Der Liedschatten (103): Alles hin, hin, hin.

Sollte die letzte #1 der bisher bedeutendsten Popband der Welt Anlass für ein kleines Resümee über ihre Größe und, nun ja, eben Bedeutung sein? Die Frage verlangt nach einer Antwort und diese kann in unserem Fall nur „nein“ lauten.

Nicht, weil es zu vermessen wäre. Für einen Fan ist keine Gelegenheit zu nichtig und kein Wissen zu sporadisch, um nicht entweder die Unwissenden und Wohlwollenden zu missionieren oder die Ketzer abzustrafen. Nur gab es dafür im Rahmen dieser Reihe bereits elf Gelegenheiten, auf die an dieser Stelle noch einmal verwiesen werden soll.

Folgende Singles der Beatles standen bisher auf dem ersten Platz der Charts der BRD:

1964: I Want To Hold Your Hand

1966: Paperback Writer

1966: Yellow Submarine

1967: Penny Lane / Strawberry Fields Forever

1967: All You Need Is Love

1968: Hello, Goodbye

1968: Hey Jude

1969: Ob-La-Di, Ob-La-Da

1969: Get Back

1969: The Ballad of John and Yoko

1969: Come Together / Something

Wichtig sei an dieser Stelle einzig der Hinweis auf die kurze Zeit zwischen den Veröffentlichungen in Relation zu den musikalischen Neuerungen. „I Want To Hold Your Hand“, „Paperback Writer“ und „Hey Jude“ trennen jeweils nur ungefähr zwei Jahre, und das sind nur drei Hits, da gibt es ja noch weitaus aufregendere Stücke. Damals fanden enorme ästhetische Sprünge in kurzen Zeiträumen statt, veränderten sich Studiotechnik und Medien, in diesem Fall Tonträger, viel fruchtbarer als in der jüngsten Gegenwart. Das soll nicht heißen, die 1960er seien deshalb per se innovativer und darum besser gewesen, man sollte es sich nur einmal vor Augen, na, Ohren führen und staunen. Darüber, was möglich war und schien, und auch darüber, wie wenig Zeit zwischen den 1960ern und unserer Gegenwart erst vergangen ist. Und vor allem darüber, dass Popmusik noch nicht so alt ist, wie getan wird, auch dann nicht, wenn sie weniger lebendig scheint, als von Haus aus von ihr behauptet wird. Die Abfolge neuer Ideen und Ansätze fühlt sich gegenwärtig nämlich nicht ohne Grund und bildlich ausgedrückt wie folgt an:

1960er: ___*_*__**_*_*__**__*_*

Die 2000er bis jetzt: _*________*___*_______

* = Aufregendes
_ = Plänkern (wenn auch auf hohem Niveau)

Und das ist eine Feststellung, keine Wertung, hier geht es nicht um ein „besser als“, die Popmusik der 1960er ist mitnichten pauschal liebenswerter. Wer liebt, liebt einfach und sucht sich den Gegenstand seiner Zuneigung nicht aus. Meine Liebe zur Popmusik begann eben mit den Beatles, und das nicht, weil alle anderen Gruppen schlecht wären (und sehr viele es auch wirklich sind). Die Beatles waren die erste wirklich gute von mir gehörte Band, weshalb sich immer dann, wenn ich ihrem Werk begegne, in mir irgendein persönlicher, emotionaler Kram abspielt. Selbst im Allgemeinen werde ich dabei pathetisch, im Sinne von: „Warum sind nicht einfach alle so toll wie die Beatles? Wie kann eine Welt, in der es ihre Musik gibt, so vermurkst sein?“ Solche Sachen.

Um nun aber endlich den eingangs geäußerten Gedanken mit dem Resümee zu einem Abschluss zu bringen, sei auf das grandiose Buch „Revolution In The Head: The Beatles‘ Records And The Sixties” von Ian McDonald verwiesen.

Wir aber hören nun einen der bekanntesten Songs McCartneys, das balladeske „Let It Be“, die letzte #1 der Beatles in der BRD.

 Diese Version stammt aus dem Film „Get Back“ und entspricht nicht der von Phil Spector produzierten und auf Single veröffentlichten.

Vermutlich dürfte ein Großteil der Leser den Song im Musikunterricht gesungen und zusätzlich besprochen (bekommen) haben, gilt er doch als klassischer Popsong, was nicht sehr verkehrt ist. Musik und Text sind wunderbar stimmig, vor allem Letzterer ist in seiner Mehrdeutigkeit höchst ansprechend. Womöglich geht es um Gleichmut, vielleicht aber auch das, was Tocotronic später in ihrem Stück „Kapitulation“ besungen haben, ein Gewährenlassen und gar nicht das Unter-, sondern das Ein- und Aufgehen. Im Gesang schwingen aber nicht nur Resignation, sondern Mitgefühl, Trauer und Hingabe mit, vor allem aber – und das macht ihn umso reizvoller – sehr viel Zuversicht. Wenn ein Beatles-Song zum Choral taugen könnte, dann womöglich „Let It Be“, und das ist ein ziemliches Kompliment für Choräle.

Was die Rezeption anbelangt, ist „Let It Be“ eine Art „Blowin‘ In The Wind“ für das Klavier, ein Song, den auch Menschen mögen, die keine Fans der Künstler sind, die sich wahrscheinlich nicht einmal für Musik interessieren. Er ist kanonisch, sozusagen das „Buddenbrocks“ der Popmusik, alle dürften ihn irgendwo einmal gehört und sogar besessen haben. Fällt der Name, nicken sie und rufen „Oho!“, denn damit sagen sie etwas Richtiges, weil Anerkanntes. Sein Text ist wie Hesse im Songformat, oder aber, noch besser, Rilke, den alle mögen, aber kaum jemand liest, und wer ihn liest, kommt nicht auf die Idee, seine Texte etwas näher betrachten zu müssen, denn wieder wissen alle, wie schön er doch sei. Und wieder haben alle unter-, mit- und füreinander Recht, obwohl Rilkes Werk etwas durchwachsen ist und am Ende nicht deutlich wird, welche seiner Werke sie meinen. Am Ende gar den „Panther“? Ah, ein Klassiker!

Ich korrigiere: zwei Klassiker.

_let_beatSeine zweifelhafte Rezeption macht „Let It Be“ noch lange nicht schlecht. Und selbstverständlich haben meine Vorbehalte gegenüber nicht einmal mehr dem Song, sondern denjenigen, die ihn zu offensichtlich mögen, persönliche Gründe. Kaum jemand lobte mich, wenn ich in den 1990ern Zeitungsausschnitte über die Beatles sammelte, die Wände meines Zimmers mit hochkopierten Covern ihrer Platten beklebte und sie bei jeder Gelegenheit hörte, warum auch? Das war wohl eher seltsam. Ein ignoranter Mensch mit suspektem Selbstbewusstsein aber vermochte sich in der Schulpause ans Klavier zu setzen und die ersten Akkorde von „Let It Be“ anzuschlagen, und flugs gewann er Sympathien. Glaubten denn alle, die bloße Wiederholung würde etwas vom Genius des Autoren auf den jugendlichen Interpreten übertragen? Oder galt es als Zeichen von Bildung und Feinfühligkeit, irgendwann einmal die ersten Akkorde eines der bekanntesten Popsongs überhaupt aufgeschnappt zu haben? Und wenn ja, warum befassten sie sich dann nicht stärker mit der Band und fragten mich nach meiner Meinung, Anekdoten und ob sie sich mal die „Anthology“ ausleihen dürfen? Ach, wie schön, sich so unverstanden zu fühlen, ging geäußertes Unverständnis doch letztendlich auch noch als Interesse durch.

Wie bereits erwähnt, vermag mir so etwas „Let It Be“ mittlerweile nicht mehr madig zu machen, zumindest nicht, sobald Harrison sein Solo spielt. Doch das grundsätzliche Misstrauen gegenüber Menschen, die den Song als „Referenz“ für die Beatles an sich betrachten, ist geblieben. Berechtigt ist es insofern, als dass in der reflexartigen Verbindung der Band mit einem vergleichsweise unspektakulären Song eine Menge Desinteresse mitschwingt. Denn „Let It Be“ ist am Ende als sehr guter Song etwas schlechter als das wirklich Grandiose im restlichen Werk der Beatles.

Diese waren zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung übrigens längst schon getrennt. Deshalb befand sich auf der B-Seite ein Stück, zu dem die Aufnahmen bereits 1967 begannen hatten, das reichlich alberne und gerade deshalb wunderhübsche „You Know My Name (Look Up The Number)” von John Lennon. Und obendrein hatte die Single dasselbe Cover wie das Album „Let It Be”, eine recht unbedachte Lieblosigkeit.

 Alberne Personen: Die Beatles mit Brian Jones am Saxophon.

Und wir? Was machen wir nun, da die Beatles am Ende sind und nur noch indirekt in unserer Reihe auftauchen werden? Ein Vorschlag:

Noch zwei Dinge in eigener Sache: Es könnte sein, das Ihr Euch bereits einmal gedacht habt: „Na, und er selbst? Immer nur meckern und stänkern, und selber? Na? Macht er’s besser?“ Nein, mache ich meist sicher nicht. Wen es aber interessieren sollte, was ich sonst so mache:

1. Gitarre spielen bei den Honeyheads. Gerade eben wollen wir unser zweites Album „Live At Wimbledon“ via Startnext.de, also über Crowdfunding, finanzieren.

2. Das von mir herausgegebene Fanzine Transzendieren Exzess Pop erscheint am 29.03.2013. Es enthält einen Sampler mit 25 Songs und wird mit einem feinen Abend in Hamburg gefeiert. Klick und tada

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