InterviewSusanne Blech

Neues von der schon immer dezidiert um Indifferenz bemühten („Gegen Haltung, gegens Manifest; Für die Indifferenzen, fürs Egal“ lautete das Plädoyer im Track „Robocop Hätte Geschossen“) Electropop-Band Susanne Blech. Jetzt geht es gar nicht mehr um das Verändern der Welt, sondern darum, Welt sogar zu verhindern. Programmatisch auf eine Formel gebracht: Retten ist nicht mehr, nur noch ein Hauch von Prävention ist möglich – zumindest so in etwa das Passivitätspamphlet der ersten Single „Welt verhindern“ ihres gleichnamigen Albums, für die auch Strizi Streuner von Frittenbude eingeladen wurde. Doch was meint das Ganze genau? Koketterie, postmoderner Verzicht auf Sinnzentren, ästhetische Enthaltsamkeit oder einfach nur Verweigerung (gegen Verweigerung), eine Art „Abschaffung“ der Wirklichkeit, von der schon Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ sprach? Texter und Sänger Timon Karl Kaleyta über schlechte Zeiten, die Katzen von Beate Zschäpe, Wut, Energy-Drinks, SNAP!, gute Zeiten, natürlich das neue Album und vieles mehr. Ob wir das Interview im Konferenzraum mit einem Aufnahmegerät oder im Studio mit mehreren Mikrophonen machen, war Kaleyta dabei relativ „egal“.
Timon Karl Kaleyta: Ich war gerade erschrocken. Das habe ich noch nie getrunken, diesen Energy-Drink hier. Wegen diesem mich anschreiendem Layout, aber vor allem wegen 65 Kalorien pro 100 Milliliter das 1,5-fache einer klassischen Cola. Ich habe da meine Probleme mit Kalorien. So viel in so einer Dose, das geht eigentlich gar nicht, ein physikalisches Wunder!
AUFTOUREN.DE: Inspiration für einen Song? Es geht euch ja gar nicht immer um den gesamten Text, sondern eher darum, einzelne Passagen hinzukriegen, die besonders prägnant sind. Ist das beim neuen Album auch wieder so?
Ja, das stimmt. Da gab es bei uns bisher nie einen Song, wo ich dachte, ich muss jetzt eine spezifische Botschaft in diesen Song packen und das limitieren auf wenige Zeilen, die ich zur Verfügung habe. Ich habe das immer so empfunden, dass ich Befindlichkeiten in kurze Sentenzen gepackt habe. Beim neuen Album ist das aber etwas strukturierter geworden. Der Titelsong ist da beispielsweise jetzt auch weniger abstrakt geraten.
Inwiefern interessiert euch das, wie man eure Songs interpretiert? Stört das nicht auch manchmal, diese Exegese vom Pop-Feuilleton, dass man manche Sachen nicht einfach mal stehen lässt?
Ich bin da ein großer Freund von. Ich nehme das alles an, finde das gut. Neulich fragte mich jemand zum Song „Wir Werden Alle Nicht Ernst Jünger“, warum ich das denn gut finden würde, dass man besser Dinge verdrängt als sich an sie zu erinnern. Da habe ich dann schon gesagt: Das habe ich nicht gesagt. Ich sage da am Ende des Songs: „Besser verdrängen als erinnern, fragen wir Barschel, ob es stimmt.“ Ich stelle das nur so hin, das muss ja jeder selber interpretieren, was damit, eventuell auch zeitgenössisch als eine Art Diagnose, gemeint ist. Es ist glaube ich die Aufgabe der Kulturwissenschaft, Sachen zu lesen, die dem Autor zum Teil gar nicht bewusst sind. Das ist ja die psychoanalytisch geprägte Kulturwissenschaft, durch die ich auch selber verseucht worden bin am Düsseldorfer Institut, an dem ich studiert wurde.
Ja, das Obsolete. Das ist ja auch ein Punkt auf eurer Platte, beziehungsweise in eurer Musik generell. Ist das ein wenig ein Spiel mit diesem Positionierungszwang, der auch an Bands herangetragen wird? Du merkst ja diesen moralischen Impetus bei den Reaktionen auf ambivalente Passagen wie in „Wir Werden Alle Nicht Ernst Jünger“. Wollt ihr euch damit auch ein wenig immunisieren gegen Forderungen, Bands müsste so sloganartig etwas artikulieren?
Richtig, das ist für uns schon ein genereller Punkt. Das ist auch genau mein Ansatz für diese Formel, für diesen Slogan. Weltverbesserungs-Slogans, schrecklich. Ich stand vor Monaten in der Küche, als wir gerade mit dem neuen Album angefangen haben. Dann hörte ich einen Radiobericht über Tim Bendzko oder irgendwas halt, habe diesen Welt-Satz gehört, hatte das „Welt verändern“ eigentlich missverstanden als ein „Welt verhindern“, habe dann gegoogelt, ob es das als Formel bereits existiert. Gab es irrerweise aber noch nicht. Wir haben dann den Song gemacht und das Album auch so genannt. Und ich frage mich das eigentlich echt rund um die Uhr, wie man das hinbekommt, beziehungsweise wie man sich das leisten kann, an so etwas zu glauben und dann auch noch solche Weltverbesserungsformeln anzupreisen, beim Frühstücksfernsehen, wie zum Beispiel so eine Band wie Ich Und Ich. Das macht mich fertig!
Kurz zu deinem Institut für Zeitgenossenschaft, das du gegründet hast. Auf der Homepage ist da unter anderem die Rede von einer „Neuformulierung von Wahrnehmung“ zwischen „Bürokratie und Realität“. Interessant, weil ja im Grunde Pop und Theorie hier eng verknüpft sind. Parallelen sehe ich zu eurem letzten Album, aber auch zu eurer neuen Scheibe, die auch davon träumt, „alle Antennen dieser Welt“ (so auch der Songtitel) einmal zu deaktivieren. Die „Maschine“ ist fast schon ein Topos von euch, eine Art Utopie des Abschaltens.
Was ich am Institut mache, mit meinen Forschungskollegen Tilman Mühlenberg und Martin Schlehsinger, hat schon Parallelen zur Musik von uns. Ist nicht gerade auch das Max-Weber-Jubiläum? Aber mal ganz generell: Ich bin ein großer Bürokratie-Fan. Ich glaube, dass ohne Bürokratie nichts funktioniert. Das erfordert natürlich ein großes Maß an maschineller Verwaltung und dafür braucht man natürlich „Maschinen-Material“. Und das macht mich fertig. Definitiv, die Band Susanne Blech arbeitet sich absolut an diesem Verwaltungsunwesen der Welt ab! Und deswegen ist auch das Weltverhindern ein lächerlicher Versuch, das Ganze noch ein Stückchen weiter zu denken: Es gibt nichts zu gewinnen. Man kann halt nichts gegen einen Bürokratieapparat ausrichten.
Nicht nur deswegen haben Susanne Blech – Realisten, keine Utopisten – im Grunde wenig mit Punkattitüden gemein. Affirmation des Status quo liegt aber auch nicht direkt vor. einfach nur Indifferenz – oder nicht? Jedenfalls kein kämpferischer Appell zu einer „Halt die Maschine an“-Revolte. Auch musikalisch sind die Jungs aus dem Ruhrgebiet jedenfalls nicht mit Punk oder Straight Edge sozialisiert worden, sondern eher diametral dazu mit dem Neunziger-Rave-Kosmos, was wiederum bedeutet: Drum’n’Bass und Eurodance-Ikonen wie SNAP!, deren Sänger Turbo B nun auch auf dem Song „Killer Is A Man Who Don´t Fuck With The Music“ mitrappt. Geglückte Absetzung zur Düsseldorfer Kraut-Renaissance, wie sie momentan von Stabil Elite verkörpert wird und die auch im Song „1000 Jahre Kraftwerk“ nicht gerade subtil ihr Fett abkriegt (übrigens könnte auch der Promo-Trailer von Susanne Blech eine Anspielung an den vom damaligen Stabil-Elite-Debüt sein: Gelangweiltes Herumsitzen im adretten Outfit, während die eigene Musik läuft). Gemeinsamkeiten zu Stabil Elite bestehen aber eigentlich ebenso: beispielsweise in der Vorliebe für Konzepte und assoziatives Songwriting. Auch die deutsche Welle wird durch den Kakao gezogen, die gegen Ravelegenden wie New Order für Susanne Blech – eine abgehacktes „Blue Monday“-Sequenz ganz zu Beginn – mit ihren 99 Luftballons natürlich nicht ankommt. Viele Ironiemomente, die vor allem bei eher konservativeren Kritikern nicht sonderlich gut ankommen, wie Kaleyta hinsichtlich der bisherigen Rezeption des neuen Albums meint. Vor allem im Falle des SNAP!-Features.
Aber, um das mal festzuhalten: „Alles Scheißegal“ (so der Titel der aktuellen SPEX-Ausgabe, die Haltung im Pop diskutiert) trifft auch auf Susanne Blech nicht ganz zu. „Welt Verhindern“ ist sehr wohl als Statement gegen heuchlerische Bequemlichkeit von naiver Weltverbesserei zu verorten, nur eben ohne dabei ein Gegenmodell anzubieten. Spürbar ist nämlich durchaus abstrakt inszenierte Aggression, wie sie auch der Moralin-Analytik von Popliterat und Moderator Stuckrad-Barre ähnelt. Der wiederum ist nicht nur ausgewiesener Fan der Band, sondern war nun auch bei zwei Nummern auf „Welt Verhindern“ mit einbezogen. Eine davon trägt den Titel „Die Katzen Von Beate Zschäpe“, über deren Titelgenese Kaleyta sehr gerne Auskunft gab. Absurd, surreal, eigentlich egal? Material für Susanne Blech.
Was hat es mit dem Song „Die Katzen von Beate Zschäpe“ auf sich?
Im vergangenen Sommer kam raus, dass Zschäpe ja ihre Wohnung in die Luft gesprengt hat, um die Beweise zu vernichten. Aber vorher hat sie ihre Katzen tatsächlich genommen und die ihrer Nachbarin gegeben, damit die noch mit dem Leben davonkommen. Dann wurde sie ja geschnappt. Dann war die Frage: wohin mit den Katzen? Die sollten ins Tierheim, aber die wollten die anscheinend nicht annehmen. Ein bürokratischer Irrsinn, unfassbar, dieses Prozedere. Es ging hin und her, keine Ahnung, wo die jetzt sind. Darüber ist jedenfalls der Song. Im Grunde sagt das ja auch alles aus, über diese NSU-Spastis.
Wie kam eigentlich die Arbeit mit Stuckrad-Barre zustande? Der ist ja auch für sehr amüsante Sätze bekannt, von denen man gar nicht genau den gesamten Kontext kennen muss. Wie funktionierte das, solche Szenen in ein Songformat zu transformieren?
Wir haben uns ursprünglich bei „Joko und Claas“ getroffen. Das war also ein Zufall, er war da Talk-Gast. Früher habe ich seine Sachen verschlungen, ich mochte die sehr, auch die Sache mit Christian Kracht. „Tristesse Royal“ war super, auch wenn das von vielen ja damals gehasst wurde. Und in der Sendung haben wir uns dann ein wenig unterhalten, wir blieben in Kontakt. Das ging immer per Mailkontakt hin und her, und diese Titel hat er dann auch vorgeschlagen. „Wir Werden Alle Nicht Ernst Jünger“ und eben auch der Titel „Die Katzen Von Beate Zschäpe“. Aber genauso ähnlich funktioniert es ja auch bei Susanne Blech vom Ansatz her. Es geht um dieses Situative, es ist keine geschlossene Erzählung. Ein Satz kann ja so eingebaut werden. Beim „Ernst Jünger“-Song haben wir lange diskutiert über einige Passagen. Bei Benjamin ist es einfach klasse, der beherrscht diese tollen Jahrhundertsätze. Das funktioniert einfach. Ich habe mich da total drüber gefreut. Als das schon alles fertig war, wollte er, dass ich den Albumtitel ändere. Er meinte, dass ich das Ganze „Die Steuer-CD“ nennen sollte. Aber ich meinte: „Benjamin, es ist zu spät, es ist zu spät!“
Trotz aller Enthaltung, trotz diesem Spiel mit der Indifferenz, mal ganz direkt: Gibt es Sachen, die ihr als Band nicht machen würdet? Jan Delay meinte neulich in einem Interview, dass er Jürgen Vogel nicht mehr ernst nehmen kann, weil der bei der McDonald’s-Kampagne mitgemacht hat. Gibt es bei euch Grenzen, No-Go´s?
Grundsätzlich, ich bin da ein wenig Opportunist. Den großen Medien würde ich mich auch einfach nicht verschließen. Aber ich mache nicht alles mit. Wir hatten schon einmal eine Anfrage von „Gute Zeiten, Schlechte Zeilen“, gar nicht mal so lange her. Keine Ahnung, wie viele diese Sendung verfolgen, aber das geht einfach nicht. Unter keinen Umständen! Wirklich. Auch als unser Helmut-Kohl-Song rauskam, fragte doch echt die Bild an, ob wir nicht bei dieser Kampagne „Ein Herz Für Kinder“ mitmachen wollen. Das ging nicht, das wäre hochgradig verlogen. Ich habe kein besonderes Herz für Kinder und ich kann das auch nicht bewerben! Das wäre einfach verkehrt, nicht die Person, die ich bin. Dann spiele ich lieber eine Pose, mit der ich seit einigen Jahren ganz glücklich bin (lacht).
Trotzdem steckt in der Platte ja ebenso eine gewisse Wut, die sich aber nicht direkt positioniert und gleichzeitig auch nicht explizit etwas negiert.
Ja, diese Platte ist wütend, auf jeden Fall. Gut, dass es mal jemand sagt. Und mit dieser Verweigerungshaltung ist es ganz schwierig. Ich denke aber darüber sehr oft nach, ob diese Form von Wut in irgendeiner Form konstruktiv ist. Doch das Ende der Wut wäre ja auch das Ende der Welt, denn dann würde man alle lieben, weil eben alle gleich wären. Dann hätte man aber kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Das wäre ja auch katastrophal. Und ich glaube, in meiner bescheidenen Analysefähigkeit, dass man das gar nicht oft bedenkt. Dann gäbe es die ganzen schönen Künste nämlich nicht mehr, die ja alle auch oft durch Wut entstehen. Ich glaube, dass gar nicht so oft reflektiert wird, was das bedeutet. Dann weiß man ja auch nicht mehr, wohin mit sich. Aber zurück!
Aber gerade Distinktion ist doch auch Pop, oder nicht?
Pop ist das reine Disktinktionsmerkmal schlechthin. Ich denke schon, dass das zutrifft. Auch wenn ich da in der Theorie gerade nicht so aktuell drin bin. Aber wohin führt es? Am Ende werden ja doch alle Banker oder Ingenieure. Ich weiß es auch nicht.
Mit ihrem Mix aus Trance, HipHop und Electropop folgen Susanne Blech jedoch der aktuellen Tendenz, zumindest die Grenzen musikalischer Genres immer weiter zu reduzieren – und so prinzipiell mehr Raum für Distinktion im rein musikalischen Sinne zu verhindern. Auch das Gegenteil wäre aber nicht schlimm, denn man hat ja keine Scheu, in Schubladen gepackt zu werden. Das sei passender und vor allem ehrlicher als der ständige Kreativitäts- und Distinktionszwang. Anders als die Bands also, die sich beim Protagonisten von Stuckrad-Barres „Soloalbum“ folgendermaßen beworben haben: „Es ist ja immer der beliebte Journalistensport, aber wir passen partout in keine Schublade. Das hört man ja auch an den beiliegenden Songs, da gibt es unglaublich viele Einflüsse, Facetten, Blicke über den Tellerrand. Wir hören uns auch sehr viel verschiedene Musik an, da sind wir in keinster Weise irgendwie engstirnig.“ Hier schließt sich der Kreis. So etwas hört man von Kaleyta nicht. Alleine deswegen sind Susanne Blech bescheidener, ehrlicher – und ein wenig sympathischer. Wer hätte das für möglich gehalten?