Der Liedschatten (129): Ein wenig Spaß für Zotenrocker

The Sweet: „Little Willy“, August 1972

Vor einem Jahre schien alles leichter. Als ich „Gesehen habe ich ihn [Anm.: den Glamrock], oder besser gesagt das Äußere seiner Interpreten, schon, die einzig oder vor allem ihm eigenen musikalischen Merkmale blieben mir bisher allerdings verborgen“ mit flott über die Tasten tänzelnden Fingern schrieb, war ich erstaunt. Das soll ein eigenes Genre sein?

Mittlerweile bleibt mir nur noch selbstreferentielles Schwadronieren. Zumindest ist das meine Befürchtung, was aber, da ich mich häufig irre, nichts zu sagen hat, hieß es doch damals auch: „Ich sollte mich also noch einmal näher mit ihm befassen, und das nicht nur, sondern auch, weil wir heute zum ersten Mal auf die Bubblegum- beziehungsweise Glam-Rock-Band The Sweet treffen werden.“ Ja, mit Glamrock habe ich mich befasst und als Folge dessen nicht nur eine andere Schreibweise übernommen, mittlerweile besitze ich sogar ein Album von T. Rex („Electric Warrior“), deren Hit „Metal Guru“ vor zwei Wochen für angenehme Verwunderung sorgte.

Trotzdem ist mir offenbar nicht zu helfen, denn: In Folge 115 (Juli 2013) dieser Chartskolumne, aus der die obigen Zitate stammen, begegneten uns wie bereits erwähnt das erste Mal The Sweet. 1971 hatten sie eine #1 namens „Co-Co“, heute folgt mit „Little Willy“ der nächste Hit. Obwohl reichlich Zeit dafür war, habe ich seitdem in Sachen Glamrock nichts Neues gelernt. Internet, hilf!

Toll. Sie reden über Frisuren, Anziehsachen und Makeup. Das ist auf unfreiwillige Weise unterhaltsam, vor allem der Sprecher, aber gelernt haben wir nichts. Peinlich berührt wenden wir uns ab und sehen: Es wurde gemopst, und zwar von dieser BBC-Dokumentation:

In der werden uns Marc Bolan (T. Rex), David Bowie, Noddy Holder (Slade), Brian Ferry, Suzi Quatro und Elton John vorgestellt, wir hören von Lautstärke, Sex, Gender Bending und einer Menge Hedonismus. The Sweet, eine Band mit zig Top-Ten-Hits in zig Ländern, dienen dabei einzig als kurz erwähntes Beispiel für die uncoolen Seiten der Mode Glamrock. Vielleicht liegt es daran, dass sie als weniger „authentisch“ gelten, was auch immer das im Hinblick auf Popmusik, und vor allem den Glamrock, bedeuten soll. Vielleicht fehlten ihnen die Erotik eines Marc Bolan, die theatralische Größe von David Bowie, Slades immense Livepräsenz, Brian Ferrys Stil und persönlicher Glamour, Suzi Quatros – leider kann man es sagen, war sie doch eine Frau zwischen all den Männern – Exotik und Rock-Appeal dank Lederkluft auf Frauenkörper und Elton Johns Musikalität und exzentrisches Äußeres.

Obwohl The Sweet mit Nicky Chinn und Mike Chapman (produzierte später „Parallel Lines“ von Blondie) dieselben Songwriter und Produzenten wie Suzi Quatro hatten, teilen sie das Schicksal von Smokie und Mud, die ebenfalls von Chinn und Chapmann mit Songs versorgt wurden: Man nimmt sie nicht ernst und ordnet sie dem Bubblegumpop, also leichter, industriell produzierter Popmusik für Kinder und Teenies, oder gleich dem Schlager zu. „Little Willy“ zeigt, warum:

sweet_willyDie Kuhglocke von „Co-Co“ blieb, die Gitarren aber klangen nun härter und eindeutig nach einer Art Rock, der in Verbindung mit der Kleidung durchaus als Glamrock bezeichnet werden kann. Hierbei spielt es (wie auch sonst) keine Rolle, wer zuerst was wo eingeführt haben mag. Genres sind keine exklusive Sache schöpferischer Genies und The Sweet, Popband und externe Autoren hin oder her, eine Glamrockband, wenn auch eine reichlich reizlose, ja, sogar reizlosere als ihr Song „Littly Willy“ selbst. In ihm baut die Melodie des Gesangs beschwörend wogend eine Spannung auf, die von der abgestoppt gespielten Gitarre übernommen und gehalten wird, bis sie in den mit funkeliger Kuhglocke gesprenkelten Refrain mündet. Das ist immerhin hübsch, ebenso hübsch ist der Break im letzten Drittel, wenn Schlagzeug und Bass kurz die Führung übernehmen, bevor der Refrain transponiert wird und wieder und wieder erklingt, dann gibt’s ein Fadeout und nichts zu meckern. „Little Willy“ ist solide, ein fröhliches, leichtes Lied, „mostly harmless“ und alles in allem fade, da ohne jegliche Ecken und Kanten. Der Sound ist weich und wattig, das Tempo moderat, der Songaufbau klar … Wer Schlager schätzt, kann all das zum Lob des Songs vorbringen. Wen Schlager gleichgültig lassen, könnte ihm daraus einen Vorwurf machen, wenn ihn oder sie Schlager nicht gleichgültig lassen würden. Wer sich schließlich an Schlagern stört, nennt das alberne Liedchen „mostly harmless“ und „fad'“.

Des Weiteren ist es möglich, von diesem penetrant fluffigen Lied aufgrund seines nicht einfach sinnlosen oder absurden, nicht etwa schlichten, sondern schlicht lieblosen Textes genervt zu sein. Ähnlich wie schon Co-Co ist Willy nämlich ein begnadeter Tänzer, der jedoch nicht wie Co-Co auf einer Insel, sondern in der Stadt als beachtliche Kraft in Sachen Amüsement und Tanz gilt. Nach Hause mag er nicht, nein, im Norden und Osten, Up- und Downtown der Stadt tanzt er bis nach ein Uhr nachts, der Hallodri, und ist dennoch nicht mehr als ein Platzhalter in einem The-Sweet-Song.

Mitnichten muss ein Song Sinn haben und Laute als solche haben einen eigenen Wert, der völlig unabhängig von einer erkennbaren Bedeutung Anerkennung, ja Begeisterung wecken kann (siehe „I Am The Walrus“). Doch „Little Willy“ baut mit musikalischen Mitteln die Kulisse für eine Geschichte auf und hat doch nichts mehr zu sagen als: „Hier, ein Lied zum Tanzen“!, versteckt diese Botschaft, von der ja die Musik schon kündet, unnötigerweise im Lob des kleinen Willy, der eben tanzt. Ein Tanzlied über das Tanzen einer fremden Person, die davon handelt, dass diese Person tanzt … Wäre es nicht der Willy gewesen, sondern ein Ich-Erzähler oder ein tanzendes „Wir“, oder die Aufforderung zum Tanz, die Beschwörung der Situation des Tanzes, gut, aber so ein Willy, nein.

Als Ausweg bietet sich uns eine zotige Interpretation, doch führt sie in eine, räusper, Sackgasse. „Willy“ nämlich ist, haha, im Englischen der Penis, hoho. Viel Spaß damit, Schlagerfans und Zotenrocker.

Wäre doch nur „Alexander Graham Bell“, The Sweets charamantes Kuriosum über den Mann, der das Telefon miterfand, ein Hit geworden!

Stattdessen gelangten „Co-Co“ und „Little Willy“ auf Platz 1 der BRD-Charts, und sechs weitere Stücke der Briten sollten folgen.

In der nächsten Folge: Hot Butter mit „Popcorn“.

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