Am Anfang steht der Abgrund: Zu Beginn ihres fünften Albums geraten The Icarus Line in einen wabernden Strudel, der sich ruckartig immer weiter verdunkelt und öffnet. Das elfminütige „Dark Lines“ scheint wieder eine neue Ära der Bandgeschichte einzuläuten, wie schon 2004 das Zweitwerk „Penance Soirée“. Es ist schwer zu glauben, dass dort hinter dem Mikrofon nicht Michael Gira steht, um den verstörenden, sich um sich selbst drehenden Riffs seine verzweifelt klingenden Botschaften hinterher zu schicken. Doch auch The Icarus Line haben inzwischen einen Zugang in diesen apokalyptischen Kosmos gefunden.

Die Büchse der Pandora ist also geöffnet und es stellt sich die spannende Frage, was die Band, für die Komplexität durchaus kein Fremdwort aber dieser Blick in den Abgrund dennoch neuartig ist, dem Eröffnungsstück noch entgegen zu setzen hat. Die Antwort ist erstaunlich einfach: Anstatt krampfhaft zu versuchen, dessen Intensität noch weiter zu steigern, geht die Band einen Schritt zurück und besinnt sich letztendlich auf die Stärken der letzten Alben. Die neue Ära bleibt also eher vage umrissen, Punk und Garage nach bester Stooges-Manier bildet auch weiterhin das Grundgerüst. Was The Icarus Line damit anstellen, ist aber ein nicht für möglich gehaltener Sprung. Während Sänger Joe Cardamone im Vordergrund wütet und immer gefährdet ist, plötzlich verausgabt tot umzufallen, finden die entscheidenden Veränderungen im Hintergrund statt. „Don’t Let Me Save Your Soul“ ist so gesehen umgehend die perfekte Antwort auf das monolithische Vorspiel in „Dark Lines“. Im eingängigsten Song des Albums spiegeln sich Ideale und Vorbilder noch am deutlichsten wider. Schnörkellos mit Hang zur dreckigen Melodie passt zieht sich die Band noch einmal an das Ende der 1960er-Jahre zurück, bevor sie sich auf dieser Basis ausbreitet.

„Slave Vows“ ist ab hier herrlich überladen, vielfach blitzen Ideen hervor, die sich unverhofft verselbstständigen und einen ganzen Song aus dem Gleichgewicht geraten lassen können. Das anfangs unaufdringliche „No Money Music“ zum Beispiel wandelt sich binnen Sekunden zu einem lärmenden Noise-Spektakel, das zwar genauso schnell wieder beendet ist, aber eine umso größere Wirkung hinterlässt. Im beklemmenden „Marathon Man“ durchläuft man mindestens genauso viele Stimmungsschwankungen wie auf den richtigen 42 Kilometern. Dazu kommen Momente immenser Dynamik, die auch gerne wie mit einem Vorschlaghammer fixiert wird, nur um etwas später fallen gelassen und abermals wieder aufgenommen zu werden („Laying Down For The Man“). Solche und viele weitere ähnlich gelagerte Ansätze lassen das Album trotz aller offensichtlichen Spiel- und Experimentierfreude in einem bedrohlichen, ja geradezu archaischen Licht erscheinen. Aus der bloßen Rohheit der (ehemaligen) Vorbilder wird somit eine ganz eigene Erfolgsgeschichte.

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum