Der Liedschatten (39): Schlimmer Sex!

Was tun, wenn’s um bestimmte Dinge gehen soll? Tocotronic empfehlen: nur auf Englisch darüber singen. Und so taucht Sex dann bis auf einen Fall (und da auch noch mehr vage als explizit) auf keinem ihrer Alben auf.

In ihrem Zusammenspiel geradezu klare Worte finden hingegen Kante, deren „Nichts Geht Verloren“ sich des Themas gelungen annimmt. „Das Gestenspiel, der klare Blick / die Hitze, die die Adern füllt / der Schweiss, der uns die Hände lenkt / die weisse Nacht, der Morgendunst“, ein wenig Stadtmetapher dazu („Die heisse Stadt, der Vogelflug / der Schlaf, der keine Ruhe bringt / die Nacht, der Rausch und der Exzess / der Hafen und der kalte Wind“), so kann’s angegangen werden. Geradezu subtil Erheiterndes gibt es bei Blumfelds „The Lord Of Song“ vom Album „Old Nobody“ zu hören, dort folgt auf die Zeile „Ich sehe wie wir uns lieben“ ein laszives „Wow!“. Und wenn wir gerade beim Jochiboy sind: kennt ihr dessen B-Seite „Ich will mehr“ zur Single „Lass uns Liebe sein“? Ich zitiere: „Ich hab einen hoch und keine Zeit wen zu hassen (…) Jetzt knie‘ ich hinter Dir und halt‘ Deine Hüften / Werd‘ zum Tier und wedel‘ mit dem Schwanz“, räusper. Eigentlich sollte es erst ein wenig weiter unten obszön zugehen. Deshalb sei nun erst einmal Stereo Totals schwer zu fassendes, nach eigenem Bekunden kommunistisches Handeln thematisierendes „Liebe Zu Dritt“ empfohlen (und das Video erst! Sieht aus wie schlechtes Keramikdekor aus den 90ern, passt aber schon.). Eher nicht so toll sind Sofaplanet mit „Liebficken“ (die komischerweise vom tollen Tobias Siebert, auch tätig bei Klez.e und Delbo, produziert wurden), aber als kurioses Zeitdokument (die Bärte!) durchgeht.

Was aber über Tic Tac Toes „Funky“ („Ich sitz auf seinem Schoß / Ein kleiner Traum wird riesengroß / Ich fühl mich funky“) gedacht werden sollte, fragt ihr besser auf irgendeiner „Bad Taste Party“. Oder lasst es, noch besser, bleiben, sonst hört ihr dort am Ende noch E-Rotic, während irgendein Dussel etwas von „Ironie“ erzählt. Und dann kommt noch wer mit „So schlecht, dass es schon wieder gut ist“, einer furchtbar dämlichen, schmerzverursachenden Phrase.

Es muss aber gar nicht erst von Sex gesungen werden, um diesen in die Popmusik zu tragen. Die wird von Körpern erzeugt und durch sie vorgeführt, wobei durchaus letztere, und nicht das Stück, im Vordergrund stehen können. Doch nicht nur Inhalt und Erscheinung im Rahmen einer audiovisuellen Aufführung sind von Bedeutung. Sexualität ist als „Haltung“ oder Teil des Privatlebens essentieller Teil einer jeden „Künstleridentität“. Man denke nur an Morrissey und das Interesse, das seinem Liebesleben ausgerechnet durch die Weigerung, es offen zu legen, entgegengebracht wurde und auch noch wird, von Madonna zu ihrer besten und auch nicht ganz so guten Zeit (Britney Spears küssen! Also wirklich.) und Lady Gaga (das Penis-Gerücht) ganz zu schweigen.

Die Verweigerung von Auskünften und Bekenntnissen zum Konzept der landesüblichen „(A)normalitäten“ wird meist als unnötige Zierei aufgenommen, nicht nur, weil es den KundInnen einen Aspekt des Produkts „Popstar als Schablone“ vorenthält. Die Penetranz, mit der Gerüchte bezüglich der Sexualität eines Stars teils mehr, teils weniger professionell verfolgt werden, hat einen weiteren Grund. Die meisten Menschen weigern sich einfach, Sexualität für nicht sonderlich wichtig zu erachten, bietet ihr Vorhandensein neben dem Tod doch die größte Gemeinsamkeit zwischen diesen, von Bedürfnissen wie Essen, Schlafen und überhaupt einem Sozialleben jenseits des Sex einmal abgesehen. Diese sind in ihrer Problematik allerdings etwas schwerer verkäuflich, Popmusik bezieht ihre Existenzberechtigung in den meisten Fällen aber aus ihrer Warenform.

Dazu passt der Komplex Liebe, in den Sex wie selbstverständlich eingeschlossen wird, hervorragend, auch dann, wenn das bediente Genre nicht eh schon von Haus aus nach „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ verlangt. Von dieser albernen, reaktionären Phrase leben dennoch ganze Zweige der Kulturindustrie, nicht nur der bemühte Rock’n’Roll, sondern auch der Schlager, und das bereits vor Mickie Krause. Nach der bisherigen Beschränkung auf die InterpretInnen, zum Beispiel „Sexy Rexy“, bieder-augenzwinkernde Anzüglichkeiten eines Bill Ramsey oder die unwirkliche Abwesenheit des Sex in stumpfen Romanzen (auch das ist eine Art der Darstellung) wird’s heute nun zum ersten Mal ordinär.

Peter Lauch & die Regenpfeifer “Das kommt vom Rudern, das kommt vom Segeln”, September – Oktober 1964

Wer’s bis zum Ende gehört hat, weiß, dass es sich hierbei um keinen einfachen Seemannsschlager handelt. Warum dann rudern und segeln? Nun, man bedenke nur einmal, was sich darauf reimen ließe, „pudern“ und „vögeln“ nämlich. Das Liedchen ist zotig, gut, damit steht es aber nicht allein, mit Zoten muss man wohl zu leben wissen (siehe Jochiboy). Nach unten hin gibt es dabei auch in der sogenannten Hochkultur kaum Grenzen, man sehe sich nur einmal Goethes Fragment „Hanswursts Hochzeit“ an, in der Personen wie „Ursel mit dem kalten Loch“, „Hans Arsch von Rippach“, „Matz Fotz von Dresden“, „Reck-Aerschgen und Schnuck-Fötzgen“ sowie „Peter Sauschwanz“ vorkommen, allen voran Hanswurst, der nur heiraten möchte, um rasch und legitim Geschlechtsverkehr vollziehen zu können. Alles andere ist ihm egal, gefeiert werden muss eine Hochzeit nicht: „Ich mögt wohl meine Pritsche schmieren / Und sie zur Thür hinaus formiren / Indessen was hab ich mit den Flegeln / Sie mögen fressen und ich will vögeln“. Nun gut, es wurde seinerzeit nie veröffentlich und schon gar nicht aufgeführt, es hätte dem als Autor des „Werther“ bekannten, frisch geadligten Herrn Unannehmlichkeiten bereiten können.

lauch_rudernSolche blieben auch Peter Lauch und den Regenpfeifern nicht erspart. „Das Kommt Vom Rudern“ rief einen kleinen Skandal hervor. Da ein solcher dem Absatz dienlich sein kann und der Text letztendlich frivol, aber bieder genug war, wurde es ein Hit. Weitere waren Lauch nicht mehr beschieden, auch wenn der eingeschlagene Weg weiter verfolgt wurde und seine Lieder stets mit Texten wie „Oh Helen / lass mich dein Kätzchen einmal sehen“ und „Wir haben es schon oft getan / im Sitzen und im Liegen / und wenn wir einmal Englein sind / dann tun wir’s auch im Fliegen“, ja sogar Blasmusik aufwarteten.

Ist das nun frivol? Die Verdrängung eigener Wünsch in die Zuhörerschaft zum schuldfreien Lustgewinn? Oder einfach nur Stimmungsmusik? Vielleicht ja aber auch die unbeholfene Nachahmung des recht lebendig-frivolen Schlagers der 1920er Jahre. Der war nicht nur in seiner Anzüglichkeit charmanter, siehe zum Beispiel „Ich Sah Die Lisbeth – Im Paradiesbett“  und “Heinrich Wo Greifst Du Denn Hin!“, sondern in vielerlei Hinsicht weniger beschränkt. Vor allen Dingen aber kam er mit weniger Text aus und ist auch heute noch allein schon deswegen erträglicher.

6 Kommentare zu “Der Liedschatten (39): Schlimmer Sex!”

  1. Hmm, also ich bin nun wirklich nicht der Schlagerheini. Aber das Genre muss ich mal wieder verteidigen. Dieser absolute Schwachsinn ist auch im Schlagerbereich ein echter Tiefpunkt. Nun bin ich ohnehin allergisch gegen jede Form von Altherrenwitzeleien. Ganz ein übles Ding, auf das du da gestoßen bist.

    Sex und Musik, warum nicht. Die von dir erwähnten Stereo Total haben mit Liebe zu dritt ein Highlight gesetzt. Meist jedoch wirkt die musikalische Beschreibung des Geschlechtsaktes primitiv oder aber sehr steril. Zwischen den Extremen gibt es wenig. Echt schlimm fand ich einen Song des heurigen Bundesvision Song Contests, wo von Essen geh’n, was Trinken geh’n und etwas Ficken geh’n gefaselt wurde.

  2. Apfelmann, Baby sagt:

    „Oder lasst es, noch besser, bleiben, sonst hört ihr dort am Ende noch E-Rotic, während irgendein Dussel etwas von „Ironie“ erzählt.“

    Wobei zur Verteidigung von E-Rotic vorzubringen ist, dass die Band immerhin ein Abba-Tribute-Album mit Namen „Thank You For The Music“ 1997 veröffentlichten, was laut Amazon-Rezensionen nahezu perfekt nach Abba klingen und besser als die A-Teens sein soll. http://www.amazon.de/Thank-You-Music-Rotic/dp/B000025GQ2

    So ganz geschmacklos kann diese Band also nicht sein und es wird wohl etwas dahinter stecken, wenn sie Bahnbrechendes singen wie „Willy Use A Billy… Boy“ oder „Help Me, Dr. Dick“. Der Freifahrtsschein aufrechter Herzen sollte ihnen zustehen.

  3. Lennart sagt:

    Nicht E-Rotic sind das Problem, sondern die Ironie, zumindest in einem solchen Szenario. Und besser als die A-Teens? Mhm… das klingt interessant.
    „Songs wie „Angel Eyes“, „Lay All Your Love On Me“ eignen sich in der neuen, rhythmisch aufgepeppten Aufnahme hervorragend für den Dancefloor, aber auch für die Foxtrott-Party, sind dabei aber opulenter und liebevoller arrangiert als die Versionen der A*Teens.“ Foxtrott! Geilo!

  4. Sebastian sagt:

    Rammstein wird in eurer Abhandlung aber mal schön außen vor gelassen.

  5. Lennart sagt:

    Jepp, das werden sie, und Inner Circle auch. Die Ausführungen können natürlich gerne nach, ähem, Lust und auch Laune ergänzt werden.

  6. […] doch originell, unterhaltsam und obskur, nur selten offensichtlich widerlich, siehe Bill Ramsey und Peter Lauch. Und nun das. Nicht nur die Darbietung spottet jeder Beschreibung, auch der Text ist fürchterlich. […]

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum