Der Liedschatten (123): Keine Macht der Drogen

Juliane Werding: „Am Tag, als Conny Kramer starb“, Mai 1972

Mein erstes Schuljahr habe ich kaum in Erinnerung, eine Sache aber blieb hängen: die Warnung, keine Abziehbildchen oder Tattoos von Fremden anzunehmen. 

Tattoos sind hier keine gestochenen Zeichnungen, sondern kleine, bunte Bildchen, die man anleckt und auf die Haut legt. Damals gab es sie unter anderem als Dreingabe zu sehr harten und süßen Kaugummis oder Zeitschriften. Und eben als drohende Gefahr, dargeboten von Fremden. Deren Ziel schien es zu sein, zum Beispiel Erstklässler auf diesem Weg (Womit eigentlich? Mit LSD?) anzufixen und in die Drogensucht zu treiben. Damals, nämlich 1991 und in einer sächsischen Kleinstadt, konnte ich mir unter einem „Fremden“ leicht etwas vorstellen, nämlich einen Erwachsenen, der in diesem Fall auf dem Pausenhof herumschlich und kein Lehrer und auch nicht der Hausmeister war. Außerdem kannte man die meisten Einwohner des aufgeblasenen Dörfchens zumindest vom Sehen, und dass die so etwas nicht tun würden, war ja bekannt. Ebensowenig war bekannt, weshalb jemand so etwas tun würde.

Die Warnungen nahm ich trotzdem ernst. Wer weiß, vielleicht trat der unwahrscheinliche Wahnsinn solch eines sinistren Ansinnens nicht deutlich genug hervor. Gab es denn keine bösen Hexen mit vergifteten Äpfeln, keine Kräuterweiber, die einen erst ins Haus lotsten, dort in ein Eichhörnchen verwandelten und später als missgestalteten, großnasigen Zwerg mutterseelenallein in die Welt entließen sowie nicht weniger phantastische, rassistische Klischees und Märchen von kinderraubenden Zigeunern? Doch, die gab es, also Obacht!

Und doch ist das nicht meine erste Erinnerung an Drogen. Schon vorher wurde mir zu der Bekanntschaft mit Alkohol verholfen, da es höchst erheiternd gewesen sein musste, Kinder Bier oder Schnaps probieren zu lassen, um ihren Ekel jovial zu belachen. Vom Rauchen ganz zu schweigen. Und Hustensaft trank ich auch dann sehr gerne, wenn ich nicht krank war.

Nach dem Wegfall der Grenze zwischen DDR und BRD jedoch drohte das Böse auch in Gestalt des dealenden Fremden die Idylle aus Korn, Tabak und Hustensaft zu zerstören, in dieser gefährlichen Situation mussten bereits Grundschulkinder gewarnt werden. Das geschah offenbar recht wirkungsvoll, sonst würde ich mich heute nicht mehr daran erinnern.

Dennoch habe ich nicht das Eindruck, man hätte mich dadurch hinreichend über Drogen aufgeklärt. Förderlicher als all das Warnen war die Erfahrung, von Alkohol kotzen und von Gras kichern zu müssen oder von betrunkenen, enthemmten Menschen verprügelt zu werden. Oder aber der Bekannte, der nach längerem Konsum von Crystal diesen seltsam stieren Blick bekam, der Freund, den sein Alkoholismus in Verruf brachte, ethnobotanisch interessierte Hippies im Bekanntenkreis und ein oder zwei Wochenenden mit in verbotenem Maße tujonhaltigem Absinth und überhaupt psychoaktiven Substanzen. Ganz zu schweigen von der Beschäftigung mit Musik, Literatur, Geschichte und auch Politik, die deutlich machten: Viele bewunderte Menschen, die bedeutende Werke hervorbrachten, waren keinesfalls clean und Rausch besitzt eine gesellschaftliche Funktion.

Manches davon war interessant, anderes sogar wichtig für mich, hin und wieder waren die Bestrebungen, eigene Erfahrungen zu sammeln, auch riskant oder dumm. Allein der Glaube, Drogen wären unter allen Umständen der Kreativität zuträglich, ja emanzipatorisch, ist gelinde gesagt dämlich. Es gibt einige davon, die kein Mensch mehr ausprobieren muss, um zu wissen, dass sie einfach nur ungesund sind. Aber ohne Leichtsinn und Dummheit lässt es sich nicht wirklich leben und lernen und nur so konnte ich damals für mich feststellen, dass keine an sich guten Menschen durch böse Substanzen korrumpiert werden, sondern sie selbst falsche Entscheidungen trafen.

Es kommt mir etwas altbacken (für altklug bin ich mittlerweile zu alt, denke ich) vor, das so schreiben. Mittlerweile gehe ich davon aus, dass dieses oder vergleichbares Wissen auch ohne Selbstversuche erlangt werden könnte und allzu sehr beschäftigen mich Drogen gar nicht mehr. Unser heutiger Nummer-Eins-Hit „Am Tag, Als Conny Kramer Starb“ erinnert mich jedoch stark an diese Zeit, war es doch eines der Lieder, über die ich damals schmunzelte.


Wenn etwas „Nur zum Spaß“ getan wird und die Leute dann reden, kann’s nicht gut sein.

Das tue ich auch heute noch. Der Text soll ja auf der Geschichte eines Jugendfreundes der Interpretin basieren. Wenn die Sängerin diese aber einem Schlagertexter (hier war es Hans-Ulrich Weigel) erzählt, woraufhin der tut, was er als Texter eines Schlagers tut, nämlich einen Schlager texten, kommt am Ende auch nicht mehr als ein Schlager heraus. Und der wiederum sollte auch wie ein Schlager behandelt werden.

windows_howAllerdings besitzt dieser hier ein textlich vergleichsweise unüblich hohes Niveau, behandelt er doch das damals sicherlich akut werdende Problem des Drogentodes. Dabei wird sogar Kritik („die Leute fingen an zu reden / aber keiner bot Conny Hilfe an“) geäußert, nicht an dem Naivling, der nur träumen wollte, sondern eben den Leuten.  Was genau zum Tod führte, bleibt unklar, „Trips“ lassen LSD vermuten, aber an einer Überdosis dieser Droge zu sterben ist unwahrscheinlich. Laut der angedeuteten Logik des Songs war das Übel bereits der erste Joint, eine, wie heute sicherlich einige wissen, arg gewagte These. Das aber ist nebensächlich, der Song scheint nicht mehr als: „Achtung, wir jungen Leute (Werding war zur Zeit der Veröffentlichung 15 Jahre alt) wissen nicht, was wir tun, helft uns bitte, denn Drogen sind gefährlich“ sagen zu wollen.

Was aus diesem Hinweis zu machen ist, steckt nicht im Lied. Die Auswahl aus den zahlreichen Möglichkeiten liegt gewiss nicht in der Verantwortung einer Darbieterin von Schlagern und ihren Produzenten. Sie haben also keine Schuld an Filmen wie dem folgenden, die mich arg gruselten.


Im Rückblick wenig überzeugend: Mutanten und Aliens (u.a.) raten zum „normalen“ Leben

Warum gruselte mich dieser Film? Damals gruselte er mich, weil er gruselig ist. Heute schaudert es mich, weil darin so getan wird, als ob es bereits eine gute Welt guter Menschen geben würde, er suggeriert, dass Neo- und Xenophobie Vorsicht sind, Böses stets von Außen kommt und außeralltägliche Wahrnehmung des Teufels ist. So einfach ist es nicht, in etwa kann Letztere ebenso dem Eskapismus, der Reproduktion von Arbeitskraft und Selbstoptimierung dienen und damit eine Gesellschaft stützen. Gerade das ist hier aber wichtig, alles vermag wahr zu erscheinen, man muss sich nur entscheiden, was man wahrhaben möchte. Und diese Möglichkeit zur Entscheidung und damit Veränderung wird gerade in Sachen Rauschmittel gerne geleugnet, womit Alkohol ebenso gemeint ist wie andere suchterzeugende Substanzen.

Genug davon, es folgt nun noch der Hinweis auf die ursprüngliche Version des Liedes, den Song „The Night They Drove Old Dixie Down“ über den Sezessionskrieg zwischen den amerikanischen Süd- und Nordstaaten. Erstmals veröffentlicht wurde der Stück von The Band, bekannt hingegen vor allem durch Joan Baez. Und dann war’s das auch für heute.

Auf bald, ich gelobe Besserung!

In der nächsten Folge: Daniel Boone mit „Beautiful Sunday“

2 Kommentare zu “Der Liedschatten (123): Keine Macht der Drogen”

  1. Danke Lennart! Ich persönlich mag ja auch diese Weiterentwicklung ;-)

    http://www.youtube.com/watch?v=y9HcS6AxTpg

  2. yyyyyyyy sagt:

    Barb und George allein sind der Horror an sich.

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