein „Pinball Wizard“, das nicht, das ist sanfter. Sanfter Rock, sozusagen, der harte war schon bekannt und erprobt (in etwa durch Black Sabbath), jetzt wird’s gefällig. Eine Nähe zu The Sweet lässt sich nicht absprechen.

Und jetzt der Gesang, gedoppelt, vervielfacht, und dann noch ein Chor! Man scheint den Gitarren und anderen Instrumenten nicht ganz vertraut zu haben, denn er überlagert beinahe alles und es ist fraglich, ob das die Stimme allein gekonnt hätte. Das muss sie ja aber gar nicht, so funktioniert es auch sehr gut, nur wirkt das etwas aufgesetzt. Denn natürlich hat ein Chor wie dieser Kraft. Das ist wenig subtil, Pop muss ja aber gar nicht subtil sein.

Ansonsten steht alles im Dienst des Wohlbehagens, es soll gefallen, packen und auch etwas antreiben (Die Kickdrum! Überhaupt das Schlagzeug!) aber nicht zu sehr, die Melodien sind weit gespannt, darauf lässt sich rutschen und gleiten. Der C-Part ist nicht reizlos, der Bass wankt dort nett … ob Blondie mal Middle Of The Road gehört haben?

„Sacramento“ ist Pop-Rock, der dafür, dass er so offensichtlich „Gefalle ich Dir?“ fragt, nicht catchy genug ist, zumindest nicht aus heutiger Sicht. Ein Song wie „Pinball Wizard“ ist der schönere „Aufgepasst!“-Rock.

Deshalb hören wir jetzt erst mal The Who und danach sehen wir uns einen Clip zu „Sacramento (A Wonderful Town)“ an.


Rockmusik muss manchmal sein. 

Ah, gut. Und jetzt „Sacramento“.


„Riverside“ singen und den Fluss zeigen, eine Dampflok zum Rocksong: Hier wollte niemand in die Ferne schweifen.

Das hier ist Schlager auf hohem Niveau (Was keine üble Nachrede ist, „Schlager“ ist eine Feststellung, kein Abkanzeln und auch keine Beleidigung). Die Schlagerhaftigkeit fällt aber erst dann wirklich auf, wenn man sich den Text genauer anhört. Und der geht so:

„There’s something about the weather

That everybody loves

They call it the Indian Spring of Sacramento

And when the sun is up in the sky

The wind is blowin‘ by the river side most everyday

You’re in Sacramento, a wonderful town

Sing sing sing din din din“

 

Es folgen noch ein paar Strophen über die Menschen der Stadt, die dafür sorgen, das man sich einsam fühlt, bevor „this other feelin‘ here inside you starts to grow“, denn:

 

„Now that spring is here again

And your thinkin‘ if only you were not so lonely ooh ooh

But you can ease your restless mind

Ease your restless mind

All the people are a lovin‘ kind,

In Sacramento.“

 

Was genau es aber mit dem Wetter auf sich hat, konnte ich so schnell nicht herausbekommen – gut, den Indian Summer gibt es. Sucht man aber „Indian Spring“, so wird man nur auf dieses Lied verwiesen und Wikipedia sagt über den Frühling in der Stadt Sacramento: „During especially cold winter and spring storms, intense showers do occasionally produce a significant amount of hail, which can create hazardous driving conditions.“. Ansonsten ist es in Kalifornien recht warm, das ist ja immerhin etwas.

sacramento

Quelle: US Climate Data

 

Dem europäischen Publikum gefiel das eher phantastische Porträt einer amerikanischen Stadt durch eine schottische Gruppe ausgesprochen gut. In den USA hatten sie mit diesem wie auch ihren anderen Singles keinen Erfolg, wobei ich nicht weiß, ob sie dort überhaupt veröffentlicht wurden.

In der BRD hingegen brachte es die Band in der Hochzeit ihres Erfolges zwischen 1971-1973 zu insgesamt sechs Top-Ten-Hits, darunter vier Songs auf Platz 2 der Charts. Daran konnte die Gruppe ab 1974 nicht mehr anknüpfen, da half auch nicht, dass sie weiterhin wirklich Middle of the road, also Radio-Mainstream und höchst gefällig, waren. Später kam es dann im Zuge diverser Neu-Formationen zu Rechtsstreitigkeiten um den Bandnamen, heute kann man sie als Middle Of The Road featuring Sally Carr im Rahmen von Oldie-Veranstaltungen sehen.

Ob man das tun sollte, ist höchst fraglich, sicher ist aber das hohe Maß an Seltsamkeit, durch die sich so mancher Hit der Gruppe auszeichnete:

„Chirpy Chirpy Cheep Cheep“: Dieses Lied war und ist für mich ein kleines Mysterium, ich verstehe nicht, was daran so toll sein soll, dass Mutter und Vater verschwanden. Wurde der Protagonist des Liedes etwa in den Wahnsinn getrieben? Oder waren es Rabeneltern? Dass diese sangen, was sie sangen, lässt nämlich vermuten, sie seien zu Vögeln geworden.

„Tweedle Dee Tweedle Dum“: „If you knew the reason for their fighting / you would never understand“, so aber auch nicht. Diese Ballade ist mir schleierhaft.  Catchy ist sie zwar, aber der Text ist bestenfalls eine Antwort auf die Frage: Wie weit kann eine erfolgreiche Band gehen?


Lungern und köstlich leiden, da glitzert die Sonne gleich viel schöner auf dem Wasser.

„Soley Soley“ : Ein wirklich guter Popsong und mit Sicherheit ihr bester Hit. Ob’s ihr bester Song ist, weiß ich nicht, denn die Alben sind mir unbekannt. Hätte ich ihn nicht schon übermäßig oft hören müssen, dann wäre ich wirklich angetan. Und wenn der Refrain nicht so oft kommen würde. Und wenn … ach, ich höre besser auf, der Song ist gut. Und beschwingt Melancholisches singen ist immer eine gute Idee.

In der nächsten Folge: Tony Marshall: „Komm gib mir deine Hand“.

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