„That night I watched people fucking on my computer. Nobody can see me looking anyway.“ Mit diesen geflüsterten Worten beginnt „Innocence Is Kinky“, das neue Album der norwegischen Pop-Avantgardistin Jenny Hval, das auch im weiteren Verlauf um die Oberthemen sexuelle Begierde und heimliche Sehnsüchte kreist. Nicht nur im Titeltrack evozieren die intimen Lyrics einen experimentellen Seelenstriptease. Wer jetzt den Soundtrack zu Charlotte Roche erwartet, liegt vollkommen daneben.

Der experimentelle Ansatz macht sich ebenso im Musikalischen bemerkbar. Die Songs kreisen um Noise, verwaschene Effekte, (de-)fragmentarische Elektronik, klingen roh und ungeschliffen, fast schon wie Nick Caves Ausbrüche bei Grinderman. Garagenrock trifft auf zarte, fast schon gehauchte Töne. Doch die Arrangements kippen schlagartig: Während noch hallige Effekte das Zwischenspiel „Oslo Oedipus“ begleiten und dunkle Synthiewolken den Takt angeben, ragen hinter den kantigen Arrangements oft zierliche Klaviermelodien empor, beizeiten sogar fast schon versöhnliche Akustikgitarren – ein Konglomerat schwammiger Sessions und permanenter Strukturbrüche mit unzähligen Wendepunkten. Unter Produktionsregie von John Parish (u.a. PJ Harvey) versammeln sich digitale sowie natürliche Instrumente, um einen genauso dreckig krächzigen wie erhabenen (man lasse beispielsweise „Amphibious, Androginous“ ein wenig Zeit) und verkopften Soundkomplex zu gestalten.

Doch die musikalischen Stimmungsschwankungen sind nichts im Vergleich zu den stimmlichen der Protagonistin. Hval experimentiert, variiert, dirigiert die Klangkonstrukte und probiert nahezu jede Tonlage aus. In „Mephisto In The Water“ wagt sie sich förmlich in die höchsten Höhen, in „I Got No Strings“ präsentiert sie sich wiederum launisch (und erinnert tatsächlich ein wenig an Patti Smith). So markieren die Songs oftmals die Schwelle zwischen bodenständig-sperriger Rockattitüde im Stil von Sonic Youth und dem Wunsch nach Transzendenz. Glasklare Klaviermelodien unterstreichen diese Tendenz, die jedoch immer wieder aufgehoben zu werden droht. Hval ist sich dieses Stilmittels natürlich bewusst: „Singing ruins the body. It makes me feel sick, because it’s vibrating – it’s an extreme experience. It’s a state of sickness to be performing, I think“, erklärt die unkonventionelle Musikerin und Journalistin.

„Innocence Is Kinky“ (dessen Titel übrigens auf Hvals Licht- und Soundinstallation aus dem letzten Jahr verweist) ist deshalb kein direkt zugängliches Album, auch wenn häufig wundersam schöne Momente an die Oberfläche sprießen. Jenny Hval kann durchaus verzaubern, doch dieser Eindruck ist teuer erkauft. Die Songs verstören. Sie irritieren – und faszinieren. Eine ambivalente Ästhethik, die ihr gut steht, aber auch willige Bereitschaft des Hörers voraussetzt. Mutiger Experimentalpop, wie er eigentlich kaum im Buche steht.

Ein Kommentar zu “Jenny Hval – Innocence Is Kinky”

  1. Gefällt mir mit jedem Hören besser, die Platte. Für’s Gesamtgefüge habe ich noch kein gutes Gespür, aber im Einzelnen hat sich die leichte Sperrigkeit mancher Stücke mittlerweile abgebaut. Muss mir das nur mal mit Booklet zulegen, damit ich nicht ständig in einem „Hat sie da gerade das gesungen, was ich gehört zu haben glaube?“-Impetus zurückspulen muss.

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