Der Liedschatten: Vom Musikhören und Bloggen über älteren Pop

Seit ungefähr zweieinhalb Jahren schreibe ich schon an dieser Reihe namens „Der Liedschatten“. Und obwohl es gerade kein Jubiläum oder eine runde Zahl gibt, entwickelten sich aus der Einleitung zur nächsten #1 ein paar grundsätzliche Überlegungen zum Versuch, wöchentlich und chronologisch über je einen der Nummer-Eins-Hits der BRD ab 1959 zu schreiben. Es folgen ein paar mehr oder minder lose Gedanken, eine Art innerer Monolog zum „Liedschatten“, zum Hören von älterer Popmusik, zu ihrer Beurteilung und dem Bloggen. In der nächsten Folge geht es dann weiter wie gewohnt.


I

Nur zu schnell verliert man (oder verliere zumindest ich) angesichts von Schlagern wie neulich „A Song Of Joy“ von Miguel Rios oder Danyel Gerards „Butterfly“ aus den Augen, dass eine Single nicht trotz, sondern gerade im Versuch, ein Hit zu werden, eine eigene Werkform des Pop ist. Das ist nicht weiter verwunderlich, ist sie doch uns jüngeren Hörern fremd geworden oder sogar nie wirklich vertraut gewesen. Angesichts der Fülle an Vorabdownloads, Streams und Videos ist es darüber hinaus schwer nachzuvollziehen, was vor allem wiederum jungen Musikhörern in den 1960ern oder 1970ern ein paar ersparte 7“s mit Lieblingsliedern, die sie im kleinen Kreis oder ganz allein hörten, bedeutet haben mögen. Songs werden heute im Internet entdeckt und ist dies einmal nicht der Fall, werden sie später trotzdem höchstwahrscheinlich darin gesucht und eventuell sofort von dort bezogen, nicht im Plattenladen. Die letzten Jahre brachten zusätzlich die Neuerung des quasi öffentlichen Konsums vor Freunden und auch (Un-)Bekannten via Netzwerken, Blogs und Streaming-Anbietern, der alles andere als selbstvergessen vor sich geht.

Gegenwärtig ist die neue Single einer Band nur ein Lied unter vielen, egal, wann diese anderen vielen veröffentlicht wurden. Wem es nicht um die Aktualität als solche geht, für den ist „neu“ nicht mit „neu erschienen“, sondern „zum ersten Mal gehört“ gleichzusetzen. Das soll nicht heißen, die Geschichte der Popmusik sei an ihrem Ende angelangt, im Gegenteil, die Popmusik selbst ist eine andere als vor 40, 20 oder 10 Jahren.

Mit den Charts in etwa muss sich heute kein an Musik interessierter Hörer mehr befassen. Wer nur ein paar wenige Online-Medien (und seien es Wikipedia oder AllMusic) nutzt, lernt genügend Veröffentlichungen fernab von Radio, TV und Verkaufsranglisten kennen, Streaming-Anbieter und Downloads tun das übrige. Welche Singles diese Woche erscheinen ist vollkommen egal, wenn man sein Geld gleichzeitig für gebrauchte Alben von Sibylle Baier, Disco Inferno, The Durutti Column oder Silver Apples ausgeben kann, von Künstlern also, die man vor einer Woche vielleicht noch nicht einmal kannte und deren Alben vor Jahrzehnten erschienen, ohne viel Beachtung zu finden.

Frühere Pophörer konnten sich nicht so leicht wie wir das Besondere heraussuchen, sie mussten es sich womöglich erst erschaffen, indem sie selbst anfingen, Musik zu spielen, Popmusik generell ablehnten oder einfach das kleinere Übel wählen. Wenn sie denn überhaupt auf die Idee kamen, einen Schlager für ein Übel zu halten.


II

Wir haben kein kleineres Übel zu wählen, wir haben einen Großteil des bisherigen Pop beinahe immer in Reichweite. Deshalb können wir nicht anders, als Vergleiche zu ziehen und Urteile zu fällen, die für die Hörer eines Liedes von zum Beispiel 1971 nicht vorstellbar waren. Das ist unsere gegenwärtige Situation. Aus ihr erklärt sich die teilweise Undankbarkeit gegenüber den Vorgängern (Produzenten wie auch Konsumenten), wir hören, was uns besser gefällt und glauben, es hätte uns auch damals schon besser gefallen können. Das ist falsch.

Jedoch wäre es ebenso falsch, sich vorstellen zu wollen, wie wir damals Musik gehört hätten. Zu glauben, wir sollten und könnten uns anhand von Spekulationen ein gerechtes Urteil bilden, wäre nur zaghaft. Etwas im Kontext der Zeit zu betrachten ist ja schön und gut, nur bin ich damit, die Dinge aus dem Kontext meiner Zeit zu betrachten, vollkommen ausgelastet, da muss es nicht noch die Zeit anderer Menschen sein. Deren Vorlieben zu rechtfertigen ist nicht die Aufgabe der Nachgeborenen, diese sollen sich ruhig über sie wundern und sie verwerfen dürfen, aber auch nicht darauf hoffen, dass später mit den ihren anders umgegangen wird. Von meinem Kind wünsche ich mir keine Zustimmung, sondern nur, dass es mich kritisieren kann, ohne sich vor Ablehnung zu fürchten.

Die Reihe „Der Liedschatten“ erscheint nicht ohne Grund in einer Rubrik mit dem schwammigen Namen „Pop und Poesie“, es wird hier mehr erdichtet als berichtet. Ihre Texte sagen stets viel über mich als einen Fan und unkommerziellen Blogger aus, der mit angesichts des Themas relativ geringem zeitlichem Aufwand in den Abendstunden einzelne Einträge verfasst, kaum abseits des Internets recherchiert und unterschiedlich viel über die Lieder, die doch den Anlass zu einer Folge liefern, schreibt. Je nach Laune gehe ich dabei vom Potential des Pop als Kunst oder dessen Irrelevanz als Ware im Kapitalismus aus, eine gerade Linie ist teilweise nur in Form der Wiederholung zu erkennen.


III

Eine in dieser Art verfasste journalistische Arbeit wäre gescheitert, doch ist ein Blogger ja nicht unbedingt Journalist und wird es auch niemals sein müssen. Ansprüche kann man an den Laien, der sich in der Öffentlichkeit des Internets äußert, dennoch stellen, nur sollten es eben andere sein. Lesbar und eigenwillig, ja offensichtlich egozentrisch sollte er sein, mehr nicht. Ansonsten gilt nur, was für nicht bloggende Menschen ebenfalls gilt.

Wenn ich den „Liedschatten“ verfasse, so geschieht das tatsächlich aus einer Mischung von Geltungsdrang und dem Wissen, hier jede Woche einen Anlass zum Schreiben über Musik zu haben, mit der ich mich eh die meiste Zeit über beschäftige, als Fingerübung und weil ich gemerkt habe, dass Regelmäßigkeit mir wichtig ist. Jede Woche ein Text, der mal mehr, mal weniger gelungen ist, damit kann ich gut leben. Eine Geschichte des Pop schreibe ich hiermit nicht, dazu ist es zu egozentrisch, also das, was ein Blogger meiner Meinung nach sein sollte. Die geschlossenen Theorien, Vergleiche und Referenzen, eine Recherche, die über das Zusammentragen schon aufbereiteter Informationen hinausgeht, den Versuch zur Sachlichkeit und das Abwägen überlasse ich den Journalisten, sie haben die Methodik, die (Arbeits-)Zeit und das Geld dafür. Bei mir steht und fällt die jeweilige Folge damit, wie ausgeschlafen ich bin, wie sehr mir ein Lied zusagt und was mir zu ihm in den Sinn kommt. Für ein Blog dürfte das ausreichend sein und etwas anderes als eine Reihe von Blogposts soll „Der Liedschatten“ auch nicht sein.

2 Kommentare zu “Der Liedschatten: Vom Musikhören und Bloggen über älteren Pop”

  1. Wahre Worte. Rückblickende Einschätzungen haftet natürlich immer der Makel an, dass sie die damals vorherrschende Gemengelage verkennen. Auf das reduzieren, was sich auch nach Jahrzehnten ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Beispielsweise ist die Sehnsucht nach einer heilen Welt in der Zeit des Kalten Krieges mehr als nur Schlagerseligkeit. Und freilich kennt man auch die weitere Geschichte eines Songs. Viele zu ihrer Zeit verrissene Platten und Songs sind heute Kult. Du verlangst aber auch Musikjournalisten viel ab, wenn du eine seriöse Einschätzung von musikalischen Epochen erwartest…

  2. Lennart sagt:

    Zugegeben, ich habe es da recht leicht, immerhin könnte ich das ja nicht einmal leisten und muss so gar nicht erst den Beweise der Machbarkeit erbringen.

    Vielleicht finden sich gute Einschätzungen eher in Büchern als in Zeitschriften, also nicht dort, wo „Tagespolitik“ gemacht wird. Beim „Testcard“-Magazin oder Büchern wie „Revolution in the Head“ hat’s ja geklappt, Simon Reynolds kann das auch… spätere Autoren können die Geschichte des Pop sicher besser überblicken und Songs besser in Zusammenhänge setzen. Auch, wenn es sich vieles gegenwärtig wie ein Ende anfühlt, Pop ist ja relativ jung.

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