Dawn Richard: Unde Venis?

Dawn Richard: Unde Venis?


„Zeig mir deinen Lebenslauf und ich sag dir, wer du bist“. Daran glauben nicht nur Personalchefs, sondern allzu oft auch Musikinteressierte. Da gibt es gute Referenzen – „Animal Collective haben mal mit denen gespielt!“ „Die sind auf 4AD!“ – genauso wie Verbindungen, wegen denen man schon die Ohren verschließt, bevor man auch nur einen Ton gehört hat.

Kein Wunder, dass Pseudo- und Anonymität im Internet gerne als Befreiung von früheren Künstleridentitäten genutzt wird. Dawn Richard macht hingegen keinen Hehl aus ihrer Vergangenheit, und so ist es für Vorurteilsanfällige vielleicht besser, das „Wer ist das und wo kommt sie her“-Googeln dem hintenanzustellen, was zählt: Dem Hier und Jetzt und ihrem fantastischen „Armor On“.

Darauf traumwandelt die Amerikanerin tollkühn durch eine Stil-Mannigfaltigkeit aus HipHop- und Breakbeats, House und Dancepop und lässt es doch gänzlich unreißerisch erscheinen, wie sie alldem einen sphärischen R&B-Mantel überstülpt. Im perkussioniert durch Gesangswolken driftenden Eröffnungsstück fordert sie „Give me armor“, daraufhin in voller Kampfmontur „Just feed me beats / And watch me eat up all yall“ in der angespannten Sektion des Albums aus „Bombs“ und „Automatic“ drohend. Mit „Change“ lockern und erleichtern sich die Beats, Richards schwummriges Stimmenmeer tritt über die Ufer und flutet die zweite Hälfte von „Armor On EP“. Das nur deswegen die EP-Bezeichnung trägt, weil Richard ihm eine Album-Trilogie folgen lassen will, über seine 10 Songs besitzt es allein schon kategorisch Albumlänge.

Der große Triumpf von „Armor On“ ist jedoch, dass es auch dann noch wie aus einem Guss erscheint, wenn es sich mit dem melancholischen „Heaven“ in 4/4-Dancebereiche erhebt. Der Song wächst – nicht ganz unähnlich zu Cassies „King Of Hearts“ – von pianobegleitetem Pumpen mit zunehmend intensivierenden Klatschern zu einem unausweichlichen, synthgespickten Zenit, wird aber kontinuierlich von Richards kraftvollen, langgezogenen Vocals bethront. Einmal mehr verdeutlichend, was sie oder Miguels exzellente „Art Dealer Chic“-Serie von anderen angeblichen R&B-Erneuerern unterscheidet: Während The Weeknd & Co. Genre-Elemente durch halluzinogene Instagram-Filter jagen und dabei z.B. wenig Wert auf Gesangsqualität legen, bleibt „Armor On“ immer von einer essentiellen stimmlichen Sinnlichkeit erfüllt, egal, was nebenher geschieht.

Indie-R&B statt R&B-Indie also, denn um ihre Vision durchzusetzen, musste Richard sich im ursprünglichen DIY-Sinne unabhängig machen. Unabhängig vom Vertrag mit einem Major Label, auf dem sie zuvor Diddy Dirty Money ihre Stimme verlieh und Mitglied in der Girl Group Danity Kane gewesen war. Wer sich von so einer Vergangenheit abschrecken ließe, hätte nun selbst Schuld daran, es zu verpassen, wenn Richard in der weich durchpochten Panorama-Stimmflut von „Save Me From U“ Comicreferenzen und emotionalen Vollkörperkontakt kombiniert, nur um in einen finalen, betrommelten Kampfaufruf zu münden. Bei Musik, die ihren Blick derart nach vorne gerichtet hat wie diese, sollte die Frage ja wohl nicht „Unde Venis?“ („Woher kommst du?“) lauten, sondern: „Quo Vadis?“.

„Armor On“ ist bislang nur bei iTunes erhältlich.

4 Kommentare zu “Dawn Richard: Unde Venis?”

  1. Ganz überlegene EP, danke für den Tipp!

  2. […] den Pop-Injektionen von Dawn Richard und Wynter Gordon hat sich die „Art Dealer Chic“ Trilogie des in L.A. residierenden Sängers […]

  3. Pascal Weiß sagt:

    Anfangs zu schnell weggelegt, inzwischen vermutlich sogar in den Jahres-Top10. Nur Hits.

  4. […] Werk „Goldenheart“ ist das erste in einer Trilogie, der bereits letztes Jahr die formidable „Armor On“-EP vorausging. Eine EP, die zugleich Visitenkarte und Vorschau auf das war, was folgen würde […]

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