Der Liedschatten (14): Bill Ramsey "Pigalle"

Erinnert sich noch irgendwer an die Hamburger Schule? Und wenn, woran eigentlich? Vielleicht ja an „Dead School Hamburg“, den Abgesang der Goldenen Zitronen auf eine Szene, die es so niemals gab, auf einen Begriff, der nur deswegen keine so fürchterliche Karriere wie die „Neue Deutsche Welle“ (was war eigentlich die „alte“?) hinlegen konnte, weil die Bands in der Regel bedeutend besser waren und der Run auf Trainingsjacken erst dann begann, als sich die meisten ProtagonistInnen gar nicht mehr im Pop-, sondern eher klassischen Kulturbetrieb befanden.

Ein kurzer Exkurs oder: Die Weisheit der Sterne

Als Tocotronic, Die Sterne und eben auch Die Goldenen Zitronen erfolgreich wurden, war es um Cpt. Kirk &, Kolossale Jugend, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs oder auch Huah!, die den Anlass zur Schöpfung des Begriffes gaben, schon „recht still geworden“, was zwar eine gebräuchliche Redewendung, aber in diesem Fall auch ziemlicher Quatsch ist. Die in diesen Gruppen aktiven Menschen hatten einfach anderes zu tun, als Tanzmusik für die bundesdeutschen Jugendzentren zu liefern, etwas, was man aber auch bekannteren Formationen nicht vorwerfen sollte. Die schreckliche „Wir sind wieder wer / trauen uns was / haben was zu sagen / anzubieten / sind selbstbewusst und haben ja auch unserer Kultur, sind eine Nation wie jede andere“-Kiste, der ganze Quatsch mit Lokalkolorit und „positivem Nationalismus“, Befindlichkeitsduselei und rückschrittlich-beschränkter „Ach, was sind das für unsichere Zeiten! Ich möchte Klarheit und eine starke Hand, die mich führt!“-Lyrik wurde erst später absatzdienlich, womit aber nicht die ersten, sehr guten Tomte- und Kettcar-Alben oder Wir sind Helden gemeint seien sollen. Bands, hingegen, die sich der Tümelei zurechnen lassen, werden an dieser Stelle nicht genannt. Hier wird eh genügend Raum für unschöne Sachen gemacht.

Bleiben wir also noch ein wenig bei den angenehmen Protagonisten deutschsprachig verfasster Popmusik, zum Beispiel der erwähnten Band Die Sterne. Einer Gruppe, die mit sieben von neun bisherigen Alben sogar in den Charts landete und deren vortrefflicher Sänger Frank Spilker Texte über das Leben in der Prekarität, persönliches Elend und den Wunsch, etwas daran zu ändern vorträgt. 2002 erschien „Irres Licht“, eines der besten Alben der Sterne, und das ist es auch, weil sich darauf ihr vielleicht bester Song überhaupt befindet, „Wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt“, dessen Refrain wie folgt lautet: „Ich möcht mich in die Ecke verkriechen / aber hilft nicht / Ich könnt den ganzen Tag nur noch schreien / aber nein / Da hilft nichts auf der Welt / wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt“, die Strophen sind aber auch ganz herrlich.

http://www.youtube.com/watch?v=7ji1vvxhlsA

Rufen wir uns ins Gedächtnis: St. Pauli ist nicht nur eine (Mode-)Marke und ein Fussballclub, mehr als nur Gentrifizierung, Reeperbahn und Schanze, sondern auch ein Ort, an dem man lebt, und Leben werden nun einmal nicht von Abstiegsängsten, Wochenenden und dem Stadtmarketing bestimmt. Dennoch können die genannten Dinge das Dasein dort erschweren und gar verleiden, indem sie ein Bild schaffen, das zwischen den Polen hippes/alternatives Szeneviertel und Vergnügungsmeile liegt und eine Menge Leute anschwemmt, Treibgut auf den Wellen, die Touristikbranche, Stadtmagazine und geschmacklose RTL-II-Dokus schlagen. Lebt man in Hamburg, so tut man gut daran, die Schanze nur dann zu betreten, wenn man ins Uebel und Gefährlich, Knust, das Eldorado, die Mutter oder in die Nähe der Wohlwillstraße möchte (empfehlenswert sind auch die Plattenläden dort, Freiheit & Roosen, Zardoz und Burnout Records). Die Reeperbahn gar sollte nur kreuzen, wer das Molotow, die Hasenschaukel oder den Golden Pudel Club besuchen will, und die Kneipen des Hamburger Bergs sucht man am besten dann auf, wenn Bedarf an Abstürzen und Anekdoten besteht, für die man sich später schämen kann. Überhaupt ist die Reeperbahn eine ganz, ganz schreckliche Sache, und egal, was auch immer Euch erzählt werden mag: Klar, die Beatles haben dort mal gespielt, aber das ist eine Weile her, und gute Platten haben sie nicht in Hamburg aufgenommen, es gibt kein bisschen „Spirit“ dort, der Star Club ist abgerissen. Auf der Reeperbahn gibt es Musicals, Varietés und Theater, deren Besuch per Reisebus absolviert wird, Spielhallen, Laufhäuser und anderen Krams, außerdem noch zahlreiche Frauen, die im Bereich der Sexarbeit tätig sind. Das hat nichts mit freier Liebe zu tun, da gibt’s auch keine Matrosen auf Landgang, höchstens mal einen Junggesellenabschied und dessen Elend. An den Wochenenden ist es ein von Aggressivität durchströmter Ort, an dem uninspirierte Ausschweifungen die Morgenstunden in Trostlosigkeit hüllen, und die Peepshows, Sexkinos und Bordelle machen diesen Ort gar nicht, überhaupt nicht besonders. Nachts um halb eins gibt’s dort nichts zu sehen, nur enthemmte KleinbürgerInnen und Reisegruppen, deren Mitglieder sich einmal außerhalb des Partykellers lächerlich machen wollen.

So, genug geschimpft, wer glaubt, es könne alles gar nicht so schlecht sein, hat vielleicht Recht, möge sich aber ein eigenes Urteil bilden. Wie sinnvoll das sein kann, zeigen andere besser als ich, zum Beispiel das ZDF in seinem Beitrag über Burlesque auf St. Pauli.

Bill Ramsey “Pigalle”, April 1961

ramsey

Ob das soeben über die Reeperbahn geäußerte auch für das Pariser Rotlichtviertel Pigalle zutrifft, kann der Autor aufgrund Unkenntnis des Ortes nicht sagen, es ist aber zu befürchten. Ähnlich zur Hamburger Meile wird aber auch hier der allgemeine Leumund kein schlechter sein, denn wo es Alkohol und käuflichen Sex gibt, wird eine Menge Geld umgesetzt. Ein Mythos ist also willkommen und wenn’s nicht dazu reicht, dann eben ein Klischee, diese werden recht gern aufgegriffen und dienen ebenso der Selbstvergewisserung wie auch Unterhaltung.

Bill Ramseys „Pigalle“ macht da keine Ausnahme, das Viertel wird als „Mausefalle“ bezeichnet, dessen „Speck so süß“ schmecke, etwas, worauf sich alle Nationalitäten einigen könnten, denn sämtliche Währungen würden dort kursieren. Was für ein langweiliges, trauriges Menschenbild, das die Gleichheit der Menschen an Vergnügungssucht festmacht, aber was soll man anderes von einem Lied erwarten, das einem Schlagerfilm („Café Orientale“) entstammt, dessen Inhalt sich wie folgt angeben lässt: „Ein von Steuerschulden geplagtes Café soll mit Hilfe einer Music-Band saniert werden. Als der Gerichtsvollzieher zum Jazz-Trompeter aufsteigt, sind die Sorgen behoben.“

Und wussten wir nicht eh schon, dass mit Bill Ramsey nicht viel Staat zu machen ist? Sein „Souvenirs“ war ja schon recht dürftig, es ist also nicht weiter verwunderlich, dass auch das Pariser Viertel schon von anderen besser besungen wurde. Ein kleiner Trost: Es war sein letzter Nummer-Eins-Hit, da konnte er noch so sehr klamauken, wie er wollte und sich dabei sogar an lehrreichen Lektionen (siehe „Haschisch Halef Omar“) versuchen, es half alles nichts. Und dabei war gerade dieser Song so schön stereotyp und dümmlich, aber nicht immer kann man’s allen Recht machen.

Foto: Liz Swain

2 Kommentare zu “Der Liedschatten (14): Bill Ramsey „Pigalle“”

  1. […] Spitze der Hitparaden gelangtes Stück von dem, was Kollegen wie Gerhard Wendland, Freddy Quinn und Bill Ramsey vortrugen? Nein, und das, obwohl es, anders als damals üblich, einen Bezug zur gesellschaftlichen […]

  2. […] auf die InterpretInnen, zum Beispiel „Sexy Rexy“, bieder-augenzwinkernde Anzüglichkeiten eines Bill Ramsey oder die unwirkliche Abwesenheit des Sex in stumpfen Romanzen (auch das ist eine Art der […]

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