
Bis vor ein paar Jahren hätte ich nie geglaubt, dass ich einmal eine Metalkolumne schreiben würde – geschweige denn, überhaupt so tief in solche Musik eintauchen zu wollen. Meine letzten Berührungspunkte mit Metal datierten etwa auf 1995/96, als mir mein Freund Uwe skandinavischen Black Metal vorspielte und ich mich mit Jungle/Drum’n’Bass revanchierte. Eigentlich eine coole Zeit, aber einige Ansichten der nordischen Protagonisten gingen so gar nicht und so trennten sich unsere Wege. In der Folgezeit erschien mir Metal wieder zu einem der konservativsten Genres überhaupt zu mutieren, mit ebenso konservativen Fans, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit von „Nur handgemachte Musik ist Musik“ faselten und optisch sowieso zirka 1987/NWOBHM–Zeit stehengeblieben waren. Dann kamen Wolves In The Throne Room, Blut Aus Nord und seine „777“-Trilogie, Krallice und natürlich Deafheaven und ich spürte wieder die Kraft, die gute, ach was, atemberaubende Musik ausmacht.
Das liegt natürlich auch daran, dass sich die Bands und ihr Publikum ebenfalls im Laufe der Jahre weiterentwickelt haben und man von einem umfassenden Konservatismus kaum mehr sprechen kann. Sehr schön verdeutlicht hat diesen Umstand Doug Moore in Stereogums „Black Market“-Kolumne für April, wo er ein Video eines Konzertmitschnitts der Death-Metal-Gruppe Brodequin postete und darum bat, sich auf den Drummer im Hintergrund zu fokusieren – um anschließend zu fragen: „Welcher Drummer?“. Ich finde auch folgendes Video derselben Band sehr aufschlussreich:
Keine Amp-Türme, kein Schlagzeug (nur das der Vor- und Nachfolgeband), alles läuft über Controller – und das Publikum? Das geht ab, als wenn das Geschehen auf der Bühne das Normalste der Welt wäre, dabei werden hier gleich mehrere Fetische geopfert. Dass es unter dem Video die üblichen Troll-Kommentare gibt, scheint den so geschmähten Drummer, der aufgrund einer Verletzung sein Instrument nicht mehr physisch spielen kann, nicht wirklich zu stören. Er gibt offenherzig zu, dass er sich das Schlagzeugspiel via MPC bei Dubstep-Produzenten abgeschaut habe. Ganz nebenbei: Im Studio wird sowieso fleißig getriggert und andere Bands wie ANCST verzichten gleich ganz auf einen Schlagzeuger, auch live.
Mit Anfeindungen hatte oder hat auch die erste Band zu kämpfen, die den Metallreigen diesmal eröffnen soll. Sun Worship aus Berlin mussten sich schon vieler Anfeindungen erwehren, von denen „Hipster-Black-Metal“ wohl noch die harmloseste gewesen ist und auch ihr Auftritt beim Roadburn Festival 2015 sorgte für einigen Gesprächsstoff.
Minimale Show, drei Typen, die eher aussehen wie Indierocker oder Mitte-Hipster, ein paar bunte Lampen und – „Ey, Scheiße, Alter – springt einer der Gitarristen da barfuß über die Bühne? Sind das verkappte Hippies? Wo sind denn die tonnenschweren Kligonen-Boots, die Patronen-Gürtel, die mysteriös-mystische Bühnenshow?“ Na, die sind völlig überflüssig, denn Sun Worship brauchen keine theatralische Ablenkung von ihrer Musik. Glaubt man Berichten, sind sie dabei nahezu euphorisch aufgenommen worden. Zu der Zeit spielten die Berliner wohl noch Songs ihres Debüts, inzwischen steht mit „Pale Dawn“ ein Nachfolger in den Regalen, der es wieder in sich hat. Vier Songs peitschen uns Felix-Florian Tödtloff (Gitarre, Gesang), Lars Ennsen (Gitarre, Gesang) und Bastian Hagedorn (Schlagzeug) um die Ohren. Dabei gehen sie anders zu Werke als auf „Elder Giants“, wo sie gerade dann besonders intensiv wurden, wenn sie klassische Heavy-Verweise einwoben. „Pale Dawn“ rekurriert mehr auf Black Metal: Langgezogene Stakkato-Melodiebögen interagieren mit wogenden Instrumentalpassagen, beinahe Mitgröl-Gesangslinien treffen auf ausgelassenes Blasting und am Ende hauen sie mit Klargesang eine Feierlichkeit raus, die so wohl keiner auf der Rechnung gehabt hat und die mehr als neugierig auf den weiteren Weg der Band macht. Dass sich die Größe dieses Albums nicht sofort beim ersten Lauschen erschließt, ist sicher auch dem Anspruch der Band zu zuschreiben. Mich haben sie mit jedem Durchgang mehr erwischt. Tolles Album.
Nächster beim Veitstanz sind UNRU aus Bielefeld. Die haben 2014 eine Split mit Sun Worship veröffentlicht und sind mit ihnen zusammen auch durch die Lande getourt. Eine weitere Gemeinsamkeit haben sie mit ANCST: Beide Bands entstammen einem eher links-autonomen Spektrum, so haben UNRU Kontakte zum AJZ Bielefeld. Mit „Als Tier Ist Der Mensch Nichts“ veröffentlichen die vier Bielefelder ihr Langspieldebüt und allein schon der Albumtitel hätte volle Punktzahl verdient, aber musikalisch bekommen wir auch einiges geboten. UNRU sind Grenzgänger, die schlafwandelnd zwischen Black Metal, Post Metal, Crust, Doom und Noise taumeln. Anders als Sun Worship haben sie als Quartett auch einen Bassisten, was ihnen untenrum mehr Wumms verleiht und natürlich auch ihren Noise- und Doom-Einflüssen entgegenkommt. Dabei versenken UNRU den Gesang, je nach Bedarf, entweder Black-Metal-typisch im Mix oder lassen es guttural so richtig knistern. Ansonsten ist auch das Album der Bielefelder eindeutig als solches konzipiert. Obwohl die Texte kryptisch bleiben, ergeben die vier Songs ein mächtig düsteres Bild des Jetzt, welches von der Realität noch überholt wird, scheint doch einem Teil der Deutschen ein völkisches GAUland wieder erstrebenswert.
Lassen wir deutsche Befindlichkeiten beiseite und kommen nun zu einem meiner absoluten Favoriten dieses Jahres, Echoes Of The Moon. Hinter diesem Projekt verbirgt sich Brock Tatich aus Indiana, der nur bei einem Song Hilfe an der Sologitarre bekommt. Sein Album „Entropy“ ist als ein einziger durchgehender Fluss konzipiert, der eigentlich nur als Zugeständnis an unsere Hörgewohnheiten in einzelne Segmente untergliedert ist. Über beinahe 72 Minuten Spieldauer ziehen diese auf wie ein Orkan, peitschen mit Blasts und fräsen mit Gitarrenwänden und Tatichs Gesangsstil zwischen Black-Metal-Fauchen und Screamo eine Schneise der Verwüstung durch die Gehörgänge, die sich direkt im Unterbewusstsein festkrallt. Soweit stünden alle Vorzeichen für ein klassisches Black-Metal-Album, doch weisen bereits Covermotiv und der Bandnamenschriftzug auf dem Album in eine andere Richtung. Echoes Of The Moon arbeitet wesentlich stärker mit Post-Metal- und Post-Rock-Einflüssen und so sollte es auch nicht verwundern, wenn „Entropy“ vor allem im letzten Drittel mit Congas aufwartet und mächtig deep wird, zudem ist die gesamte Produktion sauber und knusprig. Apropos Deepness: Soviel emotionale Kraft wie hier habe ich schon lange nicht mehr über Schreigesang vermittelt bekommen, auch wenn natürlich der musikalische Rahmen diese Gemütszustände kongenial unterstreicht. Das italienische Label Avantgarde hat hier erneut ein sehr gutes Händchen bei der Lizensierungs- und Veröffentlichungspolitik bewiesen.
Richtig viel zu lachen haben auch Fans des Death Metal. Relapse schicken ihre Retro-Vorzeigeheroen Gruesome erneut in den Ring, deren soeben veröffentlichte EP „Dimensions Of Horror“ kommt mit feinstem trashigem Coverartwork – Zombiemönch und Monster – und wird erneut komplettiert mit einem schröklichen Horrorvideo im 80er-Neongewand:
Auch beim Rest gibt sich das Quartett aus Arroyo Grande natürlich keine Blöße: Es gibt knalligen Oldschool-Death-Metal ohne Schnörkel und Sortenrein. Zwischendurch braucht man eben auch mal eine Watsche ohne Innovation, vor allem wenn es Spaß macht und die Protagonisten um ihr retroaktives Handeln wissen und damit spielen, ohne parodistisch zu werden. Wer doch lieber zu den „Originalen“ greifen will, kann auf die Wiederveröffentlichungen der Werke von Death zurückgreifen. In deren zweiter Runde bringt Relapse derzeit „Scream Bloody Gore“ von ´87 heraus, erweitert um Outtakes oder Liveaufnahmen und selbstredend mit ausführlichen Hintergrundinfos. Geschichtsinteressierte, die die Originale nicht im Schrank stehen haben, sollten ruhig mal reinhören und sich die Gedärme massieren lassen. Insgesamt konnte man seit Mitte des letzten Jahres den Eindruck gewinnen, dass sich das Genre auch bei jüngeren Bands wieder zunehmender Beliebtheit erfreut.
Bei Profound Lore ging, neben der Veröffentlichung des tollen neuen Dälek-Albums, in Richtung Gedärmeshreddern und Den-Leibhaftigen-und-sein-Reich-Beschwören auch wieder Einiges. Vier ganz dicke Brocken schleudern uns das kanadische Label entgegen: CHTHE’ILIST aus Montreal, Grave Miasma aus London, Ritual Chamber aus San Francisco und ein bisschen außer Konkurrenz das Debüt von GEVURAH, die satanistischen Black Metal spielen und ebenfalls in Montreal beheimatet sind. Alle vier haben den Weg in meinen heimischen Giftschrank gefunden und augenblicklich liegen meine Sympathien beim Duo GEVURAH, das mit „Hallelujah!“ ein liturgisches Teufelsbeschwöreralbum in die Welt entlässt. Dabei wird auf Schönspielen in Form von gniedeligen Solos glücklicherweise verzichtet, besonders fesselt hingegen der doch eher rauchig-rau-heiser-punkig als genretypisch grunzig-gutturale Gesangsstil. Grave Miasma wiederum proggen in all ihrem Getöse mächtig rum. Hinter jedem Beat lauern Rhythmus- und /oder Schemawechsel und gelegentlich grätscht auch ein Solo aus der Hölle ins Grollen. Auch bei „Endless Pilgrimage“ ist es der Gesang, der mich Wurm noch einmal meine ganze Unwürdigkeit und die Verachtung allen Lebens spüren lässt und wenn dann als erste Klänge auch noch lieblich die Sitar angeschlagen wird, steigt in mir der Wunsch auf, mich für meine erbärmliche Existenz selbst zu bestrafen.
„Don’t mess with the mountain, pilgrim.“
Dieses Zitat aus dem Film „Jeremiah Johnson“ führt uns direkt zum zweiten Album von ALDA aus Tacoma, wo es in einem Song eine zentrale Rolle spielt. Den Erstling der Band, „Tahoma“, zierten pazifische Lachse und ein Schädel im Flussbett, auf „Passage“ steht ein mächtiger Baum im Zentrum und auch zu seinen Füßen finden wir ein Skelett. Ja, so ist der Lauf der Dinge seit dem Anbeginn der Zeit, wir werden alle vergehen. Den Musikstil, den ALDA spielen, möchte ich „Environmental Black Metal“ nennen. Ein dicker Brocken Naturmystizismus gehört selbstredend auch zum Programm, Folk und ausgedehnte Akustikpassagen runden „Passage“ ab. Wer sich für Panopticon erwärmen kann, sollte unbedingt mal reinhören.
In unseren Breiten erledigt Eisenwald deren Veröffentlichung und mit dem Debüt von UADA hat das Thüringer Label noch ein weiteres ganz heißes Eisen im Höllenfeuer. „Devoid Of Light“ verankert sich schon nach dem ersten Durchlauf seiner knapp 34 Minuten Laufzeit tief im Gedächtnis. Das Quartett aus Portland verarbeitet in seinem melodischen Black Metal Einflüsse von Mgła, Nachtmystium („Black Meddle“-Phase) und Mittneunziger-Skandinavien zu einem vielleicht nicht gänzlich eigenen, aber eben sehr eingängigen Sound, der produktions- und aufnahmetechnisch sehr knusprig und klar eingefangen wurde. UADA demonstrieren Einiges an Potential, auch über eingefleischte Black-Metal-Kreise hinaus.
Gute Güte, Jute Gyte! Es ist endlich mal an der Zeit, dass Adam Kalmbach hier gewürdigt wird. Seit Langem gehört der Musiker aus Missouri zu denen, auf die ich immer mal wieder zurückkomme, die einen Platz in meinem Bewusstsein einnehmen und mich irgendwie nicht mehr loslassen. Kalmbach veröffentlicht kontinuierlich in Eigenregie Alben als Jute Gyte, seit 2006 davon 26(!!!) Stück. Oft sind sie in DVD-Hüllen verpackt, alle stehen sie in der Tradition des Black Metal und gehen doch so weit hinaus über alles, was ich kenne. Das liegt zu einem großen Teil daran, dass Kalmbach mikrotonale Gitarren benutzt. Was die ausmacht, musste ich auch erst mal googlen, sie sehen lustig aus und spucken unter seiner professionellen Bearbeitung krasse Töne. Anfangs glaubt man, jemand würde permanent an den Stellschrauben drehen und das Ganze wirkt wirklich stark gewöhnungsbedürftig, erklingen doch Tonleitern und Muster, die jenseits gewohnter Standards liegen. Für sein neuestes Werk „Perdurance“ setzt Kalmbach noch einen drauf und arbeitet mit gegenläufigen Rhythmen innerhalb eines Songs und den dort eingesetzten Instrumenten (Genaueres kann man hier nachlesen). Aber – und jetzt kommt das Allerbeste – „Perdurance“ erscheint, bei aller Theorie und trotz forcierter Experimentiererei, als bisher eingängigstes Album in seinem opulenten Schaffen. Trotzdem, seid gewarnt: Eure Ohren werden nie mehr dieselben sein …
Ein ganz persönliches Trauma verarbeitet A Pregnant Light auf seiner EP „Rocky“. Damian R. Master hat seinen Vater verloren und den Schmerz in einen Song gegossen, den er anschließend in sieben Teilstücke untergliedert hat. Musikalisch bietet „Rocky“ das Beste, was Master in der letzten Zeit veröffentlicht hat: Treibender Black Metal, unterfüttert mit grandiosen Melodien, ruhigen Passagen und einem völlig unpeinlichen Text für/an/über den verstorbenen Vater und das sich einstellende Gefühl von Verlust und Schmerz. Vielen Dank für diese Offenheit und für dieses – ergreifende – Stück Musik, zu dem man trotzdem vorzüglich moshen kann.
Zum Schluss, weil ich einfach nicht mehr scheiben kann, möchte ich euch noch ein paar hervorragende Veröffentlichungen im Ultrakurzformat vorstellen, die es alle mehr als Wert sind, gehört zu werden:
Einer meiner Labelfavoriten, Pest Productions aus Nanchang in China, beglückt uns mit der EP „Обскур“ von Культура Курения. Alle Informationen, die die CD bietet, sind in Kyrillisch und die Texte in Russisch, also für mich nicht dechiffrierbar. Das musikalische Spektrum ist allerdings perfekter melancholischer Post-Black-Metal, wie ihn derzeit vielleicht nur russische Bands so spielen können.
Zwei weitere Highlights, wenn auch nicht mehr ganz taufrisch, kommen aus Lissabon. Da wäre zum Einen Tod Huetet Uebel, ein Duo, das mit „Malícia“ ein extrem dichtes und dunkles Album in die Welt entlassen hat und das zu beinahe gleichen Teilen aus finsterstem Misantropen-Black-Metal und neueren Einflüssen von dessen Post-Variante befeuert wird. Zum Anderen ist da Vaee Solis, ein Quartett, das auf „Adversarial Light“ in einen Strudel aus Doom saugt und deren Sängerin Sofia Loureiro Wut und Agonie entgegenspeit, dass man sich schützend auf den Boden werfen möchte.
Weiter geht’s mit Skáphe, wiederum ein Duo und namentlich bestehend aus dem in den USA beheimateten Alex Poole und dem Isländer D.G.. Letzterer ist ebenfalls in die hervorragenden Misþyrming und Nađra involviert, deren Album „Allir Vegir Til Glötunar“ übrigens ebenso sehr empfehlenswert ist, aber darum soll es hier ja nicht gehen – also, zurück zu Skáphe. Deren zweites Album ist schlicht „Skáphe²“ betitelt und offeriert einen schwerverdaulichen und faszinierenden Brocken dissonanten Black Metals.
Und es gab noch so viel mehr zu entdecken in den letzten sechs Monaten…