Der Liedschatten (93): Frieden im Sack

The Beatles: “The Ballad of John and Yoko”, Juli – August 1969

„Get Back“, das gab es nie. Damit ist selbstverständlich nicht der Song gemeint, sondern ein schwer greifbares „zurück“, mit dem wir uns erst vor Kurzem befasst haben, der Versuch, aus den Beatles mithilfe Reduktion und Livesessions wieder eine funktionierende, „richtige“ Band zu machen.

Angesichts ihrer letzten gemeinsamen Aufnahmen ist das in Ordnung – nicht etwa, da sie misslangen, sondern weil das wahrscheinlich erhabendste Werk einer Band ohne gemeinsame Zukunft ergaben. „Abbey Road“ ist ein großartiges und in technischer Hinsicht vollendetes Album, ohne ihr bestes zu sein. Einige Fans mögen dem widersprechen und so sei es denn, ein Streit über diese Frage lohnt nicht, hier kann man es getrost beim Austausch belassen. Schließlich haben die Beatles nicht nur keine schlechten Alben herausgebracht, sie sind konkurrenzlos und durch ihr Gesamtwerk die bedeutendste Band der bisherigen Popmusik, da ist es irrelevant, welches Album aus persönlichen Gründen hervorgehoben wird.

Nun haben die Beatles auch deshalb nie schlechte Musik veröffentlicht, weil sie durch ihre Auflösung keine Gelegenheit dazu hatten. Ihr Solokarrieren sind nicht frei von Verfehlungen, doch wer hat schon von 1970 bis in die Gegenwart (oder eben leider 1980 und 2001) ausschließlich gelungene Songs aufgenommen? Lennon, McCartney, Harrison und ebenso Starr gewiss nicht, nur lässt bei ihnen die gemeinsame Vergangenheit als Beatles Misslungenes nicht wie eine wirkliche Verfehlung, sondern als Missgeschick, das die jeweils anderen stets zu verhindern gewusst hätten, erscheinen. Ob das nun stimmt … ach, es sind obsolete Spekulationen, obskures Denken, das in ein Paralleluniversum führt, wo die Menschen „Everyday Chemistry“ hören. Klickt ruhig einmal, das ist kurios.

So aber sind die Beatles nicht nur eine Band mit gutem Timing, sondern besitzen eine Relevanz für den Pop, die vermutlich keine anderen Musiker mehr erlangen können, was jedoch vor allem an veränderten Umständen liegen dürfte. Vielleicht war nicht schon alles da und eine musikalische Revolution steht uns bevor, nur wird sie dieses Mal kein großes Publikum haben. Denn um Musik zu hören, braucht es kein spezielles Interesse mehr. Sie ist überall und für viele auch jederzeit vorhanden, die Auswahl ist immens, da verwundert es nicht weiter, wenn man etwas vorher Unbekanntes hört, deshalb horcht kaum jemand auf, sondern hört ruhig „seine“ Musik weiter. Sie ist ein Accessoire, bei dem Funktionalität an erster Stelle steht, denn wer den ganzen Tag Musik hört, möchte auch, dass sie zum ganzen Tag passt und keine großen Ansprüche, in etwa an stundenlange Aufmerksamkeit, stellt.

Das ist nicht unabänderlich und deshalb kein Anlass für Kulturpessimismus und Revisionismus, schon gar nicht muss neuen Kommunikationsformen und Medien die Schuld daran zugewiesen werden, denn die Art ihrer Nutzung ist ihnen nicht eingeschrieben.

Ah, und wenn wir gerade schon bei Anschuldigungen sind, sollen sie uns als grobschlächtige Überleitung zum heutigen Hit „The Ballad Of John And Yoko“, dienen, hier:

http://www.youtube.com/watch?v=_t3oaPNJieg

Wenn die sich dabei mal nicht schmutzig machen: John & Yoko ganz in Weiß.

beatles_johnyokoWelche Anschuldigungen? Naja, an sich nur eine gewisse, halt die eine, olle, dröge, Yoko Ono habe die Beatles auseinandergebracht. Hat sie es nun oder hat sie es nicht? Ja, soll das denn eine Entscheidungsfrage sein? Ts, als ob man das wissen könnte! Da lieben sich zwei Menschen innig und richten ihr Leben danach aus, weil sie es können, das ist fein für sie und passt nicht allen, hat eben Konsequenzen. Zum Beispiel gibt es Veränderungen im Freundeskreis, das ist doch ganz normal, ebenso wie das Nachlassen oder die Weiterentwicklung irgendwelcher Interessen, und ob nun zum Guten oder Schlechten … herrje, was soll der Quatsch, was soll das mit der Anschuldigung? Ich verstehe es nicht, dieses alberne, reichlich sexistische Klischee der Männerbünde aus reiner, weiblicher Bosheit zerstörenden, schlimmstenfalls gar noch emanzipierten Frau, konnte aber immerhin zweimal darüber lachen: bei Spinal Tap und den hoffentlich euch allen bekannten, grandiosen Flight Of The Conchords. Solltet Ihr beides kennen, müsst Ihr kennen. Wirklich. Na, aber kennt Ihr sicher alle, weshalb also weiter darauf rumhacken, dass Ihr sie alle kennen solltet, ja müsst? Ist ja eh so, oder?

„Girlfriends and music just don’t mix very well“: Yoko und die Folgen, z.B. für Koko.

Ohne Zweifel veränderte das Zusammenleben und gemeinsame Arbeiten mit Yoko Ono Lennons Selbstverständnis als Künstler. Seine Texte waren nun, anders als McCartneys, höchst persönlich, geradezu bekenntnishaft und drehten sich meist um ihn und seine Liebe zu ihr und ambitionierte Ziele wie den Weltfrieden oder sie verbanden gleich beides, siehe „The Ballad Of John And Yoko“. Das Stück ist hierbei keine Ballade im überwiegend gebräuchlichen, sondern eigentlichen Sinn, eine lyrische Erzählung, kein ruhiger Song.

Sie beginnt mit der Erwähnung von Schwierigkeiten bei der sehr spontanen Heirat. Ihre Ursachen werden nicht benannt, sondern im Refrain sehr wolkig angedeutet.

„Christ, you know it ain’t easy
You know how hard it can be
The way things are going
They’re gonna crucify me“

Sollte es eine Schikane gewesen sein? Lennon kokettiert zumindest mit dem Gedanken und sieht sich als Opfer. Religiöse Menschen mag hierbei der Bezug auf Jesus stören (wobei es Lennon nach eigener Aussage mit dem „me“ gar nicht um ihn selbst ging, da es alle treffen könne), das kann es auch ruhig. Was wäre das schon für eine Religion, die sich nicht ereifert, wenn ihr Heiligstes nicht ernst genommen wird? Und so wurde das Lied von der BBC boykottiert, dabei ist der Refrain weniger unerfreulich als die überflüssige zweite Strophe, in der wir lernen:

„Finally made the plane into Paris
Honeymooning down by the Seine
Peter Brown called to say ‚You can make it O.K.‘
You can get married in Gibraltar near Spain“

Aha. Gut. Verrückt, dieses Jetset-Leben. Da hören wir doch lieber, was über das Bed-In Lennons und Onos, für das sie Reporter in ihr Hotelzimmer luden, um mit ihnen über Frieden zu reden, erzählt wird.

„Drove from Paris to the Amsterdam Hilton
Talking in our beds for a week
The newspapers said ‚Say, what you’re doing in bed?!‘
I said ‚We only try to get us some peace’“

„This is a madhouse“, also bitte nicht zu arg verklären: John & Yokos erstaunliches Liegen für erstaunliche Anliegen.

Nicht wenig illuster und herrlich verspielt ist der in Wien vorgestellte „bagism“:

„Made a lightning trip to Vienna
Eating chocolate cake in a bag.
The newspapers said, ‚She’s gone to his head,
They look just like two gurus in drag‘.“

Da hatte jemand keinen Sinn für Humor, und zwar der Mensch, der den Ausschnitt mit „Imagine“ unterlegte. Naja, immerhin ist’s das Demo.

Beides mag naiv anmuten, ist aber mehr kaltschnäuzig als blauäugig. Das Paar dürfte gewusst haben, wie das, was es tat, wirken würde, auch, als es zurück in England fünfzig Eicheln an hohe Staatsmänner verschickte, um den Frieden zu fördern. Wie sinnvoll das ist, spielt keine große Rolle. Alles, was ein Mitglied der damals bekanntesten Band der Welt tat, wurde nach Möglichkeit medial aufbereitet – warum nicht die Aufmerksamkeit auf ihnen wichtige Anliegen umleiten? Anscheinend ging es um nicht mehr, Lennon und Ono werden gewusst haben, wie albern ihre Happenings nicht nur schienen und nahmen es, siehe obiges Video („We are willing to be the worlds clowns“) in Kauf. Das mag narzisstisch sein, ist aber dennoch lieb gemeint, etwas aktionistisch, etwas simpel, aber ganz okay.

All das trifft auch auf „The Ballad Of John And Yoko“ zu, die letzte wirkliche Gemeinschaftsarbeit der Autoren Lennon/McCartney. Lennon spielte Gitarre und sang, McCartney steuerte Bass, Schlagzeug, Klavier und Percussions und sehr tighte Backing Vocals bei, Harrison und Starr waren abwesend. Die musikalische Struktur ist simple und erinnert hier tatsächlich zwanglos an frühere Stücke, man beachte dafür bitte das Ende.

Die B-Seite „Old Brown Shoe“ stammt von Harrison und ist weitaus kraftvoller und komplexer, außerdem muss man für besseres Verständnis nicht die Biografie Lennons kennen. „I want a love that’s right / but right is only half of what’s wrong“, das funktioniert und fließt so herrlich wie die energische Slidegitarre, der überdrehte Bass und das rastlose shuffelnde Schlagzeug. Das sagt mehr über Harrisons Qualitäten als die Beatles im Jahr 1969 aus und macht „Old Brown Shoes“ zum besseren Song der Single, denn reizvoller als das Leben der Musiker sollte doch immer ihre Musik sein.

5 Kommentare zu “Der Liedschatten (93): Frieden im Sack”

  1. Haben die Beatles nicht bis 1965 eigentlich recht bescheidene Alben veröffentlicht? Ich persönlich sehe Lennon erst im Verbund mit Yoko Ono am Zenit seines Schaffens, aber ich würde ja fast wetten, dass es dann für nicht mehr viele Spitzenplätze in den deutschen Charts gelangt hat. Dieser Track freilich ist schwach, da haben die Beatles davor und danach weitaus besseres fabriziert. Und Lennon später sowieso.

  2. Lennart sagt:

    Ich finde die frühen Sachen tatsächlich vom Harmonischen her etwas reizvoller, zumindest im Vergleich mit ihrem späteren Schaffen. Aber klar, am besten waren sie vermutlich, na… ach, jetzt wird’schon wieder schwer. 1965-1968? ODer doch eher 1964-1968? Mhm…

    Und ja, Lennon war solo mäßig erfolgreich und wird in dieser Reihe nicht mehr als Interpret einer #1 auftauchen. Das ist sehr, sehr schade.

  3. […] Wort und Ton, womit Lennon nach gut verständlichen Songs wie „Don’t Let Me Down“ oder „The Ballad Of John And Yoko“ wieder zum Nonsens von Stücken wie „Strawberry Fields Forever“ und „I Am The Walrus“ […]

  4. […] „The Israelites“ thematisiert das an Sklaven erinnernde Dasein der Nachkommen ebensolcher, „The Ballad Of John And Yoko“ empfiehlt unter anderem die Herbeiführung des Friedens durch den Verbleib im Bett, „Oh Happy […]

  5. […] durch alle vier eingespielten Kompositionen Harrisons (zum Beispiel „Here Comes The Sun“, „Old Brown Shoe“ oder „Something“) nicht einfach nur messen. Zu sagen, es würde sie übertreffen, wäre […]

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