Jenny HvalApocalypse, girl
Tweet |
Label:
Sacred Bones
VÖ:
05.06.2015
Referenzen:
Einstürzende Neubauten, Laurie Anderson, St. Vincent, Nick Cave, Julia Holter, Tim Hecker, Sasha Siem, Susanna
|
Autor: |
Uli Eulenbruch |
Was genau singt sie da über Amerika? Jenny Hvals Stimme wird schwer zu verstehen, wenn sie im dronepoppigen Final von „Apocalypse, girl“ elektronisch verschwammt zum ungreifbaren Glitch wird, mehr vokalisierend als verbalisierend. Zuvor hat die Norwegerin über ihr drittes Soloalbum hinweg ausgebreitet, wie andere ihr Handeln und Denken diktieren wollen, doch ist das zehnminütige „Holy Land“ keine finale, frontale Konfrontation oder Provokation, wie sie sie noch auf „Silence Is Sexy“ suchte.
Eher wird Hval zum Reflektor, der zitatartig zurückwirft, was ihm entgegenkommt. Darüber was es bedeutet, sich um sich selbst zu sorgen, spiegelt „Taking Care Of Yourself“ mit „Getting paid? Getting laid? Getting married, getting pregnant, fighting for visibility in your market, realizing your potential? Being healthy, being clean, not making a fool of yourself, not hurting yourself, shaving in all the right places?“ eine Vorstellung nach der anderen ab. Das muss jedoch nicht Passivität bedeuten, „That Battle Is Over“ ist kein tatsächlicher Abgesang auf Feminismus, den man seinen Worten entnehmen könnte. Noch deutlicher als über anderortens skeptische Betonung stellt Hval hier die mediale oder soziale Fassade einer heilen Konsumwelt gegenüber weiterhin existierenden soziopolitischen Missständen: „You say I’m free now/ That the battle is over and feminism’s over and socialism’s over/ yeah i can consume what i want now […] statistics and newspapers tell me i’m unhappy and dying/ that i need man and child to fulfill me“.
Unerwarteterweise schunkelt Hvals Arrangement fast schon loungig dazu, weit weniger aufgerieben als auf vergangenen Solowerken oder auch der Zusammenarbeit mit Susanna strebt „Apocalypse, girl“ spätestens ab dem Mittelpunkt ins Sphärische. Streicher hängen immer wieder halt- und anschlaglos in der Luft, „Heaven“ ist der einzige Song mit elektronischen und auch etwas dichter pochenden Beats, zwischen denen sich die zuvor nur wenig wahrnehmbare Orgel und Harfe in ein sakraleres Klangbild verdichten. Nach dem tänzelnden „Sabbath“ ist die letzte Viertelstunde des Albums ein erhabener synthetischer Strom, „Angels & Anaemia“ wird gar zum Griff nach dem Firmament in maximaler Entfernung zu den Heulstimmen der kavernös plätschernden Styxfahrt „White Underground“ früher im Album. Hval erzeugt Augenblicke wahrhaftigen Gänsehautprickelns, denen zuzuhören trance- und zauberhaft ist, doch ist sie nicht auf Eskapismus aus.
So schwer nachvollziehbar ihre Gedankensprünge auch manchmal werden (ein Stück referenziert propagandahafte alte Werbungen, laut denen kinderlose Frauen eher zu Krebsgeschwüren neigen), so herrlich absurd werden sie anderswo, wenn „Kingsize“ Bilder von verschrumpelten, bräunenden Bananen in der Küche beschwört. Sie sind Teil einer weichen Rebellion aus Songs über Intimität und Körperlichkeit, in denen sich nicht alles um Sex dreht – oder auch, wie Hval es nennt, „Soft dick rock“. „Apocalypse, girl“ besticht aber nicht über einen steilen Konzeptrahmen, sondern dank der Furchtlosigkeit, mit der Hval nicht zuletzt sich selbst zu entblößen gewillt ist und zeigen will, wie überwältigt sie ist von weniger eigenen Gedanken als Ideen, die ihr medial ins Hirn zugespielt werden. Kulturelle Stempel, konservative Schablonen von Sexualität und Gender, über sie zu reflektieren will Hvals Experimentalpop anregen. Und dabei zwischen Feuchtgebieten und Schlappschwänzen verdammt himmlisch klingen.