Der Liedschatten (72): Welt meinen?


Die kleine, reiheninterne Sommerpause ist vorbei, doch die Fußballchose geht weiter. Sei’s drum, wir befassen uns hier mit weltbewegenderen Dingen. Und zwar bewegen sie die Welt, indem sie von ihr singen.

Wir selbst kennen es ja recht gut: Wird über uns gesprochen, merken wir auf und drehen uns womöglich um, damit wir besser zuhören können. Und die Welt kann nun einmal nicht weghören, kein Wunder, dass sie sich ständig dreht. Es ist also keinesfalls so, wie die grandiosen Smiths einst titelten: „The World Won’t Listen“? Nein, sie muss zuhören.

Setzen wir aber „world“ mit „Menschen“ beziehungsweise „die Leute“ gleich, dann wird es wieder richtig. Weder hören die „Völker“ die „Signale„, noch der einzelne Mensch die Smiths, von denen er nun wirklich einiges lernen könnte – zum Beispiel angemessen traurig sein, ohne dafür eines Trauerfalls zu bedürfen.

Denn nur, weil es einen solchen gibt, geht es noch lange nicht angemessen zu, siehe das Ableben und sofortige Ausscharren von Musikern in Produktform. Robin Gibbs Tod Ende letzten Monats liegt da vielleicht einfach noch nicht lang genug zurück, womöglich soll der eher verkaufsschwache Sommer erst einmal abgewartet werden. Spätestens zum Weihnachtsgeschäft aber wird es mit Sicherheit neue, oder vielmehr neu benannte Zusammenstellungen der Hits der Bee Gees geben.

Denn von diesen hatten sie eine ganz Menge, und das, wie wir bereits bei der Betrachtung des Songs „Massachusetts“ feststellen konnten, schon lange vor ihrer eigenmächtigen Neuerfindung als Discobeschaller Mitte der 1970er Jahre. Selbst ihre früheren Songs befanden sich stets auf der Höhe der Zeit, Auge in Auge mit dem Status quo. Und jetzt überlegt mal, wer zuerst gewankt, geblinzelt und entschuldigend lächelnd wegschaute, oder anders gesagt, wer wen beeinflusste.

„Iiiiiiiieeeek!“: die Welt ist rund, die Gitarre spitz.

beegees_worldDie Bee Gees setzten keine Maßstäbe, sondern konnten hervorragend mithalten. „World“ wies die von den Beatles gerade erst mit „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ und „Magical Mystery Tour“ bemühte Opulenz auf, vermochte sie aber nicht mit der dramatischen Eleganz eines „A Day In The Life“ zu verbinden, vom Sound ganz zu schweigen. Das Klavier donnert die Akkorde, ein Mellotron schwummert salbungsvoll, der Bass mit seinem theatralischen Glide macht mächtig auf dicke Hose. Und obendrauf quiekt eine jaulige Gitarre nach dem vom Klavier choralsartig beendeten Refrain so herrlich schaurig, dass es kaum vorzustellen ist, wie dieses Lied seinerzeit europaweit in den Radios erklang. Wobei, das tut er sicher heute noch, nur müsste man halt einmal Radio hören.

Und wenn er gespielt wird, dann in- oder exklusive dieser Gitarre? Weiß das eine oder einer der werten Lesenden? Und findet ihr den Sound nicht reichlich wild, so wild, wie man es von den stets poppigen, aber nie jugendlich, draufgängerisch oder gar rebellisch wirkenden Bee Gees gar nicht erwartet hätte? Fragt ihr euch am Ende gar, was sie dazu trieb, welche Worte sie an die Welt richten und derartig verinnerlicht wissen wollten, dass sie das Gehör der Menschen erst mit einem solchen Schnitt zu öffnen versuchten? Mhm? Ja? Nein? Vielleicht, was wisst ihr denn, wie auch immer, hallo?

Sollte eure Antwort solcherart lauten, ihr hättet den Text bereits erfasst, und zwar insofern, als dass er unverständlich ist. Denn nein, so recht wissen wir nicht, was die Gitarre so bissig stimmte. Der reichlich kryptische Text deutet nichts an, macht nichts deutlich – wobei, genauer betrachtet ist er überhaupt nicht kryptisch, sondern kaum mehr als eine originelle Unbeholfenheit, nicht einmal eine Skizze und schon gar keine psychedelische Lyrik. Erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Worte gefühlvoll gesungen werden, die gar kein Gefühl auszudrücken oder anzusprechen scheinen. Es mag an dem Orchester gelegen haben, wenn Barry und Robin Gibb hier so inbrünstig intonierten, was sie eben intonierten, an den Worten lag es nicht. Ohne solche aber kam ein Hit gegen Ende der 1960er nicht aus.

„Now, I found

that the world is round

and of course it rains everyday“

Das mag zwar nichts Genaues besagen, könnte aber Ausdruck eines ergebenen Sich-Fügens in die Fährnisse einer alles beinhaltenden Welt sein. Diese ist rund, nicht flach, und somit gewissermaßen allumfassend. Sie besteht allein schon wegen ihrer Krümmung aus mehr als dem Sichtbaren und irgendetwas ist immer, es regnet stets irgendwo, und das jeden Tag. Wenn es einen selbst trifft, dann sollte man es deshalb nicht zu persönlich nehmen.

So ungefähr ließe sich der Refrain hinbiegen, was aber mit den Strophen anfangen?

„Living tomorrow, where in the world will I be tomorrow?

How far am I able to see?

Or am I needed here?“

Herrje, das wird schwer. Die Beschäftigung eines jungen Menschen mit den Fragen nach Zukunft und Verantwortung? Vielleicht als Ausdruck eines Fluchtreflexes, weil er irgendetwas angestellt haben mag? Die Angst vor der Weite der Welt, eine Grübelei über die Vorhersehbarkeit, das begrenzte Wissen, das ja aber selbst in größerer Vervollkommnung nicht weiterhelfen dürfte, weil es eh jeden Tag irgendwo regnet auf dieser runden Welt und – das ist doch klar – man bis zu jeder Regenfront nicht blicken kann? Ist die Frage, ob man ihn denn hier brauche eine furchtsame, weil es „here“ gerade eben nicht regnet, woanders aber schon, man das nur nicht sieht und der Protagonist lieber bleiben würde, aber nicht darf? Der nun erneut folgende Refrain (Rundheit der Welt, der selbstverständlich täglich fallende Regen) bringt keine Klarheit, also ab zur zweiten Strophe.

„If I remember all of the things I have done,

I’d remember all of the times I’ve gone wrong.

Wyh do they keep me here?“

Ah, also doch Erwägung einer Flucht. Aber wie weit kann man fliehen, wenn die Welt rund ist? Kommt ja auf die Größe der Welt und des Fliehenden an. Auf der Erde hat man da recht gute Chancen, vor allem wegen der Berge, Meere und Inseln, das dürfte klappen. Aber regnen wird es jeden Tag, das haben sie heraus, damit haben sie sich sicherlich abgefunden. Jedoch halten nicht näher benannte Personen den sich selbst Besingenden fest, weshalb, wird nicht verraten … mysteriös, tatsächlich. Doch solange sich dahinter nicht unaussprechliche Kulte verbergen, soll es uns nicht weiter bekümmern – wobei, aus der Perspektive der großen Alten gesungen könnte der Text Sinn ergeben. Sollte also jemand ein Musical über und mit Azathoth, Cthulhu oder Yog-Sothoth schreiben wollen: Hier wäre ein gutes Stück für die Schlußszene in R’lyeh, in der es dann auch ordentlich menscheln dürfte. Schließlich dürfen im Musical alle menscheln, selbst die großen Alten.

Wie auch immer: Dieser Text ist eine bemerkenswerte Leistung für einen Popact der 1960er. Die Bee Gees als Vorläufer von KLF, Eurodance und Scooter? Nonsens als Hitgarant? Wir werden es herausfinden, indem wir in unserer Reihe voranschreiten. Und wenn wir dabei das nächste Mal den Bee Gees begegnen, wird ihr Hit schlicht „Words“ benannt sein. Das wird fein!

Bild: nunorodrigues.net

Ein Kommentar zu “Der Liedschatten (72): Welt meinen?”

  1. […] Ende 1967 schienen die Farben jedoch wieder sortiert gewesen zu sein. „Massachusetts“ und „World“, ihre bis dahin größten Singleerfolge, klangen fokussierter, gleichzeitig aber auch […]

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