Der Liedschatten (118): Tony und der Zauberer?

Tony Christie: „(Is This The Way To) Amarillo?“, Januar 1972

Wie lange es her ist, dass ich Tony Christies Gassenhauer „(Is This The Way To) Amarillo?“ gehört habe, weiß ich nicht. Es dürfte sich um Jahre handeln.

Und doch habe ich ihn noch immer im Ohr, oder aber, was noch schrecklicher wäre, habe ihn nicht einfach nur im Ohr. Schlimmstenfalls ist dieser Schlager zu einer persönlichen Erinnerung geworden, einer ungenauen, gedanklichen Wiedergabe, einer memorierten Variation, die ich in mir trage, ohne es zu wollen. Sein, und das erinnere ich, dazu musste ich das Stück nicht nicht einmal hören, penetrantes „Sha-lala-la-lala-la-la“ reizt wie ein Mückenstich an einer leicht erreichbaren Stelle. Dieser stumpfe Chor lässt die Niederlage gegen seine Schmissigkeit wie eine Befreiung erscheinen, macht das Aufgehen in der feierwilligen Masse guter Laune zu einer Lösung für ein drängendes, allerdings nur von ihm hervorgerufenes Problem. Ich glaube, dieses Gefühl ist nirgendwo so gut beschrieben wie in Thomas Manns „Mario und der Zauberer“, einer Erzählung, die allen möglichen schlechten Erinnerungen an Schulzeit und Pädagogen zum Trotz nicht mit diesen verwechselt werden darf. Überhaupt, wer von Euch noch zur Schule geht, liest ein Werk wie „Mario und der Zauberer“ besser, bevor es im Unterricht behandelt wird, dadurch lässt sich sehr viel Freude und Genuss bewahren.

Jedenfalls gehe ich nun zum Regal und, Moment, dann blättere ich erst einmal … Thomas Mann habe ich übrigens immer als sehr humorvoll empfunden, was klingt, als würde ich mich profilieren wollen, sicher, der Mensch, der den, DEN Typen lustig findet! Ha! … Na, wo ist die … und die Sprache ist eh über jeden Zweifel erhaben, seine. Politisch ist er nicht … wo ist’s nur … nicht unbedenklich, hat aber eine interessante Entwicklung von Nationalisten zum Demokraten, zum Kosmopoliten, hin zum den Sozialismus wenigstens verstehen wollenden Menschen hingelegt … mhm. Und das mit „Mario und dem Zauberer“, sicher passt’s auch zur Politik, wenn man mag, mir reicht’s heute zum Schlager. Ah, da ist’s:

„Dann bohrte er wieder den Blick in den Nacken des Römers, die Willensfeste zu berennen, die sich seiner Herrschaft entgegenstellte.

Man sah sie unter seinen immer wiederholten Hieben und unentwegten Aufrufen wanken, diese Feste, – sah es mit einer sachlichen Anteilnahme, die von affekthaften Einschlägen, von Bedauern und grausamer Genugtuung nicht frei war. Verstand ich den Vorgang recht, so unterlag dieser Herr der Negativität seiner Kampfposition. Wahrscheinlich kann man vom Nichtwollen seelisch nicht leben; eine Sache nicht tun wollen, das ist auf die Dauer kein Lebensinhalt; etwas nicht wollen und überhaupt nicht mehr wollen, also das Geforderte dennoch tun, das liegt vielleicht zu benachbart, als daß nicht die Freiheitsidee dazwischen ins Gedränge geraten müßte, und in dieser Richtung bewegten sich dann auch die Zureden, die der Cavaliere zwischen Peitschenhieben und Befehlen einflocht, indem er Einwirkungen, die sein Geheimnis waren, mit verwirrend psychologischen mischte. „Balla!“, sagte er, „Wer wird sich so quälen? Nennst du es Freiheit – diese Vergewaltigung Deiner Selbst? Una ballatina! Es reißt dir ja an allen Gliedern. Wie gut wird es sein, ihnen endlichen ihren Willen zu lassen!“

So geht es mir zwar schon seit Jahren nicht mehr, aber es gehört schon einiges dazu, sich nicht zu sagen „Wenn’s halt gute Laune macht …“ und nur ein paar Bier mehr zu brauchen, um dann doch noch auf der Party mit den ollen Alternative-Hits oder gar eben Dance- und anderen Schlagern ein wenig zu feiern. Wer das kann, soll es ruhig tun, ich konnte es nur verkrampft und kam vielleicht deshalb auf die Idee, ich würde es ja gar nicht wollen. Wobei das nicht verhinderte, dass auch ich zu schlechten Liedern tanzte, in etwa schäme ich mich heute für das Hüpfen zu Rage Against The Machine arg. Jedenfalls weiß ich nicht, ob die Ablehnung eines Schlagers wie „(Is This The Way To) Amarillo?“ eine vorsätzliche, selbstbewusste, verschämte oder gar verlogene ist, sicher ist mir nur, dass ein Lied wie dieses in mir Aggressionen weckt, denen ein Ziel fehlt, was die Sache nicht einfach macht.

Doch egal, wie einfach oder nicht, nun wird das Lied erst einmal gehört, dann kommen wir noch einmal kurz zur Frage: „Wer ist dieser Tony Christie überhaupt?“ und schon haben wir’s gepackt.


Wäre er weitergezogen, wenn jemand „Yes“ gesagt hätte?

christie_amarilloMhm, so schlecht ist der Beat nicht, die Stimme klingt ein wenig wie Tom Jones, das muss man nicht mögen, aber der Refrain geht schön auf. Nur das „Sha-lala-la-lala-la-la“ reizt mich zum Widerspruch, nicht weil’s wenig subtil wäre, das ist ein „Yeah! Yeah! Yeah“ der Beatles auch nicht, es ist einfach etwas überzogen. Der Song hat schon alles: eine packende Rhythmusgruppe, einen dichten, warmen und doch bunten Klang, eine Stimme, die über allem steht, einen catchy, luftigen, aber doch leicht dramatischen Refrain, einen Reim auf „pillow“ und „willow“, nämlich „Amarillo“ und überhaupt einen Grundton fröhlicher, ja alberner Vorfreude, die der Verliebtheit gut zu Gesicht steht. Und dann so ein „Sha-lala-la-lala-la-la“ obendrauf? Völlig unnötig. Ein Millionenhit wurde der Song für den Sänger aus Großbritannien nicht dennoch, sondern sicher genau deswegen. Er würde nicht der einzige bleiben, auch wenn es der größte war, obwohl er erst in einer neuen Version 2005 erstmalig an die Spitze der britischen Charts gelangte.

Für die BRD wurde eine erneute Einnahme der ersten Position gemeinsam mit der schlimmen, schlimmen Hermes House Band versucht, es blieb aber bei Platz #5. Weitaus bemerkenswerter sind da ganz andere Kollaborationen des Sängers in den letzten beiden Jahrzehnten seiner Karriere, in etwa beim Song „Walk Like A Panther“ von 1999, den Jarvis Cocker schrieb, ebenfalls ein Top Ten-Hit.


Jarvis Cocker kann ganz sicher wie ein Panther gehen. Ganz bestimmt.  

In Großbritannien sind die Berührungsängste hinsichtlich erfolgreicher Solo-, ja Schlagerinterpreten weitaus geringer als im deutschsprachigen Raum, man denke nur an Morrisseys Bewunderung für Sandie Shaw oder auch die Vorliebe der Beatles für die Sängerinnen der 1960er. Und so ist es dann nicht weiter verwunderlich, wenn neben Cocker auch Richard Hawley und Alex Turner sowie Róisín Murphy mit dem stets vor allem Sänger im Sinne eines Entertainers gewesenen Christie zusammenarbeiteten.

Seine Musik wird mir durch solche Autoritäten nicht lieber, höchstens diese selbst, scheinen sie mir doch recht offene und vielseitig interessierte Menschen zu sein, was ich vor allem deshalb für wünschenswert halte, weil ich es nicht immer bin und man sich eben nichts wünscht, was eh schon ist. Meine Abscheu gegenüber „(Is This The Way To) Amarillo?“ nimmt dadurch nicht ab. Ob das wohl an der Angst liegt, sich gemein zu machen? Womöglich ja, und darauf mag ruhig jemand entgegnen: „Naja, wenn man sonst nichts hat …“ – denn richtig, wenn man sonst nichts hat, hat man nichts weiter und mit einer ablehnenden Haltung hat man immerhin etwas.

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