Der Liedschatten (48): Two's a crowd


Erleichtert und ein wenig beschwingt geht es ins Jahr 1966 (schrieb ich so etwas nicht bereits anlässlich des Jahreswechsels ’64/’65? Egal). Beinahe scheint es, als sei Schlimmes überstanden worden, als könne die Zukunft, sprich, die Vergangenheit, oder aber die Zukunft der Vergangenheit, also der damaligen Gegenwart, immer besser geworden sein. Oder sie schien immer nur besser werden zu können, es blieb zu erwarten, sie werde immer besser werden und sein als ihre vorhergegangene Gegenwart, die aber gleichfalls Vergangenheit ist, so wie ihre Zukunft, also … ähem, nein. Nein.

Noch einmal.

Erleichtert und ein wenig beschwingt geht es ins Jahr 1966, es scheint beinahe so, als sei Schlimmes überstanden worden, nicht damals, da ja kaum jemand das an dieser Stelle als schlimm bezeichnete Schlimme schlimm fand, sondern gegenwärtig, also, rückblickend, als man die Vergangenheit und ihre Zukunft zur Gegenwart machte. Das heißt, als an dieser Stelle damit begonnen wurde, ein Vorhaben, dessen Ende so nie abzusehen ist und dessen Gegenwart also immer wieder gleich Vergangenheit sein wird …

Oder?

Mist. Schon wieder verzettelt. Und hatte ich in der letzten Woche erwähnt, dass Drafi Deutschers Lied „Marmor, Stein und Eisen bricht“ noch einmal Nummer Eins sein würde? Nach dem heutigen Song der Rolling Stones? Nein? Da hätte ich aber dran denken können, aber ich denke ja nur in kleinen Schritten in Richtung Zukunft, wenn ich mich mit der Vergangenheit befasse … so, jetzt passe ich aber auf. Jetzt mal was ganz anderes.

The Rolling Stones “Get off of My Cloud”, Dezember 1965 – Januar 1966

Yeah Yeah Yeah!: Die Rolling Stones.

Verdammt, Mick Jagger war seinerzeit schon ziemlich (oder auch unziemlich) sexy. Und der Rest der Band ebenfalls cool, sehr sogar. Auch der dargebotene Song ist lässig und doch energetisch, kurzum: groovy. Das Schlagzeug wirbelt herrlich, das Riff ist prägnant und schlicht, da stört es nicht weiter, wenn es sich hierbei um ein Ripoff des Rock’n’Roll-Standards „Louie Louie“ von Richard Berry handelte. Weshalb auch? Der Sound selbst war immer noch recht neu, ebenso die krawattenlose Attitüde inklusive unüblicher Frisuren. Dazu noch kann von einer Blues- oder auch Rockband vieles erwartet werden, nur sollte es nicht unbedingt Originalität sein. stones_cloudDiese aber ist sowieso überbewertet. Es kommt nicht auf die Idee an, sondern die Ausführung, Arrangement, Klang und, in diesem Fall von sehr großer Bedeutung, die Haltung der Interpreten.

Zum Lob dieser wurde ja schon allerlei gesagt, bei Wunsch nach bösartiger Kleinrederei könnte jenes nun durch den Hinweis auf den obigen Mitschnitt und den seiner Entstehungszeit unweigerlich anhaftenden Charme relativiert werden. Da gab es keine Kostüme, keine Bühnenshow, keine bunten Lichter, aber eine reizvolle Klangkulisse aus Gekreische, die jedoch nicht von der im Mittelpunkt stehenden Performance ablenkte. Nur wessen Performance eigentlich? Die der Stones, und siehe da, es lässt sich nichts schmälern.

„Get off of My Cloud“ erschien als Nachfolgesingle zu „Satisfaction“, ein Erfolg, den die Plattenfirma der Stones nur zu gerne wiederholt gesehen hätte. Die Band befand sich also gewissermaßen in Zugzwang, und sie erfüllte die Erwartungen durch die Einnahme der höchsten Chartposition im UK, den USA und der BRD. Daran beteiligt war auch der Entschluss, sich des Images als widersetzende, gefährliche und in den Augen des Establishments geradezu böse junge Männer weiterhin zu bedienen.

Das Mittel hierzu war auch und wieder einmal der Text. „Hey! You! Get off of my cloud
/ Don’t hang around, baby, two’s a crowd“, unverblümter kann der Wunsch nach Absonderung kaum geäußert werden. Und wer soll runter von der Wolke? Sicherlich so ziemlich jeder, der irgendetwas vorschreiben zu müssen glaubt, Menschen, die Waschmittel bewerben, sich über nächtliche Lautstärke beschweren und Strafzettel austeilen. Da der Protagonist einen solchen erhielt, als er sich Downtown befand, ist davon auszugehen, dass sich das Geschehen in den USA abspielt, wo der Song geschrieben und aufgenommen wurde. Dort konnte man sich sicherlich ebenso gut wie in der BRD über diese abgehobenen jungen Leute aufregen, deren Unmoral zum Himmel schrie, die obendrein aber noch in ihrer Verblendung glaubten, ohne das Geleit erfahrener und gesetzter Menschen auskommen zu können, nicht wussten, was sie wollten, sondern in den Tag hinein lebten und schlimme Musik hörten. Oder aber Drogen nahmen, auch das ließ sich mit ein wenig Willen in den Text interpretieren. Wer sitzt denn sonst schon auf Wolken? Engel vielleicht, oder erhabene Erhobene, dem Weltlichen enthobene Seelen. Junge Menschen mit unlauteren Gelüsten haben dort nichts zu suchen, nein, und schon gar nicht ihr Seelenheil.

So dramatisch sahen das damals selbstverständlich nicht alle Eltern und Menschen („Sympathy For The Devil“ erschien erst 1968), noch glaubten sie, über langhaarige Männer spotten zu können. Und wie glaubten sie zu spotten? So zum Beispiel:

Auch ohne Bezugnahme auf Lepra geschmacklos: der „Gammelshake“

Erfolg war Margret Fürer und ihren Penny Pipers damit, anders als den Stones, nicht beschieden. Symptomatisch für den damaligen Schlagerbetrieb ist an diesem Stück nicht nur der penetrant schlechte Humor, sondern auch das Unverständnis, mit dem „jungen Leuten“ und ihren sich verändernden Wünschen, Interessen und ihrer Mode begegnet wird. Sicher ist auch das eine Ursache für das zeitweilige Verschwinden des Schlagers aus den oberen Rängen der Charts in den kommenden – also, gewesenen, damals zu kommenden, ähem … ach, lassen wir das, in den Jahren 1965-1971, den in Sachen Popmusik eigentlichen „Sixties“ der BRD.

Bildcredits: Ryan James Scaruthers

3 Kommentare zu “Der Liedschatten (48): Two’s a crowd”

  1. Mensch ja, ein klasse Titel. Hab ich schon ewig nicht mehr gehört. Ich vergesse ab und an ja echt, warum ich die Stones so schlecht nicht finde.

    Aber, Hilfe! Ich versuche aus dem Gammelshake schlau zu werden. Mir will sich die Intention des Textes einfach nicht erschließen.

  2. Lennart sagt:

    Naja, ich schätze, dem ging einfach nicht ganz schlüssige Rechnung Schlager + Modewort / Randgruppe, die alle irgendwie doof finden, über die sich ohne Gefahr spotten lässt = Hit.

  3. […] Hit zu landen, was vielleicht trotz, eventuell auch aufgrund des Aufgreifens eines durch „(I Can’t Get No) Satisfaction” und „Get Off Of My Cloud“ erprobten Konzeptes […]

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum