"Alte" Helden hoch im Kurs

Gegen Ende des Jahrzehnts wollen es die 80er-US-Indie-Heroen noch einmal so richtig wissen – dieser Gedanke kommt einem nicht selten in den letzten Wochen und Monaten. Die Renaissance einer häufig (zu Unrecht) verschmähten Dekade? Oder das Prinzip Zufall? Als unstrittig gilt, dass die 80er mit den neuesten Werken von Sonic Youth, Mission Of Burma, Dinosaur Jr oder Yo La Tengo pünktlich vor Toresschluss präsent sind wie lange nicht mehr.

Womöglich angespornt durch die Hast des digitalen Zeitalters, in dem mit jedem anbrechenden Tag ein neues Genre geboren zu werden scheint, gehen die „alten Hasen“ konsequent und dickköpfig ihren Weg und sorgen für einen vielerorts willkommenen Gegenpol. So wird Zeitzeugen des Aufschwungs der 80er US-Independent-Szene – die ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen sollte, als „Nevermind“ 1991 einen gewissen Michael Jackson von der Pole Position der amerikanischen Billboard Charts verdrängte – derzeit die Rückreise mit Longplayern wie „The Eternal“ oder „Farm“ ermöglicht, ohne dass sich eine einzige Abzweigung geändert hätte (an dieser Stelle sei ausdrücklich betont, dass insbesondere Sonic Youth sicherlich nicht vorzuwerfen ist, sie hätten im Laufe ihrer lang andauernden Karriere die Koordinaten nicht unzählige Male verschoben).

Manch einer mag dem mit knallharter Kritik begegnen und von Stillstand sprechen, das ist sicher legitim. Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, wie sehr wir Hörer in der Vergangenheit verwurzelt sind und uns in einem popkulturell sicherlich begrüßenswert experimentellen Jahrzehnt hin und wieder eben doch nach bestens bekannten Charakteren und Strickmustern sehnen. Betrachtet man die Situation also von der positiven Seite, ist es auch in verrückten und schnelllebigen Zeiten wie heute noch möglich und erlaubt, weiterhin mit altbekannter Kleidung durch die Länder zu ziehen, aktuellen Trends zu trotzen und dennoch den Nerv der Zeit zu treffen.

FlamingLipsPassenderweise erscheint hierzulande Ende nächster Woche ein weiterer Kandidat aus der Liga der Alteingesessenen, der mit seiner Sperrigkeit aber bestens im Hier und Jetzt aufgehoben ist. „Embryonic“ heißt das neue Werk der Flaming Lips, das mit dem Begriff „leichte Kost“ mal so rein gar nichts anzufangen weiß: Krautrock à la Can trifft auf Pink Floydschen Space Rock und die Verschrobenheit eines Rodriguez-Lopez auf den düsteren Funk von Eno und Byrne. Die Truppe um Wayne Coyne wird, so viel dürfte sicher sein, mit diesem Werk polarisieren, das können auch die Gastbeiträge von Karen O (Yeah Yeah Yeahs) und MGMT nicht verhindern. Nachdem Pitchfork gestern schon klar Stellung bezogen hat, könnt ihr euch nach ausgiebigem Hören des kompletten Albums eure eigene Meinung bilden.

5 Kommentare zu “„Alte“ Helden hoch im Kurs”

  1. Severin sagt:

    „Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, wie sehr wir Hörer in der Vergangenheit verwurzelt sind und uns in einem popkulturell sicherlich begrüßenswert experimentellen Jahrzehnt hin und wieder eben doch nach bestens bekannten Charakteren und Strickmustern sehnen“

    Wirklich sehr schöner Artikel aber dass würde ich so nicht unterschreiben. Soviele richtig gute Bands haben die 2000er nicht rausgebracht und die die mir sofort einfallen(Broken SOcial Scene, Arcade Fire) machen sich eher rar was Veröffentlichungen angeht und andere (Wilco, Trail of Dead) sind einfach nicht mehr so stark wie zu Beginn des Jahrzehnts. Und eine Band die qualitativ wirklich immer sehr stark ist Animal Collective – ist für viele dann doch wieder zu sperrig.

    Ich hab die neue FL noch gar nicht gehört, aber Sonic Youth und auch Dinosaur JR. gehören sicher zu den besten Rockreleases, die man in den letzten drei Jahren gesehen hat!

    IIIn der deutschsprachigen Musiklandschaft sind übrigens auch wieder die alten dran. Distelmeyer, Die Zitronen , die Sterne und demnächst wohl auch die Tocos!

  2. Pascal sagt:

    @Severin: Klar sind Bands wie Animal Collective nicht jedermanns Sache. Aber trotzdem bin ich der Meinung, dass es sich insgesamt um ein musikalisch doch recht experimentelles und spannendes Jahrzehnt handelt, das eine nicht gerade kleine Menge an interessanten Truppen hervorgespült hat. Alleine Bands wie Sigur Ros, Of Montreal, Fiery Furnaces, Dirty Projectors, Grizzly Bear – um ein paar Beispiele aus dem „Indie“-Sektor zu nennen – muss man zumindest zugestehen, dass sie allesamt abgefahrene Dinge zu Wege gebracht haben und sicherlich nicht für reinen Stillstand stehen, sondern Ideen konsequent zu Ende gedacht haben, anstatt nur erfolgreich zu kopieren.

    Der Vergleich mit der deutschsprachigen Musiklandschaft ist gut gewählt, das passt perfekt ins Bild;)

  3. e. sagt:

    den zusammenhang mit den eighties und yo la tengo kriege ich nicht gebacken. bitte um erklärung!
    und von stillstand kann bei ihnen beileibe nicht die rede sein.

  4. Pascal Weiß sagt:

    Yo La Tengo mögen ihre bekannteren Werke ab 90 („Fakebook“) veröffentlicht haben, wurden aber Mitte der 80er schon von Mission Of Burma Basser Conley produziert, hatten also zumindest ein gewisses Standing auch schon in besagter Dekade. Dass nicht alle genannten Bands in Stillstand verharren steht außer Frage, aber Du wirst mir sicher zustimmen, dass „Farm“ und „The Eternal“ nicht unbedingt weit weg sind von diversen anderen Werken beider Bands;)

    Das war insgesamt auch keineswegs negativ gemeint, sondern sollte lediglich versuchen aufzuzeigen, dass die Schnelllebigkeit manche Bands eben doch nicht so leicht verspeist und ein dickköpfiges Festhalten an den eigenen Stärken so mancher Mode trotzen kann. Und nimm doch „Embryonic“: So ungewohnt und kalt dieses Werk sein mag, sind unabstreitbar Wayne Coyne & Co. am Werke, die eben trotzdem vertraut klingen – und das sicherlich nicht, weil sie einem aktuellen Trend folgen.

  5. Björn sagt:

    „aber Du wirst mir sicher zustimmen, dass “Farm” und “The Eternal” nicht unbedingt weit weg sind von diversen anderen Werken beider Band“

    101 Dinge, die man im Sonic Youth Forum lieber nicht sagen sollte ;) Aber stimmt schon. The Eternal hört sich an wie eine rockige Sonic Nurse

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