Der Liedschatten (11): Andersen + Valente “Ein Schiff wird kommen”

Vorweg eine Warnung: das hier ist die XI. Folge des Liedschattens, sie unterscheidet sich ein wenig von den bisherigen zehn. Als mit der Kolumne begonnen wurde, hatte ihr Autor noch keine Ahnung, in welchem Maße sich die darin zu behandelnden Lieder von dem unterscheiden, was er sonst hört. Es drängt sich mittlerweile der Verdacht auf, dass eine Beschäftigung  mit jedem Nummer-Eins-Hit der deutschen Charts seit 1959 nicht auf der Basis eines naiven Interesses möglich ist. Man braucht ein ziemlich dickes Fell.

Der Anfang wurde noch ganz im Sinne Beppo Straßenkehrers aus Michael Endes „Momo“ unternommen, des klugen Herren, der wusste:

„[…]Man muss nur an den nächsten Schritt denken,
an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich.
Und immer wieder nur an den nächsten.

Dann macht es Freude; das ist wichtig,
dann macht man seine Sache gut.
Und so soll es sein.“

Und außerdem würde die Chose so ein wenig spannender für den Schreibenden, glaubte dieser.

Er hatte sich vorgenommen, zur X. Folge einmal auszureißen, es aber vergessen und nimmt die Gelegenheit dazu also heute wahr. Auch wenn die Beschäftigung mit Schlagern und Hits kein Opfer darstellt und erst recht keines, dessen man sich rühmen könnte, Unbehagen ruft sie doch manchmal hervor, zumindest dann, wenn man dem delikaten Kitzel des Trash nicht nachgeben möchte.

Heute ist es dann aber einmal so weit, er ist ein wenig genervt, und um nicht das gesamte Vorhaben zu gefährden, leistet er sich eine kleine Entgleisung. Lassen wir den heutigen Schlager einmal Schlager sein, ihn zu zerpflücken macht ihn auch nicht besser. Nächste Woche geht’s dann in gewohnter Manier weiter.

Ein Exkurs oder: Das Ödland der zweifellos eingelösten Versprechen

Was ist das Bezaubernde an Musik? Eine der vielen möglichen Antworten könnte lauten: ihre Unverbindlichkeit. Sie verfolgt kein Ziel, ergibt keinen Sinn, bringt keinen Nutzen und fesselt die Aufmerksamkeit, eine gute Gelegenheit, um festzustellen, dass man über so etwas verfügt. Worauf man dabei aufmerkt ist unterschiedlich und hat nichts mit der Intention des oder der UberheberIn zu tun.

Eines meiner stärksten Erlebnisse mit Musik spielte sich in einem Reisebus auf der Rückfahrt von einem Schulausflug nach Dresden ab. Er war nicht weiter der Rede wert, wir werden irgendetwas sicherlich Sehenswertes besichtigt haben, ich erinnere aber ausschließlich der Stunden, in denen wir Freizeit hatten und die dazu genutzt wurden, sich in der Stadt herum zu treiben, wobei das die falsche Beschreibung für zwei Stunden Lauferei durch das innerstädtische Zentrum einer mittelgroßen Stadt sein mag, eine  Beschäftigung, die sich auch mit dem allerbesten Willen nicht als Flanieren bezeichnen lassen könnte.

Im Bus lief also auf der Rückfahrt „The Drugs Don’t Work“ von The Verve, einer Band, der ich mich in keinerlei Weise verbunden fühlte, auch befand ich mich keineswegs in einem Besorgnis erweckenden Stadium meiner Drogenkarriere.
Das Hören dieses Stückes war keine aktive, irgendwie motivierte Tätigkeit, es ereilte mich in Form einer Vereinnahmung,  unangekündigt und unerwartet. Diese Form des Erlebens wird mit den Jahren immer seltener und ist scheinbar anderen, meist jüngeren Menschenn vorbehalten, deren Verzückung über eine musikalische  Begegnung nur den Widerhall einer Erinnerung in mir hervor bringt. Das ist in Ordnung, Wiederholung ist eine gute Chance, Interesse in eine Kenntnis feiner Nuancen umzuwandeln. Verfeinerung hält lebendig, wenn ringsum Möglichkeiten von der falschen Souveränität des immer wieder bewältigten Alltags erdrückt werden, ist es gut, hin und wieder dem Teufel zu begegnen. Details sind seine Heimstatt, und nur die Gläubigen fürchten ihn.

Wie diese besitzen auch Schlagerfans einen Katechismus. BesucherInnen des Hamburger Schlagermove zum Beispiel bringen die Musik ungehört mit, tragen sie bereits in sich, wissen, wie sie klingen darf, kennen ihre Harmonien und Texte. Wer auch immer das Neue fürchtet, ist dort richtig. Alles passt wunderbar, man betrinkt sich, tanzt ein wenig und gibt sich gemeinsam der Entwürdigung hin. Abstürze sind akzeptiert, latente Aggressivität und Sexismus Teil des Spektakels. Das aber weiß man schon vorher, dafür kommt man zusammen.

Schlager stehen außerhalb der Zeit, solange Menschen sich und ihre Wünsche in ihnen wiederzufinden glauben. Ganz wichtig ist dabei das „Wiederfinden“. Diese Lieder bieten bei aller schmuddeligen Abgeschmacktheit stets abwaschbare Oberflächen, auf denen zum Beispiel die Liebe nicht als Möglichkeit, sondern Notwendigkeit abgemalt wird. Dabei kennen sie einzig die Sehnsüchtigen, die einer Erfüllung harren oder Beglückte, deren Dasein sich auf  gerne in die Ewigkeit verlängerte Momente reduziert, nur Haben oder Wollen. Auch darin liegt eine Paralelle zu religiösen Menschen: Diese können nicht nachvollziehen, dass man Gott weder sucht noch vermisst, dem Schlagerfan fällt es schwer zu glauben, dass man sich von der Liebe keine glückliche Zweisamkeit erwartet, ganz gut ohne diese zurecht kommt und Musik hört, ohne dabei „feiern“ oder „träumen“ zu wollen.

Schlager, die gänzlich außerhalb des alltäglichen Lebens stehen, indem sie ganz bewußt zum Herbeirufen einer Stimmung dienen, deren man sonst nicht teilhaftig wird, sind kein Surrogat mehr, sie sind die Erfüllung des Wunsches durch das Äußern des Wunsches. Sie bedürfen keiner Aufmerksamkeit und verhindern sie dort, wo noch Raum für sie wäre, in dem, was als „Freizeit“ bezeichnet wird. Sie sind nicht nur konservativ, sondern konservierend, eine Lüge, die durch ein eintöniges Leben bewahrheitet werden muss, da sie ohne dieses ihren Reiz verlöre. Man kann nur dann den Wunsch entwickeln, ganz „locker“, „lebensfroh“ und „verrückt“ zu erscheinen, wenn man es ansonsten nicht ist. Der Versuch, diesen Eindruck durch Feiern mit Schlagermusik zu erwecken, wäre beinahe rührend unbeholfen, würde er nicht zum Verschleiern einer traurigen, existenziellen Furcht dienen, sich dafür bei Stereotypen und Klischees bedienen und diese wie auch die Angst befestigen.

Lale Andersen / Caterina Valente „Ein Schiff wird kommen“, Oktober 1960 – Januar 1961

valente

Deshalb kann in einem Lied wie „Ein Schiff wird kommen“  von jeweils Lale Andersen und Caterina Valente noch so viel geträllert oder gar gesäuselt, ja, auch gerne an der Zigarette gezogen und dabei laut geatmet werden, es kann ruhig vom Sehnen einer Frau nach „dem Einen“ handeln, während sie mit allen Matrosen tanzt, diese sogar küsst und kleinbürgerliche Phantasien der Verrufenheit beschwören, heute nervt’s.

http://www.youtube.com/watch?v=VfWW_a5ZRAU&feature=related

5 Kommentare zu “Der Liedschatten (11): Andersen + Valente “Ein Schiff wird kommen””

  1. Pascal Weiß sagt:

    Schlager […] sind nicht nur konservativ, sondern konservierend, eine Lüge, die durch ein eintöniges Leben bewahrheitet werden muss, da sie ohne dieses ihren Reiz verlöre.

    Wahrlich tolle Formulierung, Lennart. Nach dieser habe ich schon so manches Mal recht unbeholfen gegriffen. Werd’s mir von nun an gut einprägen.

  2. vielen dank, pascal! hatte ja auch an dieser stelle schon oft genug gelegenheit, nach worten zu suchen, die diese scheußlichkeiten beschreiben…

  3. Bastian sagt:

    Die Aussenansicht zum Thema Schlager: http://www.guardian.co.uk/music/musicblog/2011/mar/15/schlager-germany-biggest-pop-stars
    I’m a little bit amused.

  4. Bastian sagt:

    Edit: Aussenansicht stimmt dann wohl doch nicht so ganz.

  5. tihihi… „Ever since its early days, schlager has used simple patterns of music (just like Eurodance, Germany’s other mega-genre) while its lyrics are rarely political, often concerning romantic themes. Whole subgenres are dedicated to niche topics such as being on holiday, country living, life on the Autobahn, living with animals and living with animals on the Autobahn.“

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