All We Love We Leave Behind (III): A Year Past Matters

Dieses Jahr war es sehr ruhig um unsere kleine Metallurgen-Kolumne. Das lag nicht am unzulänglichem Metaljahrgang 2015, nein, der war ergiebig und teilweise hochwertig exquisit – nicht nur mit feiner Kopfnote, sondern auch mit gehaltvollem Körper im Abgang. Es lag schlicht daran, dass ich auch noch meine Brötchen verdienen muss und folglich wie auch für reguläre Rezensionen weniger Zeit gefunden habe. Aber genug davon, 2015 war wieder ein fettes Jahr und von Stagnation oder Langeweile war in den für uns relevanten Bereichen des Genres nichts zu spüren. Große wie Vattnet Viskar, Bell Witch oder Pallbearer haben dieses Jahr fantastische Alben veröffentlicht, doch soll es um diese hier nicht gehen.

Derweil schimpft alle Welt auf Streaming, digitale Formate oder die CD. Dabei sind es oftmals diese scheinbar unheiligen Drei, die es neuen, unbekannteren Bands oder verwegenen EinzelkämpferInnen ermöglichen, ihre Kunst dem geneigten Hörer nahezubringen, sei es als File, als Miniauflage in Form einer CD(-R) oder noch exotischer als Kassette, alles meist mit tollem Artwork, wobei die digitale Version sowieso zum Lieferumfang gehört. Dabei ist es völlig egal, ob die Band oder das Label in China, Indien, der Türkei, Südafrika, Kanada oder sonstwo auf unserem Planeten zuhause ist. Hauptsache, es gibt einen Internetzugang, dann ist es scheißegal, das Netz kennt (fast) keine Grenzen, Bandcamp und Co. sei Dank!

Aber um diese, in meinen Augen, Vorzüge soll es hier gar nicht gehen. Zu Jahresende will ich zumindest ein paar Alben oder EPs kurz vorstellen, die mich dieses Jahr bewegt und begleitet haben und die es mehr als verdient haben, weitere Ohren zu erreichen. Dabei könnt ihr natürlich auch weiterhin nicht die Verfolgung des „reinen Weges“ erwarten.

Anfangen will ich mit meinen absoluten Lieblingen und in meinen Augen der Entdeckung dieses Jahres: Harrow, ein Trio aus Victoria in Kanada, welches auf ganz erstaunliche Weise Black Metal mit Folkeinflüssen vermischt. Klingt nicht besonders neu? Macht doch fast jeder Black-Metal-Act? Das ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen, aber Harrow nehmen einen anderen Ansatz. Sie transponieren für „Fallow Fields“ Black Metal mit einem Cult-Of-Youth-ähnlichen Folkverständnis und verzahnen alles durch ein gehöriges Post-Rock-Wissen. Erwähnenswert ist auch der variable Einsatz des Gesangs, der zwischen Black-Metal-typisch, punkig und klar changiert oder in der Frauenstimme streckenweise an Nico erinnert. Heraus kommt ein vier Songs umfassendes Album, das mich seit ich es entdeckt habe nicht mehr loslässt. Dabei glänzen Harrow nicht durch Virtuosentum, sondern durch die seltene Fähigkeit, eine ganz eigene Stimmung zwischen Wut, Schmerz, Melancholie und Hoffnung zu erzeugen, die über die gesamte Albumlänge trägt. Vielen Dank an das italienische Label Avantgarde Music, das „Fallow Fields“ zumindest als CD auch in Europa veröffentlicht.

Die zweite Band, die mich dieses Jahr ordentlich geflasht hat, ist KEEPER, auf die ich über eine Split-EP mit Old Witch aufmerksam wurde. Allein das Artwork war schon ganz schön spooky, Old Witch klangen dann auf erfreuliche Weise nach feuchter Erde und modrigem Kellerloch. Folglich freute ich mich bereits schelmisch über diese akustische Herausforderung, aber als schließlich Keeper loslegten, blieb mir fast das Herz stehen und ich wollte mehr. Flugs bei Bandcamp gesucht und schon die bandeigene Seite entdeckt – mit Bandfoto aus dem Ü-Raum, die Jungs schienen sichtbar Spaß zu haben. Erstaunlicherweise war hier nichts dunkel, es sah eher nach Hobbykeller aus, inklusive Sammlung entleerter Spirituosen. Lediglich das Poster von Acid Witch und das Graffiti „Turn Up The Noize“ verriet, dass hier wohl eher keine Emo-Kapelle die Köpfe zusammensteckte. Schnell die „The Space Between Your Teeth“-EP ausgewählt und auf „Play“ geklickt, und was soll ich euch sagen, liebe Brüder und Schwestern? Aus meinen Lautsprechern ertönten gar liebliche Klänge. Die EP besteht aus zwei Songs, „The King“ und „The Fool“, beide über 15 Minuten lang und eigentlich nur zwei Seiten einer Medaille. Was mich so ehrfurchtsvoll erstarrenließ, war die beste Amalgamierung aus Noise, Drone, Sludge und Doom, die mir seit langem, wenn nicht sogar überhaupt 2015, untergekommen ist. Ich habe mir gleich in den Finger gestochen und einen Vertrag unterzeichnet, der schwer zu lösen ist. Fast alles von KEEPER gibt es für Zahl-was-du-willst, aber ich kann euch nur Bitten: unterstützt diese Band!

Auch Sivyj Yar hat 2015 wieder zugeschlagen und ein weiteres Mal begeistert. Mit „Burial Shrouds“ hat der Russe aus Wyriza ein hervorragendes atmosphärisches Black-Metal-Album veröffentlicht. Die spärlichen Informationen, die dem Booklet auf Englisch zu entnehmen sind, enthüllen, dass er sich thematisch an der Großen Hungersnot 1932 – 1933 abarbeitet, der schätzungsweise mehrere Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Für Ukrainer ein von Stalin initiierter Völkermord an unliebsamen Bevölkerungsgruppen, Sivyj Yar sieht darin wohl eher eine monströse Folge der sowjetischen Zwangskollektivierung, welche die über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen des feudalen Russlands beseitigt habe, ohne rechtzeitig funktionierende neue zu schaffen. Dass er im Booklet dieses Ereignis des 20. mit Bildern des 19. Jahrhunderts illustriert, wirkt ein wenig befremdlich, besonders, weil keines der Bilder als Heroisierung eines vermeintlich zaristischen Idylls taugt. Außerdem beruft er sich im Booklet auf Nikolai Klyuev, einen von den Symbolisten beeinflussten Dichter, der anfänglich von der Revolution begeistert, von dieser gefressen wurde – ein Schicksal, das viele glühende Avantgardisten ebenso erlitten haben. In seinem Schaffen pries er vor allem alte Götter, die ländliche Bevölkerung und zu einem gewissen Grad eine offene Homoerotik. Klyuev ist ein bis heute zwiespältig diskutierter Charakter, in einigen Bereichen sicher auch Anschluss fähig für heutige Nationalisten, wobei die Homoerotik im gegenwärtigen Russland und bei ebendiesen Kreisen kaum goutiert werden dürfte. Über die musikalische Qualität von Sivyj Yar muss ich nichts mehr sagen – nur so viel: „Burial Shrouds“ ist sein bisher zugänglichstes Werk, melodiegeladen und mit seinem fast schon als Markenzeichen zu bezeichnenden Bassspiel, inklusive Leads, einfach ein Muss.

Wir bleiben im Osten, werden aber ein klein bisschen obskurer. Violet Cold ist ein Ein-Mann-Projekt aus Baku in Aserbaidschan (berühmt für seinen immensen Einfluss auf Pop und Kultur in allen Bereichen …). Ob es sich bei dieser Herkunftsbenennung, wie bei Ghost Bath, um einen geschickten Zug von Identitätsverschleierung handelt, sei erst mal dahingestellt. Musikalisch ist Violet Cold jedoch ebenso schwer zu fassen. Seine bisherigen Veröffentlichungen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Ambient, Techno, dem, was wir einst Witchhouse oder Chillwave genannt haben, Cold Wave und einer sehr eigenwilligen Interpretation von Doom und Black Metal, der auch mal das Tanzbein schwingt. Ja, ihr habt richtig gelesen! Sein Album „Desperate Dreams“ rockt und bemüht sich, die lichtscheuen Wesen auf die in fahlem Schein ausgeleuchtete Tanzfläche zu zerren. Ich liebe Tabubrüche und das hier ist einer, aber das Beste ist, dass er vortrefflich funktioniert. Tolles Ding! Dass Violet Cold aber auch hochgradig verstörend kann, beweist seine ebenfalls dieses Jahr veröffentlichte „Astral Suicide EP“.

Weiter geht es mit Moonknight. Der Musiker aus Los Angeles beweist mit „Valinor“, welche unglaubliche Wirkung auch heute noch Do-It-Yourself-Attitüde, Home Recording und eine Vision entfalten können. Die Nachtschattengewächse, die sich hier entfalten, gehören zum Betörendsten und Besten, was das Untergenre Depressive Black Metal derzeit zu bieten hat. Dabei bestehen die Songs oft nur aus zwei, drei Akkorden oder Riffs, einer Überdosis aus in Hall getränktem Fuzz und verwunschenen Melodien, mal verborgen im Sediment, mal auf der Gischt tanzend. In seiner Ausrichtung fast minimalistisch. Das Material und die Aufnahmen, die „Valinor“ dabei versammelt, stammen aus den Jahren 2006 bis 2014 – eine Zeitspanne, die außer Aphex Twin sonst kaum jemand in ein Album gießen würde – und fügen sich, trotz der immensen Zeitspanne der Entstehung, perfekt zu einem sinisteren Gesamtkunstwerk.

Und war was mit Vendetta? Aber sicher! Die geschmackssicheren Berliner haben auch dieses Jahr den einen oder anderen Tropfen Blut zum Kochen oder Gefrieren gebracht. Nicht nur, dass sie immer wieder damit glänzen, Topalben hierzulande als Vinyl zugänglich zu machen – erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang nur Abstracters hervorragendes „Wound Empire“ -, Vendetta veröffentlicht auch stetig atemberaubende „Eigengewächse“ wie „A Gaze Into The Abyss“ der spanischen Leipziger Antlers. Die liefern besten Black Metal mit einer vokalen Doomnote und gefühlt anarchischem Hinterground, unterfüttert mit einer Melancholie, zu der man gerne Fliegenpilze naschend hinaus in den dunklen Wald wandert, um den Hirsch vom Cover röhren zu hören.  Oder ULTHA aus Köln: Die agieren zwar im Ganzen orthodoxer und atonaler in den Spitzen, aber ihr Album „Pain Cleanses Every Doubt“ überzeugt kaum weniger. Ferner nicht übergangen werden sollte die Split von ANCST und Ast, die den Anarcho-Black-Metal-Crust von ANCST mit dem verschrobenen Doom von Ast paart.




Auch völlig überzeugt haben mich zwei Alben, die von den Hannoveranern Alerta Antifascista veröffentlicht wurden. Zum einen das selbstbetitelte Album von Archivist, zum anderen „Litany“ von Dead To A Dying World. Archivist legen zum Verlieben krispen Blackgaze mit starken Post-Hardcore-Anleihen vor, der dermaßen mitreißend ist, dass es mich wundert, diese Band dermaßen unter dem allgemeinen Radar fliegen zu sehen. Auch in einer Post-Deafheaven-Welt ist „Archivist“ ein extrem durchkomponiertes, starkes Album von großer Erhabenheit. Nicht minder gut und interessant präsentieren sich Dead To A Dying World, nur hat das texanische Ensemple seine Wurzeln noch tiefer im Post Rock und das Pendel schwingt mitunter fast gefährlich Richtung Prog. Ihre Songstrukturen und der Einsatz von Streichern erinnert gelegentlich an Godspeed You! Black Emperor, wenn diese ein Kollektiv metaphysischer Geisterbeschwörer wären.




Zudem machte es dieses Jahr auch richtig Spaß, mal wieder knietief durch schlüpfrigen Morast aus Schlamm, Blut und Gedärm zu waten – und daran war nicht nur das „Found Footage“-Video der US Death Metaller Gruesome Schuld.



Auch bewies das Album von Gateway, dass Brügge nicht nur eine tolle mittelalterliche Altstadt auf der Habenseite verbuchen kann. Robin Van Oyen der Kopf hinter Gateway hat quasi im Handstreich gezeigt, wie geil und frisch tiefergelegte Riffs auch 2015 noch klingen können und nebenbei seinem Album, das er mit „Medieval Doomdeath“ beschreibt, auch noch verqueren Popappeal in die verwesende Karkasse gehaucht. Schleppend, tief und gruselig schön.


Ebenfalls klasse war „Morbid Throne“, die neue Grave Ritual, die zwar nicht die Erwartungshaltung komplett erfüllen konnte, die der vorab veröffentlichte Song „Adversary Crown“ evoziert hatte, es aber trotzdem wert ist, mal angetestet zu werden. „Adversary Crown“ gehört zum Besten, was ich seit Langem im Death-Metal-Segment gehört habe – unglaublich catchy und unorthodox orthodox.



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