Längst scheint vergessen, dass NRWs Landeshauptstadt Düsseldorf einst ebenso zur Hauptstadt der elektronischen Musik avancierte und in den 70er-Jahren als kreativer Dreh- und Angelpunkt experimenteller elektronischer Musik seine Fangarme in die ganze Welt ausstreckte. Dort, wo heute Pelz und Prada auf Kopfsteinpflaster zwischen Alleen und Promenaden entlang flanieren, kreierten damals Neu!, Kraftwerk und La Düsseldorf mit noch jungfräulichen, synthetischen Klangerzeugern den Sound des neuen Jahrtausends.

Und so scheint es womöglich ein wenig hoch gestapelt, wenn aber auch konsequent und mutig, dass die drei Düsseldorfer Jungspunde von Stabil Elite ihr Debütalbum „Douze Pouze“ mit einem provokanten Schriftzug versehen: „The Sound of Young Europe“. Denn eines gefällt und fällt sofort auf: „Douze Pouze“ liest sich wie eine Liebeserklärung an ihre Herkunft und Wahlheimat, eine Hommage an ihre großen Paten, Wegbereiter und musikalischen Stadtpatrone – mit dem lethargischen Understatement der deutschen 80er-Jahre und dem jugendlichen Vorwärtsdrang unserer musikalisch selbstbestimmten Moderne.

Wie mangelndes musiktechnisches Know-How und verschollene Schulkellerräume zu so manch großer Entwicklung führen können, beweist folgende schnell erzählte, dennoch nicht minder beneidenswerte Anekdote: Über Jahre hinweg sammelte ein antiker Moog-Synthesizer in den Katakomben eines Düsseldorfer Gymnasiums Staubschicht für Staubschicht an. Scheinbar ohne Besitzer und über lange Zeit ungespielt, wartete dieses synthetische Schätzchen nur so darauf, endlich wachgeküsst zu werden. Als edler Prinz und glücklicher Retter erwies sich ein damals angehender Abiturient, der sich, im besten Wissen und Gewissen um den musikalischen und ideellen Wert dieser schlummernden Trophäe, schlitzohrig bei dem Hausmeister über das Instrument erkundigte. „Keine Ahnung, kannste haben!“ – Und so emanzipierte sich dieser regelrechte Schicksalsfund von Lucas Croon zum prägenden Klangelement seines Trios Stabil Elite, das nun Jahre später auf „Douze Pouze“ einen ebenso in Vergessenheit geratenen Schatz ausgräbt, der einst die musikalische Daseinsberechtigung seiner Stadt prägte.

Mokierten sich Croon, Nikolai Szymanski und Martin Sonnensberger auf ihrer „Gold“-EP noch auf subtile Art und Weise über den bourgeoisen Prunk ihrer Heimatstadt, rufen sie auf „Douze Pouze“ nun die synthetische Revolution und Reaktion aus und verprassen ihr musikalisches Erbe mit positivem jugendlichem Leichtsinn. Das volle Farbenspektrum analoger Synthesizer, stoische Beats und ein sowohl lethargischer wie durchaus durchdachter Gesang lassen die Grenzen zwischen Krautrock, neuer deutscher Welle und zeitlosem Tanzbein verschwimmen. „The Sound of Young Europe“ als rückwärtsgewandter Zukunftsentwurf. Hier einzelne Tracks zu sezieren, würde der Wandelbarkeit der zwölf Stücke nicht gerecht. „Douze Pouze“ entfaltet sich als elektronische, eklektische und lokalpatriotische Wundertüte dreier Jungs, die sich entgegen aller Trends und Zwänge auf ihren eigenen Geschmack und Werdegang verließen und sich anhand gut versteckter lyrischer und instrumenteller Verweise stets ehrfürchtig vor ihren Wegbereitern verbeugen. „Wir fallen in der Gunst, chauffier mich talwärts durch die Luft“ – die finale Einforderung der Band wird sich in so naher Zukunft dennoch nicht erfüllen, denn für Stabil Elite scheint der Auftrieb gerade erst begonnen zu haben.

77

Label: Italic (CD + Download) / Themes For Great Cities (Vinyl)

Referenzen: Kraftwerk, Neu!, Grauzone, Can, Von Spar, Mit

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VÖ: 09.03.2012

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