Der Liedschatten (132)Eine körperlose Stimme

Wums Gesang: „Ich wünsch‘ mir ’ne kleine Miezekatze“, Dezember 1972 – Februar 1973
In den Straßen der von mir bewohnten Stadt war es in den letzten Tagen so neblig, dass ich mich darüber freute, Stimmen zu hören. Ich konnte mich an an ihnen orientieren und sicher auf dem Klapprad durch die Straßen strampeln.
Mein Verhältnis zu Stimmen und dem Hören von Stimmen ist also gerade sehr entspannt. Ja es gibt sie, ja sie plappern dazwischen, fangen an und hören auf, wann sie wollen, aber es ist mir Recht, ich gedulde mich und lausche, in etwa dieser hier:
Mehr noch als bei einem wirklichen Interpreten – also einem Menschen, der in Menschensprache singt, oder von mir aus einem Hund, der in (unterstellter) Hundesprache jault – hören wir in „Wums Gesang“ eine bloße Stimme. Die Tonaufnahme eines Gesangs übermittelt das Ergebnis einer körperlichen Tätigkeit, des Singens, bildet jedoch nicht den verwendeten Körper selbst ab, der dennoch als Tonquelle notwendig ist★. Weil Wum aber eine Trickfigur und deshalb auf die Stimme eines anderen angewiesen ist, um singen zu können, macht hier die Stimme die Person, nicht die Person die Stimme. Der Titel „Wums Gesang“ ist so sehr treffend, da es nur diesen gibt, nicht aber die Person oder den Interpreten Wum. Eine andere Möglichkeit wäre es, „Gesang“, ähnlich wie bei „Das Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“, als nähere Beschreibung innerhalb des Titels zu betrachten. „Wums Gesang“ könnte vielleicht, da nicht viel Wert auf die genaue Angabe des Singenden gelegt wird, eine Art tradiertes Lied oder eine Titelmelodie sein.
Beide Vermutungen gehen fehl. Wum selbst hatte keine eigene Sendung, er stammt aus Cartoons des Humoristen Victor von Bülow alias Loriot (ebenfalls seine Sprech- und Singstimme) und trat als Teil der Fernsehsendung „3 nach 9“ sowie als Maskottchen der damaligen „Aktion Sorgenkind“ (heute „Aktion Mensch“) in Erscheinung.
Ein paar Ausschnitte aus „3 nach 9“ lassen sich online finden, unter anderem mit einem vermeintlich mittels Willenskraft Löffel verbiegenden Uri Geller, dem Vortrag von „Hoch Auf Dem Gelben Wagen“ durch einen damaligen Außenminister der BRD, einem Showballett und der Ziehung der Gewinnzahlen einer wohltätigen Lotterie. Das klingt beschaulich – eine etwas fahrlässige Einschätzung, fehlen mir doch jegliche Relationen. Fernsehen ist mir fremd, ich kenne und mag weder diese, noch aktuelle Spiel- und Rateshows und bin mir allein deswegen sicher, „3 nach 9“ ungesehen gleichfalls nicht zu mögen.
Von „Wums Gesang“ möchte ich mich nicht ganz so schnell distanzieren, es ist ein Lied, Lieder höre ich gerne. Außerdem scheint mir unsere heutige #1 in musikalischer Hinsicht recht charmant und im Vergleich mit vielen Schlagern angenehm klar und luftig produziert zu sein. Davon wie auch von der Vorstellung, es würde ein Hund singen, profitiert der mäßige Vortrag Loriots, dessen Text hier nicht auf der Höhe seines sonstigen Schaffens ist. Es gibt einen losen Zusammenhang zwischen einzelnen Versen, leider aber keinen Zusammenhang zwischen den Strophen, nur ein paar „nette“, größtenteils harmlose Einfälle in sinkender Qualität. Soll es so wirken, als sänge der Hund gelöst und improvisierend vor sich hin, ist es ein gelungener Text, wenn er witzig sein soll, leider nicht ganz.
„Ich wünsch‘ mir ‘ne kleine Miezekatze
Für mein Wochenendhaus
Der schenk‘ ich eine Luftmatratze
Und eine Spielzeugmaus
Ihr singt dauernd solche Liebeslieder
Vorne und hinten mit Schmalz
Ach, die hängen mir immer wieder so aus ‚m Hals“
Die erste Strophe verspricht noch eine schöne Geschichte. Ein Hund im Besitz eines Wochendhauses wünscht sich eine Miezekatze für ebendieses. Was hat er vor? Scheinbar nur Gutes, soll sie doch beschenkt werden. Es folgen drei Zeilen mit einem sehr allgemeinen Kommentar zu „Liebesliedern“, weshalb das hier keines mehr werden dürfte. Und richtig, jemanden „für“ ein „Wochendhaus“ haben zu wollen klingt nach Dekoration, Trophäe oder Statussymbol. Dieses Wesen, hier ein „Miezekätzchen“ zu beschenken, klingt nach Affäre, ja Prostitution, doch wenig nach Liebe. So komisch oder niedlich die amouröse Verbindung von Hund und Katze sein mag, eine ausgelagerte Altherrenphantasie lässt sich immerhin unterstellen, wobei es auch eine Hundephantasie sein könnte: Eine eigene Katze zum Jagen und Spielen? Wie schön, vor allem für protzige Hunde.
Ob Wum ein solcher ist, erfahren wir nicht. Seine Intentionen bleiben verborgen, die folgenden Strophen behandeln in erwähnter, unzusammenhängender Form gänzlich andere Themen. Da ist ein Knochen, den man kochen kann, Haare am „Hinterkopf“, die sich zu einem Zopf binden lassen könnten und andere Sachen, die um des Reimes willen gesungen werden. Jedoch ist dieser, siehe Robert Gernhardt („Ich leide an Versagensangst/ besonders, wenn ich dichte/ Die Angst, die machte mir bereits/ manch schönen Reim zuschanden“), für komische Texte keineswegs unabkömmlich. So schätzenswert Loriots Werk sonst sein mag: Ein Witz, der über das bloße Dasein eines singenden Hundes hinausgeht, lässt sich in „Wums Gesang“ nicht finden. Zum Glück wissen wir, dass er sehr viel mehr konnte, als Schlager dichten. Eine tröstliche Gewissheit, die uns auch durch die etwas besser gelungene B-Seite „Ich Bin Ein Kleiner Hund“ nicht genommen wird.
Gewiss ist es schön, wenn Wum sich ein Dasein als „bedeutender Hund“ wünscht und dieses mit Motorradfahren in Verbindung bringt, es ist niedlich und nett. Mehr als nett war es hingegen, die Einnahmen aus dem Verkauf der Single an die damalige „Aktion Sorgenkind“ zu spenden, ohne dabei im Lied auf Betroffenheit zu setzen. Behalten wir Loriot also, Wum hin oder her, in guter Erinnerung, Gründe gibt es genügend.
In der nächsten Folge: The Sweet mit „Block Buster!“