Der Liedschatten (59): Die zweite beste Band der 60er

The Kinks: “Dandy”, Dezember 1966 – Januar 1967

Was ist der Dandy? „Das Dandytum ist der Beweis für die absolute Modernität der Schönheit.“, so Oscar Wilde 1984. Und 1895? Nun, seht selbst!

Der Dandy an der Stätte seiner Wirkung (Abbildung ähnlich)

Mitnichten handelt es sich bei Wilde jedoch um den Begründer des Dandytums, auch, wenn dieser, wie durch seine allesamt empfehlenswerten Werke erfahrbar, von dessen Idealen gänzlich erfüllt war. Laut diesen geht der Dandy zum Beispiel keiner erniedrigenden Erwerbstätigkeit nach. Und da eine jede für ihn erniedrigend wäre, tut er im besten Falle nichts weiter, als gut gekleidet spitzfindige Bemerkungen zu machen und auf diese Art ein Leben für die Kunst, besser noch, als Kunstwerk zu führen.

Narzissmus war ihm allgemeines Gebot, ebenso wie die Begeisterung für, ja eine gänzliche Hingabe an die Schönheit; zumindest, solange sie den Vorgaben des Dandytums entsprach. Diesem war individuelles Elend nicht nur in Persona, sondern auch als Sujet nur insofern brauchbar, solange es hübsch war, so wie Wildes elendig verkommener doch stets schmucker „Dorian Grey“. Die Darstellung von wirklichem Elend hingegen war verpönt, auch das Leben der unteren Stände und Klassen durfte keinesfalls als Gegenstand der Kunst dienen.

Doch ausgerechnet junge Angehörige der britischen Arbeiterklasse griffen Mitte des 20. Jahrhunderts Kleidung und Haltung der Dandys auf. Die Teddy Boys der 1950er bezogen sich dabei auch noch direkt auf die dandyeske Mode der Edwardischen Epoche Anfang des 20. Jahrhunderts.

Aus ihnen gingen (neben anderen) bis Mitte der 1960er die Mods hervor. Diese bewahrten zwar die Überhöhung der Kleidung, änderten aber deren Stil, außerdem bevorzugten sie eine andere Musik als den Rock’n’Roll der Teddy Boys. Im Bemühen um eine möglichst moderne Art des Konsums trugen sie maßgeschneiderte Anzüge, fuhren Motorroller, warfen Amphetamine ein und tanzten zu importierten Soulplatten aus Amerika oder zu auf andere Art neuartig anmutender Musik. Der Austausch spitzfindiger Bonmots spielte dabei sicher eine zu verachtende Rolle, auch, wenn eine ihrer populärsten Bands für ein paar pikante Wortdrehereien ganz gut gewesen wäre.

Denn der Name The Kinks leitet sich ab vom Wort „kinky“. Und das steht steht laut Urban Dictionary und Wikipedia für allerlei vermeintlich unübliche Sexualpraktiken. Dazu noch sangen Ray und Dave Davies, die Songwriter und Frontmänner der Band, 1965 von einem „Well Respected Man“, der seine „fags the best“ mochte, was zumindest in Amerika doppeldeutig sein dürfte, und luden ihre Freunde ein „to play across the river“ („See My Friends“). Und wenn langhaarige Rüpel aus der Arbeiterklasse unter einem solchen Namen so etwas sangen, dann fürchtete sicherlich irgendwer um irgendeine Moral, erst recht in den USA. Dort war die Band seit 1965 inoffiziell, aber mit praktischen Folgen unerwünscht, vermutlich, weil sie sich bei Gelegenheit auf der Bühne balgte, in zumindest einem Fall bis zur Bewusstlosigkeit eines Mitgliedes.

Die Feinfühligkeit, mit der die Band auf ihren besten Alben Skizzen der britischen Gesellschaft anfertigte, lässt davon nichts vermuten. Selbst eher unsympathische Typen werden in ihren Liedern mehr porträtiert als abgezeichnet, und das erfreulich frei von mahnenden Anwandlungen jugendlicher Moral oder nachsichtigen Bemühungen zur Bekehrung. Die Kinks waren keine Hippies und sollten es nie werden.

Eigentlich ein Typ zum Knuddeln und Wuddeln (obwohl er es nicht nötig hat): der Kinks’sche Dandy

davedee_bendDer Dandy zum Beispiel, in dem es in unserem heutigen Hit geht, ist ein hübscher Stenz. Ein Geck, der nicht davon ablassen kann, durch Hinterfenster in Wohnungen zu steigen und die Früchte der Gunst, die ihm Frauen ob seiner Schöntuerei entgegenbringen, zu genießen. Und davon scheint es reichlich zu geben, womöglich, so wird angemahnt, zu viel. „(..)two girls are too many / three’s a crowd and four you’re dead“. Und während alle um ihn herum altern und gesetzt werden, kann er nicht anders und bleibt, was er ist: ein Junggeselle mit unabgeschlossener Vergangenheit. Das aber sei kein Problem, denn „(…)you always will be free / you need no sympathy / a bachelor you will stay / and Dandy / you’re alright“.

Wunderbar ist dabei der verständnisvolle, spöttische Ton, mit dem Davis den Dandy immer wieder anruft, ohne sich von dessen Tragik zu Häme hinreißen zu lassen. Überhaupt war Pathos nie ein Stilmittel der Kinks, es wird gespöttelt, aber nicht verdammt. Da kommt selbst ein „Dedicated Follower Of Fashion“ am Ende ebenso gut weg wie „Mr. Pleasant“, der oberflächliche, naive, konsumorientierte Hahnrei, ein Mann des guten Tones, konservativ und klassenbewusst wie sonst nur der bereits erwähnte „Well Respected Man“.

Vor allem aber bieten die Stücke nicht nur ein textlich überragendes Niveau, sondern sind auch musikalisch mehr als nur gelungen, nämlich eigenständig. In ihnen verbindet sich der Einfluss des Rock’n’Roll und Blues mit Beat, psychedelischem Pop, Country und Folk mit dem Erbe der britischen Music Halls, einer eigenständigen Form des Varietés.

Dessen Musik war zur Unterhaltung gedacht, um zu erfreuen, belustigen und im Gedächtnis zu bleiben, im besten Fall also zum Schlager zu werden. Die dafür erforderlichen Qualitäten besitzen jedoch nicht nur die Singles der Kinks, sondern zahlreiche ihrer Alben in Gänze, vor allen die fünf zwischen 1966 und 1970 erschienenen „Face To Face“, „Something Else By The Kinks“, „The Kinks Are The Village Green Preservation Society“, „Arthur (Or the Decline And Fall Of The British Empire)“ und „Lola Versus Powerman And The Moneygoround, Part One“.

Dennoch wurden und werden The Kinks bis heute bevorzugt als eine Band wahrgenommen, die ein paar großartige Singles, in etwa „You Really Got Me“, „Sunny Afternoon“, „Waterloo Sunset“ und „Days“ veröffentlicht hat, aber nicht einige der besten Alben der 1960er. Vielleicht ist es schwer vorzustellen, wie das Niveau dieser Stücke über ganze Alben fortgeführt wird oder lässt deren Status als „Klassiker“ und „Oldies“ das restliche Werk der Band vergessen. Schließlich kennen die meisten Menschen ja auch nicht mehr als die Singles der Beatles.

Immerhin erfahren die Kinks schon lange Anerkennung durch andere Musiker und Kritiker. Als „musicians‘ musicians“ dürften sie nicht nur mit den riffbasierenden Songs ihrer ersten Jahre (zum Beispiel „All Day And All Of The Night“ und „You Really Got Me“) einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Hard Rock, Heavy Metal und Punk ausgeübt haben, gemeinsam mit den Beatles prägten sie ein ganzes Genre namens Britpop unüberhörbar. Nicht nur deshalb sollte jeder Haushalt mindestens eines der im Text erwähnten Alben vorweisen können.

Vielleicht das beste am Hard Rock: seine Ursprünge.

Bild: Russ Morris

8 Kommentare zu “Der Liedschatten (59): Die zweite beste Band der 60er”

  1. Dass die Kinks mal eine Nummer 1 in den deutschen Singlecharts hatten, hätte ich jetzt auch nicht unbedingt erwartet.

  2. Sie könnten ruhig mehr haben. Immerhin waren sie insgesamt 7mal in den Top Ten.

  3. Ich bin eher überrascht, dass ihre eine Nummer 1 nicht „Lola“ war. Da hat’s wohl nur für Platz 2 gereicht, bin ja mal zu faul um nachzugucken gespannt demnächst zu lesen, wer so im August 1970 stattdessen hier regiert hat.

  4. Dein Artikel über die Kinks gefällt mir sehr gut. Schreibe selbst einen Blog über die Musik der 60iger und 70iger Jahre(rock-and-blog.de)und bin großer Kinks-Fan der ersten Stunde.

  5. Lennart sagt:

    Vielen Dank für das Lob! Ist ja auch eine überragende Band (-:
    Ich schau mir dann gleich mal Dein Blog an.

  6. Ich glaube, dass du Wilde falsch anschätzst. Mögen viele seiner Aphorismen auch den Zeitgeist seiner Epoche atmen, so sind zugleich durchaus als Spitzen zu verstehen. Wilde lässt sich auch hinter den Schein blicken, etwa in De Profundis oder auch in seinen Märchen.

    Und gerade deshalb passen The Kinks prima in seine Tradition, weil sie britische Blasiertheit herrlich demaskierten. Warum sie heute nicht mehr den Stellenwert haben, lässt sich klar sagen. Sie stimmten in den Sechzigern den Abgesang auf ein Gesellschaftssystem an. Mehr in Erinnerung blieben jedoch die Bands, die ein oft diffuses Hohelied auf neue Zeiten anstimmten.

  7. Mit Wilde magst Du recht haben, ich wollte ihn ehrlich gesagt auch nur erwähnt haben, um grob anzureißen, was ein „Dandy“ sein könnte. Ich selbst mag seine Werke, bin mit seiner Person aber nicht wirklich vertraut.

  8. […] auf die Singlecharts der BRD des Jahres 1967 verspricht Amüsement. Dort tauchen unter anderem auf: The Kinks, The Monkees, The Beatles, The Rolling Stones und Procul Harum. Zwischendrin aber begegnet uns, […]

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