„I don’t know why you abandoned me/ You were my soul and my partner”. Exakt vierzehn Wörter braucht es, um das thematische Grundgerüst des neuen Dirty-Projectors-Albums zu erbauen, das nach David Longstreths Trennung von Amber Coffman ein genuines Solowerk geworden ist – mit der biografischen Narration des Schöpfers als Bauherrn. Es mag etwas pathetisch anmuten, aber die Musikgeschichte hat oft genug bewiesen, dass es das fruchtbare Schicksal von KünstlerInnen ist, jeglichen emotionalen Schmerz in Songs überführen zu können. Aus diesem Prozess, oftmals überinterpretierend bedeutsam als Katharsis beschrieben, gewinnen ebenfalls nicht wenige Tracks auf „Dirty Projectors“ eine diffuse Kraft, die die Hörerschaft direkter anzusprechen vermögen als die letzten Werke.

Longstreths Blick auf seine geendete Beziehung ist dabei ein gänzlich nostalgischer, reflexiver und selten verbitterter. Man hat fortwährend das Gefühl, als ob der Autor den letzten Jahren auf seiner persönlichen Landkarte jeden Tag eine neue Position abgesteckt hat, um Einfluss zurückzugewinnen. Über sein Leben. Über seine Musik. Analog dazu klafft auf dem neuen Album eine große Leerstelle, wo auf früheren Werken die kindlich-angestrengte Stimme Coffmans mit ihren Co-Vokalistinnen Angel Deradoorian und Haley Dekle einen konstrastiven Gegenpart bot. Diese nun notdürftig zuzupflastern, ist auch das musikalische Konzept, was vielseitiger und überbordender ausfällt, als man vorab anzunehmen imstande war – im Guten wie im Schlechten.

Im großartigen Eröffnungsstück „Keep Your Name“ bilden Samples den neuen digitalen Kitt: Der noch für „Impregnable Question“ von beiden parallel gesungene Refrain kehrt zerdehnt als geisterhaftes Zerrbild der Vergangenheit für einen kurzen Moment zurück, später peitscht sich der Song dafür – wortwörtlich – selbst aus. Neben Klavier und Synthie-Samples gibt es sogar einen Rap-Part (jetzt nicht ganz so übel wie in 90er-Jahre-Dance-Produktionen) und das ist der Moment in dem man ahnt, dass diese Platte nun tatsächlich einen neun Mal gültigen Freifahrtsschein für musikalische Evolution und Experimente bekommen hat. Der Bruch ist merklich spürbar. Kein geknebelter Bondage-Indie mit verkrümmten Beinen mehr, kein analoger Zickzackzucker und keine raubeinigen Auswüchse früherer Tage. Tatsächlich scheint es, als habe Longstreth nach dem Beziehungsende der Aufbruchsstimmung neues musikalisches Futter gegeben. Statt sich wehmütig in die Strukturkomplexität und verschrobene Verkopftheit älterer Songs einzuigeln, wirkt „Dirty Projektors“ bei aller thematischen Kompaktheit nahezu befreit und freundlich verspielt.

Im retrospektiv dreinblickenden „Up In Hudson“ zeigt sich noch die eine oder andere Narbe, wobei Longstreth die vollständige seelische Entblößung vermeidet und textlich gerne ins Anekdotische, manchmal gar ins Phrasenhafte abgleitet. Auch in der Mitte des Werks gibt es mit „Little Bubble“ ein musikalisches Kleinod der Verwundbarkeit. Ein Song, im Kern ein wenig gehemmt und imprägniert von allerlei Gefühl, randvoll angefüllt mit Sentimentalität („I’m alone in the cold/ October light hits like a black hole/ We had our own little bubble for a while“). Wer sich bei diesem Song kein Tränentattoo stechen lässt und zur See fährt, hat nun wahrlich kein Herz. Die Tränendrüse trocken gelegt, geht es kämpferischer voran, der Popmusik wird die offene Hand gereicht. Neu im Angebot sind beispielsweise klobige Klackerbeats, wummsige Bässe, Soulpop à la How To Dress Well und akzentuierende Streicher, Trompeten und Posaunen. Narrenfreiheit ist eine Chance!

Diese zu nutzen, gelingt über weite Teile auch dank hervorragender Mitspieler, die Longstreths musikalische Ideen und seine wie immer unverwechselbar über Oktaven kippende Stimme weich landen lassen. Besonders, wenn es um den eher klassisch produzierten und nur mit freundlich säuselnden Beats und analogem Instrumentarium ausstaffierten Pop geht. Abseits dessen ringt der Künstler etwas bemüht mit den unterschiedlichsten Progressivkräften: Die Vocoder-Spielereien auf „Death Spiral“ und im brüchig zerfetzten „Ascent Through The Clouds“ hätte es ebenso nicht gebraucht wie die auch dort eingebrachten, dancigen Experimente, die weder als pure Selbstvergewisserung noch als generelle Neukalibrierung musikästhetischer Konzepte taugen. „Cool Your Heart“, co-geschrieben von Solange und Dawn Richard, wirkt latent deplatziert in seiner muskulösen Körperlichkeit des Off-Beats und offeriert nur die etwas kapriziöse, fast eitle Beschau des eigenen Anspruchs und des gelungenen Networkings. Sie zeigt jedoch auch die Loslösung von den Fesseln des eigenen Back-Katalogs und die progressive Öffnung für neue Kollaborationen. Vielleicht ist so der etwas orientierungslose Albumabschluss entsprechend als Konzessionsleistung für die dialogfreie, aber umso stimmigere erste Werkshälfte zu sehen. Das Ende als offener Anfang.

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