Der Liedschatten (83): Beatles, Business & Nostalgie

Mary Hopkin: “Those Were The Days”, November – Dezember 1968

Bevor das Jahr 1968 mit der Wiedereinnahme der Chartsspitze durch Heintje („Heidschi Bumbeidschi“, ab dem 14. 12. 1968) enden wird, können wir uns noch einmal unerwartet mit den Beatles befassen.

Im Januar 1968 gründete die Band „Apple Corps“, ein Unternehmen mit zahlreichen Tätigkeitsfeldern. Auf einer Pressekonferenz im Mai ’68 äußerten sich Lennon und McCartney dazu wie folgt:

„John: It’s a business concerning records, films, and electronics. And as a sideline, whatever it’s called… manufacturing, or whatever. But we want to set up a system whereby people who just want to make a film about (pause) anything, don’t have to go on their knees in somebody’s office. Probably yours.

Paul: We really want to help people, but without doing it like a charity or seeming like ordinary patrons of the arts. We’re in the happy position of not really needing any more money. So for the first time, the bosses aren’t in it for profit. If you come and see me and say ‚I’ve had such and such a dream,‘ I’ll say ‚Here’s so much money. Go away and do it.‘ We’ve already bought all our dreams. So now we want to share that possibility with others.“

Diesen leicht flapsigen Idealismus konnte sich die Band vor allem deshalb leisten, weil sie das investierte Geld eh verloren hätte, wenn auch nicht in einer Unternehmung, so doch durch das Zahlen von Steuern. Und diese, man denke nur an das äußerst materialistische Stück „Taxman“ von Harrison, mochte die Band ungern entrichten.

Warum also nicht anderen kreativen Menschen helfen und damit womöglich noch Geld verdienen? Pragmatismus verband sich hier mit der nachklingenden Aufbruchsstimmung des Sommers 1967, auch dürfte die Ratlosigkeit nach dem Tod ihres Managers Brian Epstein im August 1967 die Band zu einem Aktionismus bewegt haben, der, so scheint es, ansonsten schlichtweg auf ein paar vermeintlich originellen Einfällen gründete. So gab es zum Beispiel „Apple Electronics“, geleitet vom entweder unehrlichen oder überambitionierten Alexis Mardas, der Tapeten mit integrierten Lautsprechern, Unsichtbarkeitsfarbe und eine Röntgenkamera zu entwickeln vorgab, aber nie ein brauchbares Ergebnis vorlegte, und die „Apple Boutique“, einen Laden für hippieske Mode und Accessoires, der nach sieben Monaten aufgrund von übergroßen Verlusten geschlossen werden musste. Erfolgreicher war neben dem Verlag „Apple Publishing“ das bandeigene Label „Apple Records“. Bis Mitte der 1970er Jahre erschien dort die Musik der Beatles und anderer Bands und Künstler, zum Beispiel Badfinger (mit dem Hit „Come & Get It“, geschrieben von McCartney), Ronnie Spector, Yoko Ono und Billie Preston, ab den 1990ern die „Anthology“ und Wiederveröffentlichungen der Beatles. Einen seiner größten Erfolge hatte „Apple Records“ 1968 mit „Those Were The Days“, gesungen von Mary Hopkins.

War eine Seefahrt denn nicht lustig und schön? Mary Hopkins kann sich offensichtlich Amüsanteres vorstellen.

Mary Hopkins wurde 1950 in Wales geboren und erlangte wie einige andere britische Sängerinnen der 1960er nach einer Talentshow Bekanntheit, wobei das Model Twiggy sie an McCartney empfohlen haben soll. Dieser produzierte daraufhin die erste Single der 18-jährigen, eine Adaption des Liedes „Dorogoi dlinnoyu“ von Boris Fomin (Musik) und Konstantin Podrevskyi (Worte) aus den 1920ern der damaligen Sowjetunion.

Laut dieser Übersetzung hatte der Song anfangs nichts mit einer Taverne, sondern einer Troika, einer dreispännigen Kutsche und deren verklungenem Glöckchengeläut zu tun, wobei auch dort die Themen dieselben sind, nämlich Vergänglichkeit und Trauer. Die mittlerweile populärere englische Version stammt von Gene Raskin aus New York, der gemeinsam mit seiner Frau in England aufzutreten pflegte, dort von McCartney gesehen wurde und schließlich durch seine Bearbeitung Copyrights erlangte, die ihm angesichts der zahlreichen Interpretationen ein ausreichendes Einkommen sicherten.

„Those Were The Days“ ist ein wehmütiger, melancholischer und nostalgischer, gleichzeitig aber kraftvoller Song. Sehnsucht, das Schwelgen in Erinnerung und lebhaftes Träumen halten sich hier die Waage.

„Once upon a time there was a tavern

Were we used to raise a glass or two

Remember how we laughed away the hours

Think of all the great things we will do“,

das klingt plausibel und sinnvoll. Sei es nun Cider, Bier, Schnaps oder auch Limonade, was sich in Gläsern befand, es dürfte und sollte eine Zeit gegeben haben, in der sich kindliches Vergnügen mit frühreifem Übermut in exzessiven Runden verband, Abende unter Gelächter verflogen und die kommenden Jahre von angenehmer Ungewissheit erfüllt waren. Aber:

„Those were the days my friend

We thought they’d never end“,

und das haben sie offensichtlich doch, mehr als Erinnerungen und „in our hearts the dreams are still the same“ blieb nicht. Mögen die Träume in den Herzen auch noch dieselben sein, die Welt ist es offensichtlich nicht und nicht selten leidet besonders der darunter, der sich nicht zu ändern vermag. Wie aber sollte all das auf eine Interpretin von 18 Jahren zutreffen?

heintje_heidschieZum Glück ist „Those Were The Days“ gut genug, um die Interpretin vergessen zu machen. Mit Sicherheit ist es dem Stück zuträglich, wenn es gut dargeboten wird, Hopkins als Folksängerin trifft hier den richtigen Ton zwischen anonymer Schönheit und glaubhaftem Vortrag. Die Instrumentierung spart nicht mit Elementen folkloristischer Klischees, die angesichts des überaus präsenten Gesangs jedoch nie in den Vordergrund rücken oder zum bloßen Gimmick verkommen, vom Kinderchor einmal abgesehen, der, den Nutzen für Klangfarbe ausgenommen, nun wahrlich keinen Sinn macht.

McCartney hat hier wie auch in anderen Stücken aus dem Spätwerk der Beatles seine Vorliebe für hübsche musikalische Abziehbilder freien Lauf gelassen, was ihm, verglichen mit „Honey Pie“ oder „Ob-La-Di-La-Da“, recht gut gelungen ist. Hier war er ja aber auch nur Produzent.

Sicherlich hat „Those Were The Days“ das Potential zu einem echt unangenehmen Schlager, selbstverständlich verlockt seine Dynamik (leise Strophe, lauter Refrain, lauter „Dei dei…“-Part, und das vier Mal) zum Grölen, andererseits würde aber genau das den Song zerstören. Denn Nostalgie basiert wie auch Kitsch, Retrospektive und Revisionismus zwar auf Erinnerungen, erhebt diese jedoch nicht zum allgemeingültigen Ideal. Sie benötigt nicht der vergangenen Zeit unterstellte Eigenschaften, sondern persönliche Erlebnisse. Deshalb kann sie auf eine stille, introspektive Art durchlebt werden und zumindest die Möglichkeit dazu ist bei „Those Were The Days“ gegeben. Wer mitgrölen will, wird es dennoch tun, nur wird das Lied nicht Ursache, sondern Anlass dafür sein.

3 Kommentare zu “Der Liedschatten (83): Beatles, Business & Nostalgie”

  1. […] schnellen und effizienten Zusammenarbeit der Vorjahre hatte das wenig zu tun. Das bandeigene Unternehmen Apple Corps versank bis Mitte 1968 nach und nach in einem geldverschlingenden Durcheinander, in dem sich die […]

  2. Pascal Weiß sagt:

    Ziemlich guter Song, den bekommt man einfach nicht kaputt. Und sehr schön geschrieben auch, Lennart, toller Schlusssatz!

  3. Lennart sagt:

    Danke, Pascal! Arbeitest Du die letzten Folgen auf?

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